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Kardinal zwischen allen Fronten

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Der Berliner Bischof Kardinal Afred Bengsch starb vor 17 Jahren. Er gilt als eine Zentralfigur in den Gesprächen zwischen Ostberlin und dem Vatikan.

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Der Berliner Bischof Kardinal Afred Bengsch starb vor 17 Jahren. Er gilt als eine Zentralfigur in den Gesprächen zwischen Ostberlin und dem Vatikan.

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Vor einigen Monaten durchforschten Historiker die Akten des einstigen Staatssicherheitsdienstes der DDR und stießen dabei auf Berichte, auf Grund derer dann Meldungen über den „Spion im Vatikan” durch die Gazetten liefen. Geheimberichte, etwa über die Besuche des deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt bei Paul VI. oder des DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker bei Johannes Paul IL, seien unmittelbar „von der Quelle” über Ostberlin nach Moskau geflossen, hieß es dort.

Hans-Joachim Fischer, langjähriger Vatikankorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”, enthüllt nun, was wirklich war, wobei vom Spionageroman wenig übrig bleibt. Vor allem aber klärte er die Rolle des Berliner Bischofs und Kardinals Alfred Bengsch als Zentralfigur in den Gesprächen zwischen Ostberlin und dem Vatikan. Fischer bezeichnet Bengsch als „Hauptakteur in jenem brisanten Dreiecksverhältnis Vatikan - DDR -Ortskirche jenseits des Ei sernen Vorhangs”.

Tatsächlich besaß das „Verhältnis” noch wesentlich mehr „Ecken”.

Die Teilung Deutschlands hatte vier der fünf kirchlichen Jurisdiktionsbezirke nerhalb der DDR von ihren Mutterdiözesen abgetrennt. Lediglich die Diözese Meißen-Dresden lag zur Gänze innerhalb der DDR. Die Zugehörigkeit zu den Mutterdiözesen bedeutete aber eine Lebensfrage, da von dort viel Geld in die devisenhungrige DDR floß. Damit mußte Bengsch auf die Amtsbrüder „drüben” Rücksicht nehmen.

In der DDR selbst sahen auch viele treue Katholiken keine Aussicht auf eine Änderung des Regimes und waren der Meinung, sich auch für dieses System engagieren zu müssen, selbst wenn die Kirchenführung aus ihrer 1 )istanz kein Hehl machte. Sie drängten den Bischof, der Regierung entgegenzukommen - während gleichzeitig im Westen alle (unerläßlichen) Kontakte mit Mißtrauen und Kritik verfolgt wurden.

Ferner spielten in die Inner-DDR-Geschehnisse auch die ebenfalls noch nicht festgeschriebenen Diözesan-grenzen in Pommern, Schlesien und Ostpreußen mit hinein, für den Vatikan auch die Lage der katholischen Kirche in den kommunistischen Staaten allgemein. Gegenüber der Behandlung der Katholiken in der CSSR oder in Ungarn genossen jene in der DDR doch gewisse Vorteile.

Die Regierung der DDR lechzte nach internationaler Anerkennung, die durch eine Angleichung der Kirchen- an die Staatsgrenzen gefördert werden sollte. Dazu hätte auch die Verselbständigung der „Ordinarienkonferenz” gehört, in der sich die Amtsträger der ostdeutschen Kirchenbezirke zusammengefunden hatten, ihre Unabhängigkeit von der Deutschen Bischofskonferenz.

Im Vatikan bemühte sich schließlich Staatssekretär Agostino Casaroli um eine Neufassung der Ostpolitik mit dem Ziel, die Lage der Katholiken im kommunistischen Lager zu verbessern - die Hoffnung, den Kommunismus „durchtauchen” zu können, woran etwa Kardinal Jozef Mindszenty geglaubt hatte, war längst aufgegeben.

Zwischen allen diesen Polen mußte sich Alfred Bengsch bewegen. Der hünenhafte Berliner, Jahrgang 1921, hatte seine Gymnasialausbildung in dem auch von den Nazis gehaßten und schließlich geschlossenen Jesuitengymnasium in CharloMenburg genossen. Seine schnoddrige „Berliner Schnauze” war Quelle zahlreicher Anekdoten und ließ ihn jedem gegenüber die schlagfertige Antwort finden.

1945 hatte Bischof Heinrich Wienken von Meißen für die Kirche in der Sowjetzone mündliche Abmachungen mit den neuen Machthabern geschlossen, wobei anerkannt wurde, daß die Kirche während des Nationalsozialismus verfolgt war und ihr daher die Vergünstigungen der „Opfer des Faschismus” zustanden. Hansjakob Stehle („Die Ostpolitik des Vatikan”) berichtet davon: Religionsunterricht, Priesterausbildung, ein katholischer Buchverlag, freie Bischofsund Pfarrerernennungen, öffentliche Prozessionen und Wallfahrten wurden der Kirche garantiert.

Die Schikanen setzten weiter unten an. Vor allem die Jugendweihe wurde zum Kernpunkt des Wettstreits um die Herzen der Jugend, zum Thema vieler Hirtenschreiben der Bischöfe.

Bengsch war nach nur relativ kurzer Seelsorgetätigkeit bereits im Mai 1959 - 38 Jahre alt - zum Weihbischof ernannt worden - damals war Berlin zwar vierfach besetzt, aber noch nicht geteilt. Am 13. August 1961 begann der Mauerbau. Am 16.

August wurde Bengsch zum Bischof von Berlin ernannt - in beiden Teilen der Diözese, deren Einheit er nun bewahren sollte.

Der neue Bischof vermied es, selbst mit den Funktionären des Staates in Kontakt zu treten. Die notwendigen Verhandlungen führten seine Beauftragten, die Prälaten Otto Groß und Peter Dissemond - und sie schienen alsbald in den Akten der Stasi als „informelle Mitarbeiter” unter den Tarnnamen „Otto” und „Peter” auf. Als nun nach der „Weende” diese Stasiakten bekannt wurden, wurden sie als „Verräter im schwarzen Rock” beschimpft, weil die „Aufdecker” keine Ahnung hatten, wie sie Berichte erfolgshungriger Stasioffiziere bewerten sollten.

Bernd Schäfer, der als Historiker im Auftrag der Bischöfe diese Vorgänge durchforscht, sieht im Briefwechsel der (west)deutschen und der polnischen Bischöfe vom November/Dezember 1965 den Beginn der Entwicklungen, in deren Mittelpunkt Bengsch stand. Diese Korrespondenz sollte die Konflikte zwischen beiden Völkern abbauen helfen. Bengsch hatte dazu Material beigesteuert. Der Briefwechsel fand im Westen positives Echo, wurde von den Bischöfen der DDB begeistert begrüßt und von den Regierungen in Warschau und Ost-Berlin scharf abgelehnt. Im „Neuen Deutschland”, der Parteizeitung, wurde er als „Aktion aus dem Geist des Bevanchismus” und Bengsch als „Mann Bonns” angegriffen.

Als Casaroli mit Belgrad zu verhandeln begann, um in Jugoslawien Verbesserungen für die Kirche zu erreichen, intervenierte Bengsch bei Paul VI., bei allfälligen Verhandlungen mit Ostberlin die Bischöfe vorher zu informieren. Das wurde zugesichert - aber nicht eingehalten. Ebensowenig wurde jedoch die DDR-Regierung von den Genossen in den Bruderstaaten über jeweilige Vatikankontakte informiert. Die vermeintliche zentrale Koordination der Kirchenpolitik im Ostblock war eine zeitgenössische Spekulation, stellt Schäfer fest. Im Oktober 1966 dachte man im Vatikan laut nach, ob nicht eine gemeinsame Neuordnung der westpolnischen und der ostdeutschen Diöze-sangrenzen vorteilhaft wäre. Bengsch war skeptisch - er fürchtete schwer abschätzbare Folgen, wenn aus einer rein kirchlichen eine staatskirchliche Maßnahme würde.

In einem Schreiben an Ministerpräsident Willi Stoph prognostizierte er „daß die Konzeption eines Weltanschauungsstaates auf die Dauer nicht zu halten ist, ... weil weltanschauliche Geschlossenheit in der modernen und differenzierten Welt... ein anachronistisches Ziel ist.” Im Oktober 1966 war in Bonn die CDU/CSU-FDP-Regierung durch eine große Koalition von CDU/CSU und SPD abgelöst worden, die die Ostpolitik in Bewegung brachte.

Im März 1967 schlug Bengsch in Rom vor, Apostolische Administratoren für Görlitz, Magdeburg, Erfurt und Schwerin einzusetzen - bevor noch mit der DDR-Regierung verhandelt werden müßte.

Als der „Grundlagenvertrag” zwischen Bonn und Ostberlin am 21. Dezember 1972 die völkerrechtliche Anerkennung der DDR sicherstellte, konnten beide deutsche Staaten in die UN aufgenommen werden. Für die DDR war damit aber die Notwendigkeit genommen, durch Zugeständnisse an die Kirche diese Anerkennung zu fördern.

Nun arbeitete die DDR-Regierung intensiv daran, die Diözesangrenzen regeln zu lassen. Als Bengsch von Stoph informiert wurde, meinte er: „Ich frage mich auch, was der Vatikan dazu sagt, wenn ich nicht zu politischen ... Fragen sprechen, aber nun zu außenpolitischen Fragen Stellung nehmen soll.” Immerhin hatte Bengsch den Eindruck, daß die Regierung keine Absicht hatte, am kirchenrechtlichen Status von Westberlin oder am relativ günstigen pastora-len Spielraum etwas zu verändern. Nach ersten Kontakten über Relgrad empfing Casaroli im Jänner 1973 eine DDR-Delegation. In ihrem Bericht wird der Staatssekretär zitiert, das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDB sei positiv, ja sogar mehr als positiv. Der Vatikan wrünsche, daß „dieser Zustand ... sich noch verbessern” möge.

Im Juni 1974 besuchte Casaroli Ostberlin, sprach mit Außenminister Oskar Fischer und Kirchenamts-Staatssekretär Hans Seigewasser und bremste deren Drängen, „reinen Tisch” zu machen. Bengsch warnte, ein fixiertes Abkommen könnte neue Zugriffsmöglichkeiten auf die Kirche bringen. Der Status quo dürfe kein Verhandlungsgegenstand sein. Casaroli hielt dem seine Meinung entgegen, wonach dieser Status quo in Gefahr sei, wenn der Vatikan nicht zu gewissen Zugeständnissen bereit wäre.

Als die DDR-Bischöfe im Herbst 1977 „ad limina” in Rom weilten, wurde ihnen mitgeteilt, daß der Vatikan die Errichtung von (eigenständigen) Diözesen plane - Bengsch protestierte. Er hielt den „Schwebezustand” für günstiger.

Am 6. August 1978 starb Paul VI., bevor noch das römische Dekret unterzeichnet war. Von da an war kaum mehr von einer Neuregelung der Diözesangrenzen die Rede. Johannes Paul II. verfügte selbst über zu gute Kontakte zu den Staats- und Kirchenführungen im Osten. Und das soll „bestimmten Kreisen im Vatikan” nicht gefallen haben, wie Casaroli in einem Stasi-Bericht zitiert wurde.

Kardinal Alfred Bengsch starb am 13. Dezember 1979 an Kehlkopfkrebs, erst 58 Jahre alt. Die Diözesangrenzen in den neuen Bundesländern wurden erst nach der „Wende” endgültig festgeschrieben.

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