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Die hilfreichen Feinde

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Als der Streit zwischen Tito und Stalin ausbrach, begann der Westen mit Jugoslawien zu experimentieren. Man wollte Tito aus dem kommunistischen Ring herausreißen, von Moskau loseisen, aber Tito wollte nicht. Stalin war zu alt, zu selbstherrlich, um an eine Versöhnung mit Tito zu denken, aber Chruschtschow änderte den Zustand sozusagen über Nacht. Er versöhnte sich offiziell mit dem Marschall von Jugoslawien und zerstritt sich wieder offiziell mit ihm. Wie aber diese Feindschaft in Wirklichkeit aussieht, ist, wie die Engländer zu sagen pflegen, „ein Pferd von anderer Farbe".

Seit Monaten wettern russische und Satellit- Radio-Stationen gegen den jugoslawischen „Revisionismus“ und gegen Marschall Tito persönlich. Die Prawda öffnete ihre sonst so kommunistisch-keuschen Spalten jeder Anpöbelung, die sich gegen Jugoslawien oder gegen Tito richtet, alles natürlich unter den ewig wachsamen Augen des Moskauer Zentralkomitees, desselben Komitees, das unterdessen, rührend besorgt um die Sicherheit des feindseligen Jugoslawiens, die jugoslawische Armee mit den modernsten Waffen versieht und — aufrüstet.

Bereits 1953 schenkte Chruschtschow Tito eine komplette Atomversuchsstation (Vince bei Belgrad), später, als der Streit an Schärfe zunahm, wurde er großzügiger. Da die Jugoslawen technisch „zurückgeblieben" sind, mußte man ihnen helfen und — man half ihnen. Interessant ist dabei die Tatsache, daß diese Hilfe erst dann einsetzte, als der neue Streit Moskau—Belgrad offiziell breitgetreten wurde ...

Zuerst kam der russische Atomfachmann Ing. Michael L a z a j e v aus Lieberec in Böhmen, wo er drei Raketenbasen errichtet hatte, nach Laibach, bekam eine Luxusvilla im Vorort Mirje und zwei Autos und begann zu arbeiten. Er ist zweifelsohne ein tüchtiger Fachmann, denn es gelang ihm innerhalb von sieben Monaten, die Atomstation „Jeze Stefan“ bei

Laibach zu errichten. Auf einem Besuch in Vince bei Belgrad fand er, daß die Station nicht richtig arbeite, und da der Posten eines Chefs gerade vakant war, setzte er — natürlich mit Zustimmung Moskaus — den Sowjetingenieur S u d k o v als Chef ein. Außerdem_teilte er ihm den Ing. Hristjenko zu, den ehemaligen Assistenten des bekannten russischen Atomforschers A1 i h a n o v. Um nun eine gute Zusammenarbeit mit den beiden anderen Atomstationen in Laibach und Zagreb zu gewährleisten, kam der Tscheche Ing. Bohumil Jan als Direktor nach Laibach, und zu seinen Assistenten wurden seine Landsleute Ing. Frantisek B e d n j a 1 und Klaus Andrejekow ernannt. Die Apparaturen der beiden Stationen in Laibach und Zagreb sind nahezu zur Gänze ein Geschenk Rußlands und wurden von der Fabrik „Vihorlat“ in Sniny (Slowakei) geliefert.

Damit begann — im Frühjahr 1958 — der Zustrom russischer und Satellitenfachleute nach Jugoslawien. Im Mai 1958 kamen die Tschechen Ing. Dr. Leo Z e j s k a 1 und Prof. Dr. Stanislaus Bednafik nach Zagreb und im Juni 1958 die ostdeutschen Atomfachleute Prof. Gerhard B o e m, Dr. Karl Schenk und Prof. Dr. Isaak Levi nach Vince.

Damit war die erste Arbeit auf wissenschaftlichem Gebiete abgeschlossen, und nun begann die „Regenerierung“ der Armee. Die zweite Raketenbasis wurde im Juni 1958 bei Bosnisch- Dubica fertiggestellt, unterhalb der Kote 506 zwischen den Dörfern Palanciste und Bozici, an den Nordhängen des Kozara-Gebirges. Diese Raketenbasis - die als Versuchsstation registriert ist, untersteht dem V. Armeekömmando in Zagreb. Als Referenten beim Armeekom- . mando fungieren vorläufig russische, tschechische und ostdeutsche Fachleute. In Samobor bei Zagreb befindet sich das vierte Raketenzentrum (es müßte daher noch weitere drei geben) mit vier Flak-Raketenbatterien, die ebenfalls ein Geschenk Moskaus sind. Drei weitere werden jetzt zwischen Zagreb und Karlovac errichtet.

Wenn die Russen etwas schenken, dann interessieren sie sich auch, ob das Geschenk richtig verwendet wird — darum entsandte Moskau am 10. März 1958 seinen berühmtesten Mann, den „Vater des Sputnik“, Leonid Sedov, nach Jugoslawien mit dem Aufträge, alle modernen „Atomeinrichtungen“ Jugoslawiens zu inspizieren. In seiner Begleitung befanden sich der Direktor des Atominstituts in Moskau; Eugen F j o d o r o v, der bekannte Atomfachmann Peter Leonidovic und der Fachmann für moderne Ballistik Ing. Anatol Blagonravov. Die Kommission besuchte nicht nur die drei Atominstitute in Zagreb, Belgrad und Laibach, vielmehr auch die Uranminen in Kalni bei Knjaze- vac und in der Stara-Planina sowie etliche Bergwerke. In Kalni hatte die Kommission länge Verhandlungen mit dem Direktor der Mine, der „zufällig" auch wieder ein Russe ist, dem Ingenieur Lonja B i z u k, und mit dessen Erstem Assistenten, dem Ostdeutschen Ing. Helmut Strob- linger. Die Inspektionsreise dauerte vom 10. bis 28. März 1958. Am Tage der Rückfahrt hatte Genosse Ing. Sedov das Vergnügen, die eben aus Moskau heimkehrenden 200 Schüler der Belgrader Offiziersschule zu begrüßen, die sechs Monate zur Ausbildung in der Sowjetunion geweilt hatten.

Eine zweite Kommission, bestehend aus dem Direktor der Atom-Elektro-Zentrale in Moskau, Ing. Nikolajev, und den Assistenten Ingenieur I. Kvasin und T. Skobelcin, bereiste vier Monate lang ganz Jugoslawien, um geeignete Orte für die Errichtung weiterer Raketenbasen zu finden.

Jugoslawien besitzt nun eine Reihe von Raketenbasen und sogenannten Raketenzentren, aber — keine Fachleute. Der Gedanke liegt nun nahe, eine Anzahl geeigneter Offiziere nach Moskau zur Schulung zu entsenden, man hatte aber doch Bedenken, daß dies zuviel Staub aufwirbeln -könnte„ und..so wurde. besahlo eH ..die Sache zu „tarnen“. Im benachbarten, ebenfalls „feindlichen" Bulgarien wurde nun ein Spezialausbildungskurs für Kommandanten ins Leben gerufen und mit russischen Fachleuten beschickt. An dem Kurs, der am 5. Mai 1958 in Sofia begann und bis 15. Juli dauerte, nahm Generaloberst Kosoric teil, mit ihm 18 höhere Offiziere. Wenn man von Generaloberst Koso- r i c absieht, der aller Wahrscheinlichkeit nach als Referent bestimmt ist, kann man den Schluß ziehen, daß Jugoslawien in absehbarer Zeit 18 Raketenbasen errichten wird, sofern sie nicht bereits von russischen Fachleuten errichtet wurden. Das Material für diese Basen wird ebenfalls von Rußland geliefert — es handelt sich um russische Raketen vom Typ M-I. Interessant ist, daß dieses Material nicht direkt über Budapest oder Bukarest nach Jugoslawien geschafft wird, sondern vielmehr auf Umwegen über das „feindliche" Bulgarien und das noch „feindlichere Albanien.

Bereits 1957 wurde in Fiume, in der staatlichen Werft, eine Spezialabteilung zum Bau von „Atomschiffen und -U-Booten“ errichtet, die wieder unter der Leitung eines Russen, des Ing. Hristjenko, steht. Seine Assistenten sind die russischen Ingenieure Bjelalev und P e t h i n, der Tscheche Ing. Jan S 1 o u c h i und der Ostdeutsche Dr.-Ing. Wilhelm Brams. Seit August 1958 bemühen sich die Jugoslawen, Fachleute aus England, Westdeutschland und Amerika anzuwerben, doch scheinen sie bisher keinen Erfolg gehabt zu haben.

Das sind Fakten. Nun entsteht aber die nur zu berechtigte Frage: Was wird da für ein Spiel vor der ganzen Welt gespielt? Was ist das für eine seltsame Feindschaft zwischen zwei Staaten, die in Wirklichkeit eines Herzens und eines Sinnes sind? Es kann ja Vorkommen, dąj irgendwann irgendein Atomfachmann das dringende Bedürfnis verspürt, in fremde Dienste zu treten. Hier handelt es sich aber um Dutzende von Fachleuten, die Weltruf haben, wie der Sputnikerbauer Sedov. Es sind Leute, die — obwohl sie einer „feindlichen“ Nation angehören — in Schlüsselstellungen sitzen, um seltsame Kommissionen, die in ganz Jugoslawien umherreisen und eine „zurückgebliebene“ Armee selbstlos und auf eigene Kosten modernisieren.

Der Westen sollte, wenn es sich um das, jugoslawische Experiment handelt, doch etwas vorsichtiger sein. Die Russen verschenke kaum etwas ohne Gegenleistung, und die Atomaufrüstung Jugoslawiens ist nicht gegen den Osten gerichtet.

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