6607431-1954_28_03.jpg
Digital In Arbeit

Das Bundesstatut der Terroristen

Werbung
Werbung
Werbung

Als Gründungstage des Bundes „Vereinigung oder Tod“ wurden später der 9. und 13. März 1911 bezeichnet. Dem gewählten vielsagenden Titel entsprachen auch die Statuten; sie wurden in vollem Wortlaut in einer ersten Auflage, und als diese fast ganz durch Brand vernichtet wurde, in einer schamhaft gekürzten, alle revoluzzerhaften Akzente unterdrückenden zweiten Auflage 1917 anläßlich des in Saloniki gegen Mitglieder der „Schwarzen Hand“ geführten Prozesses von der Belgrader Regierung gedruckt, veröffentlicht. Der ganze echte Text der Statuten wurde 1926 27 in deutscher und französischer Uebersetzung von Doktor Boghitschewitsch veröffentlicht, ohne daß die Echtheit dieser Texte ernstlich bestritten wurde. In Artikel 2 bekennt sich die „Schwarze Hand“ zu dem Grundsatz, „der geistigen Propaganda die terroristische Tätigkeit vorzuziehen. Aus diesem Grunde soll sie für Nichtangehörige vollkommen geheim bleiben“. Nachstehend wörtlich die Satzungsbestimmungen der „Schwarzen Hand“:

„Art. 24: Es ist die Pflicht eines jeden Mitgliedes, neue anzuwerben. Es muß für alle, die es der Organisation zuführt, mit seinem Leben bürgen.

Art. 25: Die Mitglieder der Organisation sind sich untereinander persönlich unbekannt, nur die Mitglieder des Zentralkomitees kennen sich.

Art. 26: In der Organisation selbst sind die Mitglieder durch Nummern bezeichnet, nur das Zentralkomitee in Belgrad soll ihre Namen kennen.

Art. 27: Die Mitglieder der Organisation sind ihrem Komitee gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet, ebenso wie die Unterkomitees den ihnen übergeordneten Komitees.

Art. 28: Jedes Mitglied ist eidlich verpflichtet, dem Zentralkomitee in Belgrad alles, was es als Privatmann oder Staatsbeamter erfährt, sowie alles, was die Organisation interessiert, mitzuteilen.

Art. 29: Das Interesse für die Organisation ist allen ändern Interessen voran- z u s t e 11 e n.

Art. 30: Jedes Mitglied muß sich bei seinem Eintritt in die Organisation klar sein, daß es schon durch diesen Schritt seine Persönlichkeit aufgibt, daß es dort keinerlei Ruhm oder persönlichen Vorteil, sei es materieller oder moralischer Art, erwarten kann. Infolgedessen wird jedes Mitglied bestraft, das versuchen sollte, sich aus persönlichen, sozialen oder parteipolitischen Motiven der Organisation zu bedienen. Wenn es durch seine Tätigkeit der Organisation als solcher schadet, wird es mit dem Tode bestraft.

Art. 31: Wer in die Organisation eingetreten ist, darf nie wieder ausscheiden, und niemand kann sein Entlassungsgesuch nehmen.

Schließlich bestimmt Art. 33: Wenn das Zentralkomitee ein Todesurteil ausgesprochen hat, so ist es in diesem Fall allein von Bedeutung, daß es auch sicher voll- strecktwird. DieArtderVollstr ek- kung ist dabei gleichgültig. Abschnitt IV bestimmt über Siegel und E i d des Bundes. Artikel XXXIV: Die Organisation führt folgende Siegel: In der Mitte des Siegels hält eine starke geballte Faust eine entfaltete Fahne, auf dieser befindet sich als Wappen ein Totenkopf mit zwei gekreuzten Knochen; neben der Fahne ein Messer, eine Bombe und ein Giftfläschchen; ringsherum von links nach redits die Inschrift: „Ujedinjenje ili smrt“, darunter „V. C. Uprava“ (oberste Zentralleitung).

Artikel XXXV: Beim Eintritt in die Organisation wird folgender Eid geleistet:

Ich N. N. schwöre, indem ich in die Organisation „Vereinigung oder Tod" eintrete, bei der Sonne, die mich erwärmt, bei der Erde, die mich ernährt, bei Gott, bei dem Blute meiner Väter, bei meiner Ehre und bei meinem Leben, daß ich von diesem Augenblick an bis zu meinem Tode der Aufgabe dieser Organisation treu dienen und immer bereit sein werde, für sie alle Opfer zu bringen. Ich schwöre bei Gott, bei meiner Ehre und meinem Leben, daß ich alle Aufträge und

Befehle bedingungslos ausführen werde. Ich schwöre bei Gott, bei meiner Ehre und bei meinem Leben, daß ich alle Geheimnisse dieser Organisation mit mir ins Grab nehmen werde. Mögen Gott und meine Genossen in der

Organisation mich richten, wenn ich diesen Eid wissentlich oder unwissentlich verletze oder breche.

Die den Statuten angeschlossene Geschäftsordnung schrieb in Artikel III über d i e Form der Eidesleistung vor:

„Sobald ein Mitglied fünf oder drei neue Mitglieder gewonnen hat, spricht es mit ihnen zusammen den Eid. Der Eid wird in folgender Weise geleistet: Das Gründungsmitglied bestimmt im Einvernehmen mit seinem eigenen Gründer, der — wenn nichts anderes verfügt wird — der Eidesabnahme als Vertreter der obersten Zentralleitung gleichfalls beiwohnt, Zeit und Ort, wo es den Eid mit seinen neuen Genossen leisten wird. Das Zimmer, worin die Eidesabnahme erfolgt, ist verdunkelt. Inmitten des Zimmers steht ein mit schwarzem Stoffe bedeckter Tisch. Auf dem Tische befinden sich ein Kreuz, ein Messer und ein Revolver. Nur eine kleine Wachskerze erhellt das Zimmer.

Der Gründer hält zunächst eine angemessene Ansprache, welche die großen Aufgaben der Organisation, ihre Hauptgrundsätze aus dem Statut und der Geschäftsordnung sowie die Gefahren hervorhebt, denen sich die Mitglieder durch ihren Beitritt aussetzen. Zum Schlüsse fragt er, ob sie bereit seien, den Eid zu leisten. Wenn alle ihre Bereitwilligkeit erklären, tritt plötzlich aus einem Nebenraum ein völlig vermummter und maskierter Mann ins Zimmer — das Mitglied einer höheren Gruppe, das eigens dafür bestimmt ist.

Nunmehr sprechen der Gründer und ihm nach alle neuen Mitglieder mit deutlicher Stimme die Eidesformel. Wehn das ger schehen ist, küssen sich die neuen Mitglieder gegenseitig, und der maskierte Mann beglückwünscht sie alle zu ihrem Eintritt in die Organisation durch Händedrude, ohne jedoch ein Wort dabei zu sprechen. Er zieht sich dann sofort in den Nebenraum zurück, und das Eideszimmer wird erhellt. In dem erhellten Zimmer schreiben die neuen Genossen je einen Text des Eides eigenhändig ab, unterschreiben ihn und übergeben ihn dem Gründer, der jedem einzelnen seine Nummer sowie das vereinbarte Zeichen des gegenseitigen Erkennens mitteilt. Das vereinbarte Kennzeichen wird zeitweise geändert und durch Verfügung der obersten Zentralleitung bekanntgegeben.“

Dieses schauerliche Statut uni die beigeschlossene Geschäftsordnung wurde bei der Verhaftung des Obersten Dragotin Dimitrijevic am 15. Oktober 1916 von dem Platzkommandanten von Saloniki, Oberst Dunjic, der die Festnahme des Verschwörerführers vollzog, in der griechischen Ortschaft Ostrowo unter den Sachen des Dimitrijevic zur Zeit der Einteilung der serbischen Armeereste in die Salonikifront beschlagnahmt. In seinem Berlin 1933 erschienenen Werke „Der Salonikiprozeß“ vermerkt Dr. Hans Uebers- berger die Verwandtschaft dieses Eidrituals mit freimaurerischen Mustern. Sicher ist, daß wohl nicht der „Bund“, aber einzelne führende Mitglieder des „Bundes“ Freimaurer waren, so Dimitrijevic, sein intimer Freund Tan- kosic, der Konfident Ciganovic und, wie in dem Sarajewoer 1914 geführten Attentatsprozeß zum Vorschein kam, der Attentäter Öaprinovic.

Was damals in den Geheimkonventikeln mit den jungen Leuten getrieben wurde, die der serbischen revolutionären Propaganda zum Opfer gefallen waren, verrät eine Aeußerung eines dieser Unglücklichen, des aus Bosnien stammenden orthodoxen Theologiestudenten Gjuro S a r a c, der im Salonikiprozeß den Obersten Dimitrijevic: mit den Worten ansprang: „Es tut mir in der Seele weh, wenn ich daran denke, was ihr aus uns gemacht habt und was ihr aus uns machen wolltet. Man kann nicht alles vor Gericht Vorbringen. Das wissen Sie sehr gut. Doch wird auch hierfür die Zeit kommen. Ich habe von nichts Schlechtem gewußt, bevor ich in Ihre Hände fiel. Mich ergreift ein Schauder, wenn ich daran denke, was Sie aus uns gemacht haben.“ (Verhör in der elften Sitzung am 8. Mai 1917.)

In dem Gerichtsverfahren, das im Oktober 1914 gegen die Mörder des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo geführt wurde, richtete der Präsident ObergSriditsrat Doktor Luigi Curmaldi an den Angeklagten Üapri- novic die Frage: „War es Ihnen, bevor Sie sich zum Attentat entschlossen, irgendwie bekannt, daß Tankosic und Ciganovic Freimaurer seien? Hat es auf Ihren Entschluß Einfluß gehabt, daß Sie und jene Freimaurer seien?“

Caprinovic: „Ja.“

Präsident: „Erklären Sie mir das. Haben Sie von jenfen den Auftrag erhalten, das Attentat zu vollführen?

Caprinovic: „Die Freimaurerei steht mit dem Attentat insofern in Verbindung, als ich dadurch in meinem Vorsatz bestärkt wurde. In der Freimaurerei ist es erlaubt,

zu töten. Öiganovic sägte mir, die Freimaurer hätten Franz Ferdinand schon vor einem Jahre zum Tode verurteilt.“

Präsident: „Hat er Ihnen das gleich gesagt oder erst dann, als Sie ihm’sagten, Sie hätten Lust, das Attentat zü vollführen?“

Caprinovic: „Wir sprachen auch früher schon von der, Freimaurerei, allein er sagte uns nichts von diesem Todesurteil, bis wir uns definitiv zu dem Attentat entschlossen.“ (Nach dem amtlichen Stenogramm der Gerichtsverhandlung „Der Prozeß gegen die Attentäter von Sarajewo“, herausgegeben von Pharos, Berlin 1918).

In Sarajewo bestand vor dem ersten Welt krieg eine Loge, die zum Grand Orient von Frankreich, also mit dem romanischen Typus des Logenwesens Verbindungen hatte.

Auffallend trotz der scharfen Gegensätze zwischen Serben und Bulgaren und zu gewissen Wahrscheinlichkeitsschlüssen berechtigend ist die Tatsache, daß die bulgarische Bandenorganisation in Mazedonien denselben Titel („Vereinigung oder Tod“) trug, wie die Belgrader und auch sie das Totenkopfsiegel gebrauchte, eine Gemeinsamkeit, die auf eine geheime, über die Staatsgrenzen hinausreichende Verbindung dieser unterirdischen Organisationen hinzudeuten scheint.

(Die Artikelserie wird fortgesetzt.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung