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Ex für Gulaschkommunisten

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Ohne Paprika, aber von bezeichnenden personellen Änderungen in der Parteiführung gekennzeichnet, ging der XI. Kongreß der KP Ungarns über die Bühne. Jänos Kädär, der seit 19 Jahren an der Spitze des Apparates steht, wurde wiedergewählt. Die Grundlinie der bisherigen Politik wird daher beibehalten, wie Kädar selbst in seinem Schlußwort betont hat.Prominentestes „Opfer“ des Parteitages ist zweifellos Rezsö Nyers, dessen Name untrennbar mit der ungarischen Wirtschaftsreform verbunden ist. Er schied aus dem Politbüro aus, nachdem er schon vor einem Jähr seiner Funktion als Parteisekretär verlustig gegangen war. Beobachter in Budapest werteten seine Ablösung als „Gunstbezeigung“ gegenüber dem Parteitagsbesucher Leonid Breschnjew, dem der allzu liberale „Gulaschkommunismus“ zweifellos ein Dorn im Auge ist.

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Ohne Paprika, aber von bezeichnenden personellen Änderungen in der Parteiführung gekennzeichnet, ging der XI. Kongreß der KP Ungarns über die Bühne. Jänos Kädär, der seit 19 Jahren an der Spitze des Apparates steht, wurde wiedergewählt. Die Grundlinie der bisherigen Politik wird daher beibehalten, wie Kädar selbst in seinem Schlußwort betont hat.Prominentestes „Opfer“ des Parteitages ist zweifellos Rezsö Nyers, dessen Name untrennbar mit der ungarischen Wirtschaftsreform verbunden ist. Er schied aus dem Politbüro aus, nachdem er schon vor einem Jähr seiner Funktion als Parteisekretär verlustig gegangen war. Beobachter in Budapest werteten seine Ablösung als „Gunstbezeigung“ gegenüber dem Parteitagsbesucher Leonid Breschnjew, dem der allzu liberale „Gulaschkommunismus“ zweifellos ein Dorn im Auge ist.

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Diese Maßnahme ebenso wie die vom Kongreß veröffentlichten Dokumente zeigen deutlich eine zunehmende, als Konzession an Moskau zu verstehende „äußere Radikalisierung“ des ungarischen Gesellschaftsund Wirtschaftssystems.

Besonderer Nachdruck wird in Hinkunft auf mehr gestraffte, zentralisierte Planung und Lenkung der Betriebe gelegt. Daß dies auf Kosten des Marktmechanismus und der relativ guten Versorgung mit Konsumgütern geschehen wird, erscheint Kenneijn der COMECON-Szene nur klar.

Außerdem hat man den für wirtschaftspolitische Fragen zuständigen Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Leiter des Planungskomitees, György Läzär, in das Politbüro aijifgenommen. Läzär ist außerdem ständiger Vertreter seines Heimatlandes beim Moskauer COME-CON-Büro. Sein Aufstieg auf der Karriejeleiter läßt den Schluß zu, daß sich Ungarn in Hinkunft stärker als bisher im östlichen Wirtschaftsblock engagieren wird und seine Wirtschaft von den hohen westlichen Weltmarktpreisen (vor allem für Rohstoffe) lösen will.

Die Verschärfung des Wirtschaftskurses — soviel steht fest — wird nicht jnit einer Intellektuellenhatz Hand in Hand gehen. Dafür spricht die Tatsache, daß György Aczel, der vor einem Jahr ebenfalls aus dem Sekretariat des Zentralbüros ausgeschieden war, seinen Posten im Politbüro behalten hat, der ideologische Druck auf „verwestlichte“ Künstler, insbesondere Schriftsteller, wird zweifellos anhalten. Aber — im Vergleich zur Situation im November des Vorjahres, als man von Ausweisung dissidenter Regimekritiker sprach, hat sich die Lage vorderhand konsolidiert. Allgemein erwartet worden war das Ausscheiden von Lajos Feher und Gyula Kallai aus dem Politbüro. Feher galt als Landwirtschaftsexperte der Partei, verlor aber auf Grund von Unregelmäßigkeiten in der Versorgung und Fehlplanungen schon vor längerer Zeit seinen Einfluß. Das Ausscheiden Kallais wurde mit dessen schlechtem Gesundheitszustand motiviert.

Im Gegensatz zum Zickzackkurs der Räkosi-Ära zeichnete sich eine Herrschaft Kädärs bisher durch eine relativ stabile Personalpolitik aus. Das schloß allerdings ein Personalkarussell nicht aus. Führende Politiker wechselten einmal von hohen Staats7 auf hohe Parteiposten und umgekehrt. Beispiel aus der Vergangenheit sind neben György Aczel auch Jänos Borbandi, der ebenfalls Stellvertretender Minister wurde, Käroly Nemeth, der als heimlicher Nachfolger Kädärs gilt und früher Erster Sekretär der Budapester Lokal-KP war, und Imre Györy, der frühere Erste Sekretär der Cson-grad-Distrikts-KP; beide wurden ZK-Sekretäre.

Neu im Politbüro sind außer Läzär noch der Chefideologe Miklös Oväri, der Vorsitzende des Jugendverbandes KISZ, Läszlö Märothy, und der Generalsekretär der Massenorganisation „Vaterländische Front“, Istvän Särlosy. Andräs Gynes, bisher Ungarns Botschafter in Ost-Berlin, übernahm an Stelle des im Vorjahr gestorbenen Zoltän Komos-Komoscin das Sekretariat für internationale Beziehungen im ZK.

Fazit: Ohne vom Prinzip des Zuk-kerbrotes abzugehen (man erinnert sich in Moskau noch deutlich des Aufstandes im Jahre 1956; eines Geschehnisses, das man angesichts der heutigen Weltlage keinesfalls zur Wiederholung gelangen lassen will) ist das ungarische Volk etwas stärker als bisher an die Parteikandare genommen worden. Es bleibt abzuwarten, ob man Moskau noch weitere Gefallen erweisen wird, etwa Umtausch von Parteiausweisen, um den „Gulaschkommunismus“ vor härterem Zugriff des Seniorpartners zu bewahren.

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