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Kein Fluchtloch mehr

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Um jegliches Ausbrechen in die Freiheit Unmöglich zu machen, haben sich die östlichen Nachrichtendienste jetzt zu einer verbesserten Zusammenarbeit entschlössen. Wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, trafen einander vor einigen Wochen in Warschau die Vizechefs aller östlichen Geheimdienste. Zur Debatte stand vor allem ein Thema: Aufdeckung von Fluchtwegen und Fluchthelferorganisationen. Die Zusammenkunft — an der erstmals auch ein Geheimdienstchef aus Jugoslawien teilnahm — erfolgte auf Betreiben des Ostberliner Staatssicherheitsministers Mielke.

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Um jegliches Ausbrechen in die Freiheit Unmöglich zu machen, haben sich die östlichen Nachrichtendienste jetzt zu einer verbesserten Zusammenarbeit entschlössen. Wie aus zuverlässiger Quelle zu erfahren war, trafen einander vor einigen Wochen in Warschau die Vizechefs aller östlichen Geheimdienste. Zur Debatte stand vor allem ein Thema: Aufdeckung von Fluchtwegen und Fluchthelferorganisationen. Die Zusammenkunft — an der erstmals auch ein Geheimdienstchef aus Jugoslawien teilnahm — erfolgte auf Betreiben des Ostberliner Staatssicherheitsministers Mielke.

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Dem Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit sind jetzt auch die Fluchtwege über Jugoslawien in den freien Westen bis in alle Einzelheiten bekannt geworden. Nach harten Verhandlungen mit den Vizechefs der östlichen Geheimdienste, versprach der jugoslawische Vertreter, keinem Bürger aus der DDR, aus Polen, aus Ungarn und der Tschechoslowakei mehr Asyl zu gewähren. Er garantierte die Auslieferung aller Bürger der Ostblockstaaten, die in Jugoslawien um politisches Asyl nachsuchen sollten, in deren Herkunftsländer. Damit hat sich Jugoslawien dem Ring der östlichen Geheimdienste angeschlossen und sich dem sowjetischen KGB unterstellt.

In diesem Zusammenhang findet ein gemeinsamer Beschluß der Geheimdienstchefs der Warschauer-Pakt-Staaten und des jugoslawischen Kollegen besondere Beachtung. Man wurde sich darüber einig, eine Zentrale zur „Erschließung“ von Fluchtwegen und „Erfassung“ von Fluchthilfeorganisationen zu gründen. Inzwischen wurde aus gut unterrichteten Kreisen bekannt, daß diese sogenannte Zentrale ihren Sitz im schlesischen Schweidnitz genommen hat. Unter der Leitung des sowjetischen KGB wurde bereits mit der Arbeit begonnen. So wurden den Jugoslawen die berüchtigten „Fahndungsbücher“ mit Namenslisten „unerwünschter Personen“ zugestellt. Es muß folglich davon ausgegangen werden, daß Jugoslawien der Schweidnitzer Zentrale einen „Tip“ gibt, wenn auf jugoslawischem Territorium eine solche „unerwünschte Person“ auftaucht.

Nicht zu übersehen ist unterdessen die rege Aktivität der Geheimdienste in den Ostblockländern. So hat die DDR ein engmaschiges Spitzelsystem eingeführt, um die im sogenannten Grundvertrag mit der Bundesrepublik vereinbarten menschlichen Erleichterungen unterlaufen zu können. Nachdem sich seit Monaten DDR-Bürger durch Verpflichtungserklärungen von

Westkontakten lossagen mußten,sind jetzt verschärfte Überwachungsmaßnahmen eingeführt worden. In den vergangenen Wochen sind in der DDR mindestens 130 Personen aus politischen Gründen festgenommen worden. Wie zu erfahren war, handelt es sich bei den Festgenommenen keineswegs um sogenannte Fluchthelfer, sondern zumeist um DDR-Bewohner, die angeblich illegale Westkontakte hatten.

Der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst hat aliein in Prag in den letzten zwei Jahren an die 50.000 Spitzel angeworben. Es wurde bekannt, daß sich die Meldestelle dieser Spitzel in der Bartolomejska-Straße befindet, wo auch die Berichte von einer speziellen Gruppe von STB-Agenten ausgewertet werden. Eine andere Gruppe befaßt sich neuerdings wieder intensiv mit der Beobachtung von Besuchern aus den westlichen Ländern. In allen Prager internationalen Hotels werden die Abhörgeräte, die in der Zeit des Präger Frühlings demontiert wurden, wieder eingebaut.

Einem westlichen Korrespondenz ten gegenüber hat Polen offiziell zugegeben, daß sich sein Geheimdienst an der Aufdeckung von Fluchtwegen aus der DDR in die BRD sowie von Fluchthüfeorganisationen aktiv beteiligt und in diesem Zusammenhang auch auf NATO-Ge-biet operiert. Die Regierungszeitung „Zycie — Warszawy“ gab kürzlich Details über die Verhaftung des bundesdeutschen Fluchthelfers Klaus Tiesei und 13 DDR-Flüchtlingen bekannt. Daraus ging hervor, daß Tie-.sel bereits in Frankfurt am Main beschattet wurde.

Aber auch in Bulgarien operiert der polnische Geheimdienst. Das geht aus polnischen Pressemeldungen über den Prozeß gegen den Westberliner Andreas Silver in Warschau hervor, der seiner in Polen lebenden Frau zur Flucht verhelfen wollte“. Silver wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt, nachdem er in Warna (Bulgarien) verhaftet worden war. Mit Billigung Sofias unterhält nämlich der polnische Geheimdienst in bulgarischen Touristenzentren eigene Residen-turen.

Nicht zuletzt können aber auch Urlaubsreisen in die Ostblockstaaten für ehemalige Bewohner dieser Länder, die in den Westen geflüchtet sind, sehr gefährlich werden. Gut unterrichtete Kreise äußerten die Warnung, daß für diese Personen die Gefahr einer Verhaftung und Aus-lieferung bestehe, da die sozialistischen Staaten Rechtshilfeverträge untereinander abgeschlossen haben. So sieht beispielsweise das Strafgesetz der DDR für „nicht genehmigtes Verlassen“ des Staates Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vor. Ähnliche Strafbestimmungen bestehen auch in der UdSSR, der CSSR, in Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Albanien.

Die perfekte Zusammenarbeit der östlichen Geheimdienste und der Ausbau des Sperrsystems entlang der Grenzen zu westlichen Ländern haben in letzter Zeit das Fluchtrisiko wesentlich vergrößert. Allein an der innerdeutschen Grenze hat das DDR-Regime 47.000 Mann Streitkräfte zur Fluchtverhinderung eingesetzt.

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