6748544-1967_18_01.jpg
Digital In Arbeit

Karlsbad und die Sicherheit

Werbung
Werbung
Werbung

Die Chefs von 24 kommunistischen Parteien Ost- und Westeuropas, die drei Tage lang in Karlsbad über europäische Sicherheit sprachen, hinterließen eine Deklaration, einen Aufruf für den Status quo, ein sehr allgemeines Programm mit Zielen, die längst bekannt sind und in der Bukarester Erklärung der War-echauer-Pakt-Staaten vom letzten Sommer konkreter formuliert waren. Auch diese Karlsbader Deklaration war schon im voraus formuliert worden, allerdings mit fast achtzig Abänderungen, die von den Teilnehmern beantragt worden waren — nicht zuletzt, um den zögernden Rumänen und Jugoslawen die Teilnahme doch noch schmackhaft zu machen. Vergebens.

Einheit gibt es nur noch in der Verschiedenheit, wie mir der italienische KP-Chef Longo in einem Gespräch in Karlsbad sagte. In Longos Rede, der nuancenreichsten, die man in Karlsbad hörte,' wurde den abwesenden Parteien (der rumänischen, jugoslawischen, norwegischen, niederländischen, isländischen und albanischen) bestätigt, daß sie in der europäischen Sicherheitsfrage „praktisch“ in der gleichen Richtung wie die anderen tätig sind. Den Finger auf die tiefere Wunde legten die Jugoslawen, in einem — unveröffentlichten — Brief an die Konferenz: Sicherheit in Europa sei Sache der Regierungen und aller politischen Kräfte Europas, nicht aber nur kommunistischer Parteien. Rumäniens Partei schließlich begründete ihre Absage in einem knappen Kommunique vom 25. April damit, daß der dem Karlsbader Treffen vorangegangene Meinungsaustausch „kein gemeinsames Einvernehmen über Charakter, Zweck und Modalität der Konferenz“ erzielt habe.

Was den in Karlsbad abwesenden Parteien — aber auch nicht wenigen anwesenden — mißfiel, war der sowjetische Versuch, die Entspannung mit Argumenten, Thesen und Methoden zu betreiben, die aus dem rostenden Arsenal der Klassenkampfideologie stammen.

Breschnew meinte in Karlsbad, die Sicherheit sei auch ein „gesellschaftliches Problem“, und er beschrieb sie schließlich sogar naiv als Triumph des Kommunismus auf dem Kontinent. Seine Folgerung war, daß es deshalb keinem Kommunisten erlaubt sei, „beiseite zu stehen“. Luigi Longo, der als einziger KP-Chef Europas Millionen freie Wähler hinter sich weiß, widersprach kaum verblümt, rühmte die Konferenz als „Konfrontation der Erfahrungen“ und warnte davor, die „Zirkulation der Ideen“ zu einer „unannehmbaren Einmischung in das Leben anderer Parteien“ zu machen. In der Karlsbader Schlußdeklaration findet sich denn auch die Verbeugung vor den „spezifischen Bedingungen“ jeder Partei. Auch das Wort „Klassenkämpf“, das Breschnew, Ulbricht und Gomulka in ihren Reden so eifrig benutzten, ist aus der Deklaration verschwunden. Sie besteht zwar scharf und entschieden auf dem Status quo in Europa und Deutschland und fordert den Verzicht auf den Bonner Alleinvertretungsanspruch als Voraussetzung eines Sicherheitssystems. Aber gleichzeitig gibt das Dokument keine konkreten Verhaltensmaßregeln gegenüber der Bonner Ostpolitik, obwohl Ulbricht in Karlsbad die Bruderparteien in dramatischem Ton vor einer — wie er es nannte — Appeasement-Politik gegenüber Bonn warnte.

Um sich von diesem Verdacht zu reinigen, äußerten sich der ungarische, der bulgarische und der tschechoslowakische Parteichef heftiger denn je gegen die Bonner Ostpolitik, ohne sich jedoch die Tür ganz zu verschließen. Wieder war es Longo, der direkt aussprach, was viele denken: „Es ist im gemeinsamen Interesse Europas, die Hindernisse auszuräumen die sich diplomatischen Beziehungen zwischen Westdeutschland und einer großen Zahl sozialistischer Länder einerseits und zwischen den Staaten Westeuropas und der DDR anderseits entgegenstellen.“

Sowenig die Sowjetunion in Karlsbad auch nur mit einem Wort ihre eigene Rolle als Großmacht im künftigen Europa definierte, sowenig schnitt jemand die Frage an, die unausgesprochen hinter, der Beschwörung des Bonner Revanchismus stand: Was wird, wenn sich in Bonn wirklich etwas Grundlegendes ändert? Wenn die Entspannung, die wie der Friede selbst unteilbar ist, nicht Halt macht vor den ideologischen Fronten?

Es war der polnische Parteichef Gomulka, der eine Brücke zwischen dem ideologischem Extrem und einer Realpolitik zu bauen suchte: Sein Vorschlag eines gesamteuropäischen, multilateralen Gewaltverzichtsvertrages wurde — als einziges halbwegs neue Element — in die Karlsbader Erklärung eingebaut. Ein solcher Vertrag soll nicht nur die Lösung strittiger Fragein mit friedlichen Mitteln (im Sinne der UN-Charta) gewährleisten, sondern allen Staaten, auch der DDR, Nichteinmischung in innere Angelegenheiten garantieren. So soll die Hauptsorge gebannt werden, die sich für die Kommunisten — von Ost-Berlin bis Sofia — mit der europäischen Entspannung (die sie aus Staatsräson wünschen) verbindet: daß der Westen ein politisch entkrampftes Klima so ausnutzen könnte.

Sollte nicht diese Anregung der Karlsbader Konferenz ernsthaft aufgegriffen werden — im Vertrauen auf die praktische Vernunft, die stets stärker ist als unpraktische Ideologien? Ein deutscher Gewaltverzicht, eingebettet und mitgarantiert durch einen gesamteuropäischen Einmi-schungs- und Gewaltverzichtsvertrag, könnte — in strenger Gegenseitigkeit — als Anfang eines breiteren Sicherheitssystems dienen. Er könnte den westdeutschen Gewaltverzicht, bei dein Osteuropäern so glaubhaft machen, daß auch die DDR ihn nicht mehr mißdeuten könnte. Und die Gremzfrage, ohnehin längst fiktiv geworden, wäre auf das reduziert, was sie in Wthrheit ist: die Friedensfrage, die ganz müßige Frage, ob Deutschland den zweiten Weltkrieg etwa nachträglich gewinnen kante...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung