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Prenzlauer Internationale

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Die Entdeckungen in der Berliner Joachim Gauck-Be-hörde finden außerhalb der deutschen Grenzen verhältnismäßig wenig Echo. Das Ausmaß der Spionage im kulturellen Bereich der DDR, das dichte Netz der informellen Mitarbeiter des Stasi, die geradezu unfaßbare Dimensidn des Spitzelwesens schockieren jenseits der deutschen Grenzen kaum.

Sehr zu Unrecht. Denn was jetzt in Deutschland durch die nun offenliegenden kilometerlangen Archive erkennbar wird, gilt in ähnlicher Weise ebenso für die einstige UdSSR, für Ungarn, die einstige CSSR, Polen, Rumänien und Bulgarien, sogar auch für Jugoslawien. Nur wenige dort wollen dies allerdings wahrhaben. Und nur wenige dort sind, zum Unterschied von Deutschland, daran interessiert, die Akten der Geheimdienste zugänglich zu machen.

Vielleicht waren es gerade die schrecklichen Erfahrungen mit der Nazizeit und deren schleppender Aufarbeitung, die in Deutschland zu dieser dramatischen Offenlegung führten. Wie aus bisherigen Andeutungen hervorgeht, wirkten der Stasi und die Geheimdienste der damaligen Bruderländer aber auch intensiv nach dem Westen.

Nicht nur in der BRD, auch in Österreich, in der Schweiz, in Frankreich, England, Italien und in anderen Ländern waren in der Politik, in der Wirtschaft und -sehr ausgiebig - im Kulturleben Agenten und einflußreiche Per-

sonen dieser Geheimdienste tätig. Karrieren konnten aufgebaut und gestoppt werden. Manchmal war es ihnen möglich, Stimmung gegen oder für jemand zu machen. Die Fäden führten nach Ost-Berlin, nach Prag, nach Budapest

Logistik und Geldzuwendungen zeitigten dann in Paris und anderen westlichen Metropolen ihre Wirkungen, die vor allem während der Achtundsechziger-Bewegung von jenen, die dann marschierten, protestierten, Auslagen einschlugen, in den eigentlichen Zusammenhängen gar nicht erfaßt wurden. Die Aufdeckung der Verflechtung des Stasi mit der Scheinopposition vom Ost-Berliner Prenzlauer Berg durch deren Protagonisten Sascha Anderson und Rainer Schedlinski, die als informelle Mitarbeiter des Stasi deklariert wurden, veranlaßt weitere Folgerungen: die Geschichte der Kulturrevolution von 1968 im Westen wird neu geschrieben werden müssen.

Manche kulturellen Entwicklungen könnten bald in anderem Licht erscheinen. Paradox für die marxistisch-leninistische Ideologie ist allerdings, daß die Regierenden der Sozialistischen Länder sich so sehr mit dem intellektuellen Überbau beschäftigt haben. Die wirtschaftliche Basis nämlich war längst verloren, doch im kulturellen und ideologischen Bereich konnten die kommunistischen Strategien noch schauerliche Zerstörungen anrichten.

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