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Diilas als Erzähler

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DIE EXEKUTION UND ANDERE ERZÄHLUNGEN. Von Milovan D j i 1 a s. Nachwort von William Jovanovich. J.-Piper-Verlag, München. 317 Seiten. DM 19.80.

Keine Anklage gegen die neue Klasse wird diesmal protokolliert, auch keine „Gespräche mit Stalin“ oder mit einem anderen der Mächtigen dieser Welt aus der Zeit, in der Djilas selbst noch zu ihnen gehörte, werden aufgezeichnet. Es ist diesmal überhaupt nicht „Politik“, die der damals noch in Mitrovitza Inhaftierte zu Papier bringt. Djilas geht, wie William Jovanovich in seinem Nachwort richtig schreibt, die Straße von Belgrad nach Montenegro zurück. Er feiert im Geiste Wiedersehen mit dem Land und den Menschen seiner Jugend. Die schwarzen Berge sind keine idyllische Landschaft. Kampf, Haß und Mord haben seit Jahrhunderten bis in unsere Tage den Charakter ihrer Bewohner geprägt. Immer waren hier Messer in der Luft, zu allen Zeiten loderten in den Schluchten und auf den Höhen dieses kargen Landes die Feuer in Brand gesteckter Ortschaften. In zehn Erzählungen beziehungsweise Essays gibt Djilas Kunde von seiner Heimat und ihren Menschen.

Es ist ein Land ohne Gnade. Stets war, der Verfasser beschönigt niemand und nichts, der Bruder dem Bruder oft ein gnadenloserer Feind als fremde Eroberer. Alte Stammesund Sippenfehden sind nur im Zeitalter der Ideologien anders etikettiert gewesen. Die Härte, die einen Mitteleuropäer erschrecken muß, tritt nicht nur in der Erzählung, die dem Band den Titel gab, zutage, in der ein Partisan einem Bauern „den Tod spüren lassen will“, sondern auch in dem „Feuer und Messer“ überschriebenen Bericht über die Niedermetzelung von Djilas Mutter und seinen jüngeren Geschwistern durch konterrevolutionäre serbische Landsleute. Mitunter wiederum wird man im Thema, aber auch im Stil bei der Lektüre dieses Buches an Djilas weiteren Landsmann, den

Bosniaken Ivo Andric erinnert. Besonders bei der Lektüre der Novelle „Zwei Welten“ kommt einem Andric' Erzählung „Das Fräulein“ in den Sinn. Von beinahe antiker Tragik und Größe ist die letzte Erzählung „Der Aussätzige“, die der Rezensent an die erste Stelle reihen möchte. Ein vom Aussatz befallener montenegrinischer Bauer wird von der Dorfgemeinschaft isoliert, zuletzt eingemauert. In dieser Erzählung fällt ein Satz, der gleich einem Sonnenstrahl in die Zelle von Mitrovitza in Milo-van Djilas „inneres Gefängnis“ dringt, indem ihm sein einst als Weltanschauung laut verkündeter Atheismus noch gefangen hält. Der Aussätzige Lazar bekennt gegenüber dem Dorfgewaltigen Dodor: „Selbst das Vieh braucht mehr als einen gefüllten Trog und noch viel mehr verlangt es da erst den Menschen, der doch Gott zu seinem Ebenbilde geschaffen wurde“ (S. 273).

Brauchte es erst die Zelle von Mitrovitza, um diese Wahrheit in dem unter der Fahne des revolutionären Atheismus angetretenen Milovan Djilas wieder aufleuchten zu lassen? Diese Frage geht aber nicht mehr an den Erzähler Djilas, sie ist an den Politiker, vor allem aber an den Menschen gerichtet.

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