Geschwistern auf der Spur

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Die christliche Orthodoxie: Uns ganz nahe und doch seltsam fremd geblieben. Aus 1000-jährigem Leid auferstanden, faszinierend - aber vor neuen Gräben.

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Die christliche Orthodoxie: Uns ganz nahe und doch seltsam fremd geblieben. Aus 1000-jährigem Leid auferstanden, faszinierend - aber vor neuen Gräben.

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Zuerst die Legende: Ehe sich Großfürst Wladimir von Kiew im Jahr 988 taufen ließ und das Russische Reich dem Christentum weihte, hatte er Gesandte hinaus in die Welt geschickt: zu den Lateinern (Rom) und Byzantinern, zu den Juden und Muslimen. Nicht deren Glaubenslehre sollten sie erkunden, sondern deren Gottesdienste in Kirchen, Synagogen und Moscheen. Wladimir wollte wissen, welcher Kult die Herzen zu ergreifen vermag.

Heimgekehrt aus Byzanz, berichteten sie dem Großfürsten begeistert von den Christen im Osten und ihrer Liturgie: "Wir wurden dorthin geführt, wo sie Gott dienen", erzählten die Kundschafter, "und wissen nun nicht, ob wir im Himmel waren oder auf Erden. Denn so eine Schönheit gibt es bei uns Menschen nicht... "

Durch mehr als 1000 Jahre sind die Kirchen des Ostens seither gegangen - erschreckend viele davon randvoll mit blutigen Tragödien: Da war zunächst die Spaltung der Christenheit. Rom und Byzanz - aus Geschwistern wurden Erzfeinde unter demselben Gott. Eine Schande, die bis heute fortbesteht, allen Appellen und Dialogen zum Trotz. Dann folgten die Eroberungszüge des Islam. Noch immer leben und sterben Christen zuhauf als verfolgte Minderheit auf einst eigenem Boden. Und schließlich begann das Joch des atheistischen Kommunismus. Ein langer, furchtbarer "Karfreitag" - letztlich bis ins Jahr 1989.

Zwischen Konstantinopel und Moskau

Aber selbst dann, nach Ende der KP-Diktatur, sind den Kirchen im Osten manche Verwerfungen nicht erspart geblieben: Bald schon stritt die Orthodoxie mit Rom und allerlei Sekten, wer nun den religiös verdorrten Ostkirchen-Boden neu besiedeln durfte. Abwerbung von Gläubigen war der Vorwurf. Dann begann der Zwist zwischen Patriarchaten um den Vorrang - vor allem zwischen dem altehrwürdigen Zentrum Konstantinopel und einer zu neuer Macht aufgestiegenen Staats- und Kirchenführung in Moskau. Die Brisanz dieses Streits ist offenkundig: Da kam Kreml-Chef Putin soeben in die Klosterwelt des Athos und stilisierte sich mit dem Ruf "Christus ist auferstanden" zum neuen Helden des Ost-Christentums. Und gleich darauf fehlten vier Patriarchen unter Führung Moskaus beim großen "Panorthodoxen Konzil" auf Kreta, dem ersten seit dem Jahr 879!

Geduld und Leidensfähigkeit

Dort zeigte sich zudem die ganze Zerrissenheit beim Versuch, erstarrten Ballast abzuwerfen. "Ja zu Reform und Ökumene", sagte Bartholomaios I., der Patriarch von Konstantinopel, und mit ihm eine Schar erlauchter Mitbrüder. Denn die Orthodoxie sei auch der Welt von Morgen ihre Antworten schuldig. "Nein zu Kompromiss und Anpassung an den unchristlichen Zeitgeist", schwor dagegen ein Rest orthodoxer Hierarchen.

Viel theologischer und kirchenpolitischer Gesprächsstoff also, mit dem sich ab Sonntag in Salzburg die "Disputationes" im Rahmen der "Ouverture spirituelle" (siehe nebenstehendes "Intern") befassen werden.

Freilich: Schon immer war es dieses Spannungsfeld zwischen östlichen Schwesterkirchen - auch das Ausgeliefertsein an nationale Interessen - das die Geduld und Leidensfähigkeit zu zentralen orthodoxen Tugenden machte; das "Welt-Entrückung" noch höher reihte als "Welt-Verbesserung". Dennoch: Orthodoxie (d. h. "der rechte Glaube" bzw. "Lobpreis") - das ist jener uralte Ast des östlichen Christentums, der mit Rom und der Reformation zwar nahezu den gesamten Glaubenskern teilt. Der aber seine Theologie, seine Riten und synodale Führung (ohne päpstlichen Vorrang) nie wieder aufgeben möchte.

Orthodoxie - das ist aber auch ein spiritueller Schatz, der heute viele Menschen im "aufgeklärten" Westen fasziniert: mit seinen Kirchen - Schutzhöhlen der Seele. Mit dem Zauber seiner Liturgien - dem Mysterium von Tod und Auferstehung, enthüllend und verhüllend zugleich. Und mit seiner Welt der Ikonen und Hymnen - Fenster ins Ewige. - Kurzum: Mit seinem Anspruch, dem Geheimnis Gottes spürbar näher zu sein.

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