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Der Staat im Staate

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Die in dem Buch vorliegenden Analysen und Reportagen geben ein ausgezeichnetes Bild über die Strukturen, Grundlagen, Aufgaben, Praktiken und besonders über die noch lange anhaltenden und gefährlichen Nachwehen der ostdeutschen Staatssicherheitsdienste. Wie ein engmaschiges, riesiges Spinnennetz lag die „Stasi" über dem ostdeutschen Staat, sich immer tiefer in das Mark und den Geist von 16 Millionen Bürgern einsaugend, kontrollierend und lähmend. Als „Schild und Schwert" sich stolz selbstdefinierend, degenerierte die „Stasi" bald zu einem zynischen und kostspieligen Selbstzweck, zu einem alles beherrschenden „Staat im Staate". Mehr als 100.000 besoldete Mitarbeiter, mit wahrscheinlich weiteren Hunderttausenden freiwilligen oder erpreßten Informanten und Vertrauensmännern, bildete die Stasi nicht nur einen festen Teil des Regimes, sie war auch dessen Hauptstütze und ihr alles tragender Eckpfeiler. Die „DDR" ohne die Stasi wäre einfach unvorstellbar, und so schlecht sie auch funktionierte, funktionierte sie doch hauptsächlich wegen des gewaltig aufgeblähten, perfektionistisch arbeitenden, allgegenwärtigen Sicherheitsapparates. Natürlich wußte man auch im Westen vieles überdie geheimnisvolle Macht, aber so klar und logisch konnten die Einzelheiten erst nach der Wiedervereinigung belegt werden. Dabei trat Unerwartetes und Unglaubliches zu Tage.

Das Buch begnügt sich jedoch nicht mit der tristen Vergangenheit, die durchforstet wird und deren Höhepunkt unter der Ägide der beiden Erichs, Honecker und Mielke, erreicht wurde. Noch in den fünfziger Jahren gelang es Walter Ulbricht, den politischen Einfluß der Geheimdienste einzuschränken und aus ihnen ein blindes Werkzeug des Politbüros zu machen, das zum Beispiel die Korruption und das Schlemmerleben der SED-Spitze unbespitzelt und gänzlich ungeschoren lassen mußte.

Besondere Erfolge hatten die Spionagedienste (HVA) unter ihrem langjährigen Chef Markus Wolf zu verzeichnen, dem es gelang, selbst im westdeutschen Kanzleramt einen Meisterspion einzunisten. Natürlich wäre das Regime ohne die Perestrojka und Glasnost Gorbatschows kaum gefallen, aber daß es ihm doch noch eine Zeitlang gelang, nicht mit Moskau gleichzuziehen, geht sicher auf Kosten der Stasi. Allerdings war es dann Mielke, der sah, daß Honecker nicht mehr zu halten ist und der dann rasch Egon Krenz auf dessen Stuhl hievte, und bald danach Hans Modrow.

Der wichtigste Teil des Buches befaßt sich mit den Versuchen der Rest-Top-Mitarbeiter, auch im vereinigten Deutschland maßgeblich wirken zu können. Unter anderen werden zwei berühmte Fälle aufgerollt: Wolfgang Schnurr (CDU) und Ibrahim Böhme (SPD), die beide bereits an der Spitze ihrer Parteien standen, aber rechtzeitig erkannt wurden und, unter der Last ihrer früheren Zuträgertätigkeiten, gezwungen waren, zu demissionieren. Aus dem Buch wird klar, was das harmonische Zusammenwachsen beider Teile Deutschlands auch heute noch ernst gefährden könnte.

Allerdings konnten die beiden Verfasser eines nicht berücksichtigen, weil ja das Buch noch vor dem mißglückten Moskauer Augustputsch herauskam: Die enge Zusammenarbeit mit dem KGB ist heute passe, von dort haben die Stasi-Seilschaften kaum noch etwas zu erwarten. Ganz ausgezeichnet, klar und aufschlußreich sind die Organigramme, die beigelegt sind, besonders das, das sich auf der letzten Bandseite im Steckfach befindet. Die packenden und flüssigen Reportagen machen das Buch beinahe zu einer Thriller-Lektüre.

Wenn am Buche etwas zu bemängeln ist, so ist es das fehlende Namens- und Ort-Register.

STASI UND KEIN ENDE. Die Personen und Fakten. Von Manfred Schell und Wemer Kaiinka. Verlag Die Welt/Ullstein, Bonn-Frankfurt-Berlin 1991. 419 Seiten, öS 232,40.

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