Auch Distanz ist Politik

19451960198020002020

Weltanschaulich leistete die Kirche in der DDR Widerstand. Politisch blieb sie abstinent.

19451960198020002020

Weltanschaulich leistete die Kirche in der DDR Widerstand. Politisch blieb sie abstinent.

Werbung
Werbung
Werbung

Religion und Glaube fordern Menschen nicht nur spirituell heraus, sondern auch politisch-praktisch im Alltagsleben; gerade dann, wenn man versucht Glaube und Politik als zwei getrennte Ebenen zu betrachten, tappt man in die Falle, weil auch (scheinbare) Distanz zur Politik eine politische Haltung ist. Das wird am Verhalten der katholischen Kirche in der DDR deutlich.

So lautet der Befund der Historikerin Ute Haese: In ihrem Buch "Katholische Kirche in der DDR. Geschichte einer politischen Abstinenz" hat sie zahlreiche staatliche und kirchliche Dokumente, Korrespondenzen und persönliche Erinnerungen Beteiligter analysiert und kommt zu folgendem Urteil über die Kirche: Weltanschaulicher Widerstand ja, politischer Widerstand nein.

Anhand vieler Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Abtreibung, Verhältnis Staat-Partei, Schießbefehl, Wehrdienstverweigerung, Umgang mit progressiven innerkirchlichen Gruppen zeigt sich, so Haeses Befund, ein durchgängiges Verhaltensmuster: So war die katholische Kirche keine engagierte Kämpferin gegen das Unrecht in der DDR-Diktatur. Sie habe sich zwar weltanschaulich immer wieder auch öffentlich klar von der kommunistischen Ideologie distanziert, vermied aber praktisch jede Kritik und Widerstand gegenüber den alltäglichen staatlichen Unrechtshandlungen. Mit dieser Haltung habe die Kirche aber letztlich Macht und Handlungen des Staats akzeptiert. Die Amtskirche habe dies aus Überzeugung getan, aber auch aus politischem Kalkül, den eigenen Wirkungskreis nicht zu gefährden und als kleine Institution zu überleben.

Das wurde zumindest immer wieder als Erklärung von den kirchlichen Entscheidungsträgern als Entschuldigung genannt. Sehr zum Unterschied zur evangelischen Kirche, die zwar zahlenmäßig größer war als die katholische Kirche, aber in ihrem Widerstand gegen die Diktatur vielmehr riskierte. Erst in den 80er Jahren besann sich - bedingt auch durch neue Bischöfen - die katholische Kirche auch auf ihren politischen Auftrag als Kirche.

Als Beispiel für die Ambivalenz dieser Haltung nennt Autorin Haese die Beziehung der Kirche zur SED im Unterschied zum Ministerium für Staatssicherheit: Die SED war für die Amtskirche weltanschaulich ein rotes Tuch. Man lehnte jede Zusammenarbeit mit der Partei, die ja die Hüterin der kommunistischen Ideologie war, aus weltanschaulichen Gründen ab. Zum Ministerium für Staatssicherheit jedoch hielt man jahrzehntelang über Mittelsmänner Kontakt, arbeitete sogar teilweise zusammen, obwohl gerade die Stasi permanent menschenrechtsverletzend agierte. Der Grund für die eigenartige Unterscheidung: Das Ministerium für Staatssicherheit sei für die Kirche keine ideologische Institution, sondern staatliche Obrigkeit, der Respekt zu zollen war, gewesen.

KATHOLISCHE KIRCHE IN DER DDR Geschichte einer politischen Abstinenz. Von Ute Haese. Patmos Verlag, Düsseldorf 1998, 240 Seiten, geb., öS 364,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung