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Millionäre von Gnaden der Staatssicherheit

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Österreich kam im Zusammenhang mit DDR-Fluchtgeld ins Gerede: Es könnte leicht noch viel mehr auftauchen als die 120 Millionen Schilling auf einem Wiener Konto. Man spricht von Milliardenbeträgen. Eine Neuerscheinung liefert dazu den Hintergrund. Politiker und Bankmanager, die ihren Blick für verdächtige Konten schärfen wollen, sollten „Das Schalck-Imperium lebt -Deutschland wird gekauft" von Peter-Ferdinand Koch (Piper Verlag) nicht ignorieren.

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Österreich kam im Zusammenhang mit DDR-Fluchtgeld ins Gerede: Es könnte leicht noch viel mehr auftauchen als die 120 Millionen Schilling auf einem Wiener Konto. Man spricht von Milliardenbeträgen. Eine Neuerscheinung liefert dazu den Hintergrund. Politiker und Bankmanager, die ihren Blick für verdächtige Konten schärfen wollen, sollten „Das Schalck-Imperium lebt -Deutschland wird gekauft" von Peter-Ferdinand Koch (Piper Verlag) nicht ignorieren.

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Während in der Ex-DDR nach wie vor Arbeitslosigkeit grassiert und Millionen Menschen in den letzten beiden Jahren Meinungsfreiheit und Zugang zu westlichen Konsumartikeln gewannen und dafür sichere Arbeitsplätze, Streßfreiheit am Arbeitsplatz, Betriebskindergärten und einige andere Annehmlichkeiten verloren, gelang einer Anzahl ehemaliger DDR-Funktionäre Beachtliches: Sie wurden DM-Millionäre.

Natürlich hatten sie nicht die Spielregeln der freien Marktwirtschaft in Windeseile erlernt und aus eigener Kraft Betriebe aufgebaut. Sie wurden vielmehr zu Nutznießern der großen DDR-Geheimniskrämerei. Im Dienste der Devisenbeschaffung war im westlichen Ausland ein streng geheimes, kompliziert verschachteltes System von Tarnfirmen aufgebaut worden, über das nur ein kleiner Kreis Bescheid wußte. Diese Eingeweihten hatten es verhältnismäßig leicht, riesige Werte an sich zu bringen, indem durch Beachtung des Prinzips „Eine Hand wäscht die andere" der Filz der Mitwisser in die informelle Privatisierungsaktion eingebunden wurde.

Als größter Startvorteil beim Aufbruch in ein neues Leben als Kapitalisten erwies sich die Tatsache, daß in diesem Wirtschaftsimperium der DDR im westlichen Ausland das Ministerium für Staatssicherheit das Sagen hatte.

Damit war der Kreis der Mitwisser einerseits gut überschaubar und andererseits verläßlich. Die Drahtzieher mußten keine Angst haben, kleinbürgerliche Hemmungen, wie Loyalität mit den DDR-Bürgern oder gar mit den westdeutschen Steuerzahlern, könnten ihre Kreise stören.

Koch kolportiert in seinem Paperback atemberaubende Schätzungen. Das Vermögen des Ministeriums, schreibt er, werde „von Experten", die er allerdings nicht nennt, „auf mindestens 65 Milliarden Mark der DDR hochgeschätzt", was immerman unter „hochgeschätzt" verstehen mag. In den letzten Tagen der DDR war in der Volkskammer sogar von 100 Milliarden D-Mark auf Schweizer Konten die Rede, „es sei kein Wunder, daß die DDR Konkurs anmelden müss""

Vieles ist aus naheliegenden Gründen nicht nachprüfbar, differenzierte psychologische Analysen zählen nicht zu den Stärken des Buches, streckenweise wirkt es wie eine erweiterte Zusammenschau dessen, was in westdeutschen Zeitungen und Magazinen zu lesen war. Doch* das grundlegende Faktum, eine der größten Staats-Ausplünderungen seit dem Zweiten Weltkrieg, steht längst außer Streit.

Wer wohl beim Auf-die-Seite-Räumen von Staatsvermögen „erfolgreicher" war - die Wirtschaftsexperten des Ministeriums für Staatssicherheit oder Drittwejt-Potentaten vom Bautyp Marcos? Erstere haben vor allem ein großes Handikap: Trotz einiger geradezu grotesker Fehlleistungen westdeutscher Minister stehen ihnen potente Gegenspieler gegenüber. Die verbissen nach Drogen-Schwarzgeld forschenden amerikanischen Fahnder bekommen Gesellschaft: die nach DDR-Schwarzgeld forschenden deutschen Fahnder. Wieviel von dem verschwundenen DDR-Staatsvermögen zustandegebracht werden kann, wagt derzeit niemand zu schätzen.

Der Mann, der einst die Devisengeschäfte der DDR leitete und nach deren Zusammenbruch zum großen Mentor der Geheim-Privatisierung wurde, heißt Alexander Schalck-Golodkowski. Koch zufolge wurde er im Zweiten Weltkrieg aus Polen nach Deutschland verschlagen und Ende der vierziger Jahre, nach Jobs als Rausschmeißer im Ostberliner Cafe „Astoria" und als Bäckerlehrling, von der „Volkspolizei" beim Schmuggeln gefaßt - und als Schmuggler von Staats wegen angeworben. Er erwies sich als zuverlässig und einfallsreich, fand in Hans Fruck, dem späteren Stellvertreter von Geheimdienstchef Markus Wolf, einen mächtigen Förderer und wurde in einer dem Geheimdienst unterstehenden Radiofabrik „getestet". Die Offenheit, mit der er Fruck gegenüber zugab, daß ihm seine dienstlichen Ausflüge zum „Klassenfeind" gefielen, flößte Fruck Vertrauen ein. Schalck dürfte davon, daß „die guten Seiten des Ostens durchaus mit den positiven Errungenschaften des Westens in Einklang zu bringen seien", zeitweise tatsächlich überzeugt gewesen sein.

Das „Psychogramm", das Koch von ihm zeichnet, ist etwas einäugig. Aber daß sich der adoptierte Schalck die in der DDR so wichtige, einwandfrei proletarische Abstammung zulegte, indem er alles, was auf die kleinadelige Herkunft als „von Golodkow-ski" hinwies, aus den polnischen Archiven tilgen ließ, klingt glaubwürdig.

Schalck: „Was ich gemacht habe, hätte auch ein anderer machen können. Ich hatte das Glück, daß ich ausgesucht wurde." Als „KoKo"-Chef (Bereich kommerzielle Koordinierung) agierte Schalck, so Koch, ebenso ineffizient und korrupt wie alle DDR-Machthaber, aber anders als die anderen konnte er sich im Westen ein Image als kompetenter Gesprächspartner und Könner in Devisenfragen aufbauen. Bei der Privatisierung von Staatsvermögen agierte er jedenfalls offenbar überaus effizient.

Die Seilschaften seiner einstigen Schüler reichen bis tief in die „Treuhand". Sie übertrug Schalcks ehemaliger Mitarbeiterin Waltraud Lisow-ski sogar „die Liquidation beziehungsweise Veräußerung der im Ausland und der alten BRD befindlichen Gesellschaften und Beteiligungen, die... durch die Abteilung .Firmen' des Koko-Bereiches kontrolliert wurden".

Und sie brauchte Monate, um drauf-zukommen, daß Lisowski die Fäden der Seilschaften zog. Nichts illustriert die Situation besser als die Tatsache, daß man ohne ihr Wissen auch nach ' dieser Entdeckung einfach nicht auskam.

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