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Der Dom mit den niedrigen Türmen

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Die Dome haben ihre Eigenart wie das Volk und das Land um sie. In ihnen spiegelt sich die Glaubenskraft und -freude ihrer Zeit. Mancher Baumeister durfte die Vollendung seiner Schöpfung nicht erlehen, Widrige Umstände beeinflußten, verzögerten oder vereitelten sein Werk zeit seines Lebens. Erst die Nachwelt sollte das Werk genießen.

Der Barockdom zu Temeschburg, umsäumt vom Karpathengürtel, beherrscht den blühenden Riesengarten am Mittellauf der Donau. Er durfte nach den Bausitten des Barocks kein Himmelstürmer wie seine gotischen Brüder in Ulm oder Wien werden. Deren Zeit war vorbei. Er sollte sich dem Landschaftsbild der Tiefebene anschmiegen. So hatte ihn sein Baumeister Joseph Emanuel Fischer von Erlach geplant. Der wirkliche Beweggrund aber, weshalb er der Dom mit den verhältnismäßig niedrigen Türmen werden sollte, war ein anderer. Zur Zeit seiner Aufführung (1736—1752) lauerte der Türke unweit an der Donau auf eine Gelegenheit zu einem Einfall in die pan-nonische Tiefebene. Der neue Dom als Sinnbild des vorgeschobenen Abendlandes durfte dem Feind keine billige Zielscheibe abgeben.

Der Georgsdom entstieg einem kampfumtobten Boden. Das Banat war seit den Tagen des heiligen Königs Stephan und des heiligen Gerhard, des ersten Bischofs von Tschanad, der abendländischen Völkerfamilie eingegliedert worden. Das kirchliche Leben blühte im Hoch- und Spätmittelalter in den zahlreichen Pfarren (224) und Stiften der Benediktiner (21) und Zisterzienser (2), der Paulinereremiten (3) und Prämonstratenser (1), in den Klöstern der Franziskaner (12) und Dominikaner (8). Da eroberten die Türken Temeschburg (1552). Auf die Domini-kanerkircho pflanzten sie statt des Kreuzes den Halbmond. Die bestehenden Kirchen und Klöster durften nicht renoviert, geschweige denn neue erbaut werden. Für einen Nagel, den ein Mesner in die Kirchentür schlug, mußte er zur Strafe eine Kuh abgeben. Die Prozessionen waren verboten. Die Glocken durften nicht geläutet werden. Eine einzige Glocke überlebte die Zeit der Türkenbesetzung (1552—1716). Den Titel des Bischofs von Tschanad führte ein Prälat in Ungarn. Mit bewunderungswürdiger Hingabe betreuten die Franziskaner die hirtenarmen Gläubigen. Ihre Klöster im Banat waren Zentren der Seelsorgearbeit für die Wandermissionare. In ihren Berichten nach Rom schildern die Franziskanerpatres die bedrohliche Lage und bitten um Mitarbeiter für die Seelsorgearbeit unter den Gläubigen, die aufnahmebereiter seien als die Völker im fernen Indien.

Der Dom am Begakanal erstand an dem Ubergang vom katholischen Abendland zum orthodoxen Morgenland. Er steht an der Scheidelinie zwischen zwei geistigen Mächten. Durch ihn wurde ein Brückenkopf zur getrennten morgenländischen Kirche errichtet. Kein Grenzpfahl. Nach der Rückeroberung des Banats durch Prinz Eugen von Savoyen übersiedelte der Bischof vom mittelalterlichen Sitz des heiligen Gerhard Tschanad nach Temeschburg, der neuen politischen Metropole des Banats (1724). Dasselbe tat auch der griechisch-orthodoxe Bischof von Betschkerek. Die Griechisch-Orthodoxen blieben im Banat den Katholiken zahlenmäßig stets überlegen. Neben einer halben Million Katholiken lebten fast eine Million Griechisch-Orthodoxe auf dem Gebiet des Bistums Tschanad (1910). Außerhalb der geschlossenen katholischen Ortschaften gab es wahre Diasporagemeinden.

Der Banater Dom gedieh im Zeichen des aufsteigenden Katholizismus in der Grenzmark. Nach dem Türkensieg Prinz Eugen von Savoyens wanderte der Katholizismus ostwärts (1716). Es war das eine Großtat des Sacrum Imperium: die Kolonisierung der von den Türken zurückgewonnenen Provinzen mit katholischer Bevölkerung. Die Zahl der Katholiken wuchs ansehnlich. In den zwei ersten Schwabenzügen (1723, 1763—1767) fluteten Tausende ausschließlich katholischer Familien aus Westdeutschland, häufig mit ihren Seelsorgern, in die 60 deutschen Neusiedlungen des Banats. Aber auch später strömten weitere Katholiken ein. Der Priesternachwuchs wurde im eigenen Diözesanseminar herangebildet

(1806). Das religiöse Leben erstarkte. Die Ordensleute leisteten am Aufbau der Kirche im Banat unschätzbare Dienste. Nach dem Abzug der Türken waren die franziskanischen Wanderpriester die ersten Seelsorger der hereinströmenden Katholiken. Die Gesellschaft Jesu (1725) und Piaristen (1773), die Armen Schulschwestern von Unserer Lieben Frau, München (1858), und die Schwestern vom Heiligen Kreuz, Ingenbohl, leiteten konfessionelle Schulen. Im Rumänisch-Banat gab es vor dem zweiten Weltkrieg 40% katholisch-konfessionelle Schulen. Erfolgreiche Mitarbeit leisteten die Salvatoria-ner (1895), die Barmherzigen Schwestern (1860) und jüngstens die Liobaschwestern.

Der „schwäbische“ Dom ist ein Kind der Neuzeit mit allen Vor- und Nachteilen. Das Banat war katholisches Neuland. Es rief die Glaubenspioniere auf den Plan. Die Aufgabe war nicht immer leicht. Das Geleistete ist das Gegenstück des unter unglaublichem Krafteinsatz und Fleiß der Siedler verwandelten Sumpfbodens zum idealen Kulturland. Freilich konnte man dem jungen, stürmischen Katholizismus nicht mit Unrecht vorhalten, er habe die gehobene Lebensform des klassischen Katholizismus besonders im beschaulichen Ordenswesen nicht ausgeprägt. Der Verlust der Vorzeit wurde nicht aufgeholt. Die dahin zielenden Bestrebungen nach dem ersten Weltkrieg wurden vor der Verwirklichung durch die Wirrnisse des zweiten Weltkrieges durchkreuzt.

Der Dom, die Mutterkirche der Diözese, versinnbildet die katholische Weltkirche und ihr Los als Braut des Gekreuzigten. So blieben auch der Banater Kirche die Stürme nicht erspart. Im Türkenkrieg (1788—1790) diente der Dom als Salzdepot. Der Friedensvertrag von Trianon teilte das Bistum Tschanad auf drei Staaten auf (4. Juni 1920). Der fast hermetische Abschluß der folgenden Jahre förderte anfangs keinesfalls die kirchlichen Belange. Der zweite Weltkrieg mit der Vernichtung der Donauschwaben und ihrer Priester schwächte den Banater Katholizismus beträchtlich. Hier wichen die abgetragenen Kirchen neuerrichteten Kulturheimen. Dort wurden die konfessionellen Schulen und die Klöster selbst aufgehoben.

Der Banater Dom beheimatet den Schwabenbischof. Msgre. Dr. Augustin Pacha aus Moritzfeld im Banat ist der 90. Nachfolger des heiligen Märtyrers und Bischofs Gerhard (1030—1046). Im Schatten seines Domos bearbeitet das kernige Bauernvolk seine Felder. Um den Hochaltar geschart, bringen die Gläubigen — darunter der Rest der Donauschwaben — mit ihrem Bischof ihre Gaben für sich und ihre in alle Windrichtungen Europas, angefangen von dem Departement Tarn bis zu den Arbeitslagern Rußlands und Amerikas, zerstreuten Angehörigen und Landsleute.

Der Dom mit den niedrigen Türmen ist den Söhnen und Töchtern des Banats das Sinnbild der Heimat. Voll unsichtbarer Anziehungskraft.

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