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Westpost liest zuerst der Staatsanwalt

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Während die Streitkräfte der DDR (als die offenbar verläßlichsten) mobilisiert wurden, um den hartnäckig freiheitsdurstigen Völkern der ehemals österreichisch-ungarischen Sphäre des sowjetischen Machtbereichs Angst und gebührenden Schrecken einzujagen, nimmt Ost- Berlins Abgrenzungspropaganda gegenüber der Bundesrepublik ihren Fortgang.

Nach einem jetzt bekanntgewordenen geheimen Beschluß des SED-Po- litbüros soll die Funktionärs- und Mitgliederschulung „noch entschiedener mit dem Kampf gegen alle Varianten des Antikommunismus, den Sozialdemokratismus, gegen alle Spielarten des rechten und linken Opportunismus, des Nationalismus sowie mit dem Kampf gegen die antileninistische Politik und Ideologie der gegenwärtigen chinesischen Führer” verbunden, insbesondere auf die Auseinandersetzung mit dem „imperialistischen System in der BRD” konzentriert und „kontinuierlich auf lange Sicht” durchgeführt werden.

Alle DDR-Bürger, die auf Grund ihrer beruflichen oder politischen Funktion keine privaten Westkontakte haben dürfen, sind verpflichtet, trotz dieses Verbots zustandegekommene Kontakte zu melden. Dabei müssen die genauen Personalien der „Kontaktperson”, die Art des Kontakts und dessen Zustandekommen, der Inhalt aller Gespräche und des Briefwechsels präzise angegeben werden. Es sind Fälle bekanntgeworden, in denen aus der Bundesrepublik Deutschland oder aus West-Berlin eingelangte Post vom Empfänger in der DDR ungeöffnet zur „Überprüfung” abgegeben werden mußte.

Bekannt wurden Einzelheiten über die Überwachung von Westkontakten durch Volkspolizei und geheime Informanten; über geheime Briefzensur durch spezielle Computeranlagen und Telephonüberwachung; über die Tätigkeit der Paketkontrollämter, die Tätigkeit der Hauptabteüung Paßkontrolle und über Fahndungen des Ministeriums für Staatssicherheit und der Grenzzollämter; über den Einsatz von geheimen Informanten des Ministeriums für Staatssicherheit an den Transitstrecken zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Berlin.

Werden von diesem Kontrollapparat nicht angemeldete Westkontakte von DDR-Bürgern, die eigentlich gar keine derartigen Kontakte haben dürften, endeckt, so führt das in der Regel zu Disziplinarmaßnahmen und zu beruflichen oder sonstigen Nachteilen. Mitunter werden Telephongespräche aus dem Westen für sogenannte „abger grenzte” DDR-Bewohner von den Fernsprechvermittlungen ohne Unterrichtung der Empfänger unter verschiedenen Vorwänden abgewiesen.

Seit einigen Monaten werden DDR-Bürger, die ständig aus dem Westen Brief- und Paketpost erhalten, systematisch erfaßt, wobei außer den Empfänger- auch die Absenderanschriften notiert werden. Personen, die verbotener postalischer Westkontakte überführt wurden, mußten ihre eigenen Briefe von den im Westen lebenden Empfängern zurückfordem. Post aus dem Westen, die an in der DDR lebende Verwandte von Flüchtlingen gerichtet ist, wird neuerdings innerhalb eines noch nicht näher zu bestimmenden Zeitraums nach der Flucht nicht mehr zugestellt. Sie wird von den zuständigen Staatsanwaltschaften zurückgehalten, geöffnet und gelesen.

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