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Kommunismus ist kein Schicksal

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Er war Titos Kampfgefälir-te und Kritiker der Privile-gienhascherei der Kommunisten. Milovan Djilas bekam erst vor kurzem seinen Paß. Die FURCHE sprach mit ihm in Wien.

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Er war Titos Kampfgefälir-te und Kritiker der Privile-gienhascherei der Kommunisten. Milovan Djilas bekam erst vor kurzem seinen Paß. Die FURCHE sprach mit ihm in Wien.

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Als ein Mensch ohne Angst präsentiert sich heute der 76jährige Milovan Djilas, der seinerzeit mit dem Buchtitel „Die neue Klasse“ Aufsehen erregte und prompt dafür ins Gefängnis wanderte. Ohne Angst zu sein, bedeutet für den jugoslawischen Systemkritiker frei zu sein. Und diese Freiheit- so betont er gegenüber der FURCHE -hat er sich während seiner letzten Haftperiode in den Jahren 1962 bis 1966 erworben. „Seit dieser Zeit fühle ich mich frei. Ich sprach frei und schrieb frei, nur meiner Uberzeugung treu. Ob ich in London, Wien oder in Belgrad spreche - ich sage überall dasselbe.“

Jugoslawien steckt heute in einer tiefen ökonomischen, politischen und multinationalen Krise. Das politische System der Herrschaft einer Partei stellt für Djilas „die wesentlichste Ursache dieser Krise“ dar. Doktrinäre und dogmatische Ansichten provozierten die Krise, die bereits ein derartiges Niveau erreicht habe, daß man keinen Ausweg mehr finde.

Gibt es Hoffnungen auf eine Änderung? Milovan Djilas bejaht die Frage tendenziell. Die jungen Intellektuellen sind es, die ihn optimistisch stimmen. Bestimmte Tendenzen lassen nach den Worten Djilas eine .JCritik am System“ erkennen, ohne daß eine klare Organisation dahinterstünde. Ein gewisser Innovationsprozeß ist auch unter Soziologen und Ökonomen im Gange, die durchaus Kommunisten sind oder dem , Kommunismus nahestehen.

Obwohl in Jugoslawien sehr viel über die Bereinigung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten

„Die politische Struktur ist Grund für die Krise in Jugoslawien“

nachgedacht und die Notwendigkeit von Privatisierungsmaßnahmen erkannt werde, sei die Krise doch nicht rein ökonomischer Natur. Die politische Struktur ist Grund der Krise, die auch wirtschaftliche Konsequenzen mit neuerlichen Rückwirkungen auf die Politik zur Folge hatte. „Die Wurzel der Schwierigkeiten liegt in der spezifischen Art des Machtmonopols auf jeder Ebene des sozialen Lebens unserer Gesellschaft“ , betont Djilas.

Natürlich seien auch die Kommunisten mit dieser Lage nicht zufrieden. „Aber sie wissen auch nicht.was man tun soll. Eine Minderheit hält die Macht in ihren Händen, die Mehrheit will Änderungen, aber wie?“ Im Bund der Kommunisten Jugoslawiens gibt es zwar liberale Tendenzen, wie Djilas vermerkt, aber keine freie Theorie oder klare Vorschläge. Der Systemkritiker verweist auf das jüngste Plenum des Zentralkomitees vergangene Woche in Belgrad: „Es wurde alles besprochen, was in der jugoslawischen Gesellschaft existiert: liberale, nationale, doktrinäre, titoistische Tendenzen.“ Der Rückgriff auf Lenin oder Tito sei jedoch kein Ausweg aus der Krise.

Er selbst — so Djilas — sieht sich heute in erster Linie als Schriftsteller, nicht als politischer Führer. „Ich bin vollkommen zufrieden mit dieser Bestimmung.“ Trotzdem äußert er einige Wünsche, die er, hätte er eine politische Führungsrolle, verwirklichen wollte: „Grundsätzlich gesprochen gibt es für Jugoslawien keinen Weg in die Zukunft ohne eine freie Presse, ohne Meinungsfreiheit, ohne freien Informationsfluß. Wir brauchen den politischen Pluralismus. Desgleichen sollte eine gemischte Ökonomie erlaubt werden. Wir benötigen auch eine Privatwirtschaft, um effizient zu sein. Schließlich muß sich das Land auch dem ausländischen Kapital öffnen, der Außenhandel muß in Schwung gebracht werden.“

Wie soll denn das geschehen? Schritt für Schritt, ist Milovan Djilas’ Antwort. Die demokratische Entwicklung Jugoslawiens müsse langsam vor sich gehen.

„Eine demokratische Revolution würde nur provozieren.“ Zudem sei der Entwicklungsstand in Jugoslawien von Republik zu Republik sehr verschieden.

Und Michail Gorbatschows „Glasnost“ , hat sie für Jugoslawien irgendeine Bedeutung? Milovan Djilas verneint nachdrücklich diese Frage. Gorbatschows Reformen seien in oppositionellen Kreisen, nicht jedoch bei Regierungen beliebt. In Jugoslawien gebe es keinen Enthusiasmus für Gorbatschows Weg. Der sowjetische KP-Chef werde in den jugoslawischen Zeitungen zwar nicht kritisiert, die Informationen seien korrekt, aber es gebe keinen großen Einfluß. „Es handelt sich ja um unterschiedliche Situationen:

Gorbatschow steht heute dort, wo sich Jugoslawien vor Jahren befand.“ Trotzdem - so Djilas - sollte man Gorbatschow nicht unterschätzen, wenngleich Euphorie nicht angebracht sei. Gorbatschow bedeutet, wie Djilas erläutert, das Ende des stalinistischen, nicht des kommunistischen Modells. „Es wird also kein Ende des Machtmonopols einer Partei geben.“ Die Literatur werde freier, ebenso die Ökonomie, desgleichen der Umgang mit der Vergangenheit. Kritik an Lenin, an der Revolution, an der Machtstellung der Partei sei jedoch noch immer nicht gestattet.

Nach wie vor wolle die Sowjet-imion Osteuropa kontrollieren, be-

„Gorbatschow bedeutet nicht das Ende des kommunistischen Modells“

tont der Systemkritiker; zwar nicht ideologisch, wohl aber ökonomisch. Ein gewisses Autonomiestreben in den einzelnen Ländern Osteuropas werde aber auch Gorbatschow nicht mehr verhindern können.

Als größte Gefahr bezeichnet Djilas den sowjetischen Expansionismus. Dennoch glaubt der Systemkritiker nicht an eine Kriegsgefahr in Europa; denn niemand werde auf selten der So-wjetimion in den Kampf ziehen.

Hat denn der Kommunismus überhaupt Zukunft? Djilas meint, daß Kommunismus ,4cein Schicksal“ sei, sondern Ergebnis schlechter sozialer und nationaler Bedingungen. Deswegen gebe es für den Kommunismus in unterentwickelten Ländern auch große Sympathien. Die kommunistische Lehre über die Errichtung einer perfekten Gesellschaft bezeichnet Djilas jedoch als reine Utopie.

Er selbst - so Djilas - sei kein orthodoxer Antikommunist, sondern ein besonders kritischer Kommunist. „Ich glaubte an den Kommunismus, das war für mich eine spirituelle Kraft.“ Nach wie vor ist der jugoslawische Systemkritiker jedoch angewidert vom Prestigestreben der Kommunisten nach der Machtübernahme in Jugoslawien. Ein Denken, daß in Jugoslawien auch heute noch provoziert und Abwehrmaßnahmen des dogmatischen Kerns der Kommunisten hervorruft.

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