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Die Stadt der Kom inform

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Der Osten ist heute in Belgrad Trumpf. Die weiße Stadt am Kalimegdan streift jetzt den interessanten Kontrast von Hochzivilisation und nationaler Ursprünglichkeit ab, der bisher für das Milieu dieser alten Balkanstadt kennzeichnend war. Nun gibt in Belgrad jenes Reich den Ton an, vor dem es sich unter allen Hauptstädten der Halbinsel am längsten verschlossen hatte: Rußland. Was Belgrad heute durch die Einseitigkeit seiner staatspolitischen Orientierung verliert, dafür sucht es sich auf materiellem Gebiet zu entschädigen. Die Anlehnung an den Osten versdiaffte Tito einen Nimbus, mit dem er jetzt seine Bündnisverträge mit allen Ländern des Donaubeckens in Szene zu setzen wußte, ZugleicHerlebt Belgrad die Metamorphose von der südlich-lebhaften, aber doch bescheidenen Residenz zu den großsprecherischen Manieren einer Millionenstadt. Für die Regierung des Marschalls mit einer gegen früher doppelten Anzahl von Ministerien, für den Mittelpunkt einer nicht nur den administrativen, sondern auch den wirtschaftlichen Apparat total beherrschenden Beamtenschicht, als Leitstelle für die sechs Teilrepubliken, als Mekka aller Gesuch- und Bittsteller, ist das alte Belgrad viel zu klein geworden. Zudem wurde es im Vorjahre Sitz der in Warsehau gegründeten Informationsstelle der kommunistischen P a r t e i e n, die allein einen ganzen Straßenzug für ihre Dienststellen beansprucht. Außerdem beherbergt es das Generalsekretariat des ,,Gemeinsamen AJ1- slawischen Ausschusses“, dem der kroatische Spanienkämpfer Generalmajor Božidar M a s 1 a r i 5 und sein Kanzleichef, der Moskauer Slawist Igor N i k o 1 a j e v i c Medvedev vorstehen. Dieser Ausschuß, der die analogen Komitees in den slawischen Staaten lenkt, steht in seiner Bedeutung der Kominform nicht nach und auch seine Mitglieder waren mit dem sowjetischen General Gundorov in Prag versammelt, als der tschechoslowakische Ministerpräsident Klement Gottwald seine Februarrevolution absolvierte. Eine solche Anhäufung von Ämtern hat Belgrad in den hinreißenden Taumel einer Konjunktur versetzt, die sich in einem ungestümen Drang zur Erweiterung auswirkt, zumal auch dis letzt Durchkämmen der Stadt nach „unerwünschten Elementen“ und deren Abschub auf das Dorf nicht genügend Wohnraum freigemacht hat.

Weil nun das südliche Ufer der Save mit seiner Hügelkette keine günstige Lösung dieses Problems versprach, entschloß man sich, die unausweichliche Vergrößerung auf dem Nordufer, in dem ebenen, aber teilweise versumpften Gelände zwischen Semlin und der Landzunge am Zusammenfluß von Save und Donau, zu wählen-'Die Kühnheit dieses Stadtbauplans besteht nicht allein darin, auf einem durch Überschwemmung gefährdeten Grund von Flußsand ein neues Viertel für 250.000 Einwohner zu bauen, sondern auch in dem Vorhaben, den Schwerpunkt des bisher auf die Altstadt und seine Prunkstraße Terazija konzentrierten politischen Lebens nach dem Norden, nach „Novo Beograd“ zu übertragen. Die von den alten Erbauern völlig vernachlässigten architektonischen Möglichkeiten an den Ufern der beiden Ströme werden nun voll ausgenqtzt, Neu- Belgrad wird seine Alleen an langen und romantisch angelegten Kaimauern erhalten.

Dadurch wird das gewohnte Antlitz der Hauptstadt völlig verändert.

Neu-Belgrad ist in erster Linie zur Aufnahme der Regierung und der politischen Massenorganisationen bestimmt. Unmittelbar an der Donau wachsen schon die Betonpfeiler für das überdimensionale Palais des Ministerpräsidenten und Marschalls aus dem Boden, Es verschlingt wie alle anderen Baulichkeiten ein verschwenderisches Quantum an Arbeitskraft und Eisenbeton, weil seine Armierung wegen der drohenden Bodenwanderung sehr tief unter der Oberfläche erfolgen muß. Genau am Zusammenfluß der beiden Flüsse erheben sich bereits die Mauern eines vom Zentralkomitee der kommunistischen Partei errichtet en Hoch hauses, von dem die „Borba“ stolz feststellt, seine 65 Meter hohe Spitze mit dem Partisanenstern überrage sogar die Kote der jenseits aufragenden alten Türkenfestung Kalimegdan- Von beiden Palästen führen parallele Boulevards durch Grünflächen zu einem großartigen Platz, der künftig für Volkskundgebungen dienen soll. An der alten Bahnlinie von Belgrad nach Semlin entsteht das Parlament, an der Save die Staatsoper, beim Ministerratspräsjdiurn ein Staatshotel. Ihre Moptage ist nun soweit vorgeschritten, daß diese Mammutbauten noch im Herbst bezogen werden können, Die Grundmauern für das Innenministerium, die Nationalbank und das Gewerkschaftshaus werden eben gelegt, aber erst im nächsten Jahre fertiggestellt, während die übrigen Ministerien, das Zentralplanungsamt und andere Ämter erst am Ende des Fünfjahresplans 1951 übersiedeln können. Neu- Belgrad wird aus einem riesigen Kesselhaus ferngeheizt und einen Vergnügungspark auf der Donauinsel, Badeanlagen, Sport- und Spielplätze erhalten. Durch Neu-Belgrad und ein eigenes Universitätsviertel am Süd- ufer, durch mehrere Volks- und Mittelschulen und durch den Neubau der Nationalbibliothek, des, historischen, etnographi- schen und kunsthistorischen Museums wächst Belgrad auf beiden Seiten bis 1951 um 1,7 Millionen Quadratmeter verbauter Fläche an. Diese radikale Verwandlung verlangt daher auch eine ebenso radikale Lösung des Verkehrsproblems Der Hauptbahnhof wird nach Neu-Belgrad verlegt, wo auch der Zentralgüterbahnhof entsteht. Warentransparte werden künftig nicht mehr durch Belgrad geführt, sondern in einem weiten Westbogen über die neuen Industriestädte Zeleznik und Rakovica umgeleitet. Die Kettenbrücke an der Save wird durch eine 30 Meter breite Betonkonstruktion ersetzt eine weitere Brücke wird Neu-Belgrad mit den Vororten unter dem Kalimegdan verbinden, wo auch der Personenflußhafen weiter abwärts ein Güterhafen sein wird, der nach der Regulierung der Donau beirr Eisernen Tor auch Seeschiffe aufnehmen kann.

Die ungewöhnlich hohen Kosten dieses Projekts, an dessen Verwirklichung seit den Vorjahre gearbeitet wird, hat die Regierung aus den für die Volksrepublik Serbien unci für den Gesamtstaat bestimmten Investitionen abgezweigt. Die Materialbeschaffung erfolgt bevorzugt, weil dieses Objekt zu jenen fünf Kapitalvorhaben gehört, die der unbedingten Vorrang vor allen anderer Investitionen besitzen. Die Arbeitskräfte werden aus der Omladinajugend und de; politischen Organisationen der „Nationaler front" unter dem Titel eines freiwilliger Arbeitsdienstes geholt. Die Mobilmachung der willigen Omladina bereitet nach der Erfahrungen beim Bahnbau Schamatz-Sara- jewo und bei der Errichtung der Werkzeug- maschinenfabrik Zeleznik keine Schwierigkeit. Hingegen haben sich die Belgrader selbst bisher recht reserviert gezeigt, denn alle Aufrufe der Nationalen Front zum Arbeitseinsatz hatten ein nur mageres Ergebnis. Der Vorsitzende für Serbien, Dr. Neškovič, sagte unlängst tadelnd; „Unsere Front hat sid im Vorjahr recht unbefriedigend beim Ausbau von Wohnungen beteiligt, den Genossenschaften nicht geholfen, sie hat unzulänglich das Spekulantentum und die feindlichen Elemente bekämpft, obwohl dies die Aufgabe der Front gewesen wäre.“

Der propagandistische Elan des Regimes hat noch nicht vermocht, das Herz der geschäftstüchtigen Belgrader zu erweichen, weshalb nun andere Saiten aufgezogen werden. Nach einer Kundmachung der Frontexekutive muß jede Ortsgruppe in der Hauptstadt eine sogenannte Arbeitsbrigade bilden, deren Mitglieder von den Blodc- leitern straßenweise rekrutiert werden. Jede Brigade besteht aus Bataillonen, Kompagnien und Arbeitsgruppen, die ein Stab kommandiert. Nach der Aufstellung der

Brigaden werden die Verpflichteten an Sonn- und Feiertagen an der nächstgelege- nen Baustelle nicht nur tagsüber, sondern auch in Nachtschichten eingesetzt. Der scharfe fon dieses Befehls ist den Einwohnern in die Glieder gefahren und die Blockleiter werden es nun leichter haben, die vorgeschriebene Zahl von Hilfsarbeitern für die umfangreichen Erdbewegungen aufzutreiben. Außerdem hat man Arbeitskolonnen aus den südserbisdhen Bezirken, vielfach Albaner und Türken, herangezogen, wodurch auch dieser Engpaß durchbrochen werden konnte.

Die im Vorjahr öffentlich ausgelegten Ideenskizzen von Neu-Belgrad rangen um eine Synthese von nüchternem Eisenbetonskelett und einer vornehmen Würde, nirgends aber reichte leider die Phantasie aus, um Neu-Belgrad mit landschaftlicher Anmut zu verbinden. Vergeblich sucht man in den Entwürfen nach einem einzigen volksverbundenen Bauelement, obwohl sich hiezu eine einmalige Gelegenheit bot. Alles ist Fremde, Typus des Gemachten, Nicht-

normalgewachsenen. Wes ist um so mehr zu bedauern, als auf dem Balkan schon seit dem vorigen Jahrhundert nicht wieder gutzumachende Bausünden begangen wurden und schon die Geschichte den Bauherren von Belgrad eine besondere Verpflichtung auferlegt hätte. Die einmal erwartete Entschuldigung, die junge, eigene Architektur wäre einer solchen Aufgabe noch nicht gewachsen und müßte sich an fremde Vorbilder halten, kann schon deshalb nicht gelten, weil die vom Staate für den Bau von gemeindlichen Kulturhäusern ausgegebenen 31 Entwürfe sehr streng die Dorfhäuser der einzelnen Nationen Jugoslawiens zum Vorwurf genommen hatten, um stilgetreu zu bleiben. Warum diese Erkenntnis nicht auch auf Neu-Belgrad angewendet wurde, bleibt anverständlich. So wird Belgrad in wenigen Jahren für alle Europäer, die sich emma' in seinen Mauern wohlfühlten und gerade das an ihm liebten, was man nun zerstört, nämlich die von einer unbändig intensiven nationalen Eigenart belebte Note, eine zwar technische Neuheit, sonst aber nur ein monströser Fremdling sein.

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