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Witz und Satire in den Wiener Sturmtagen

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So wie jede Revolution hat auch die Erhebung des Jahres 1848 nach einem geistvollen Wort des Nationalökonomen List ihre „saure Reaktion" gehabt. Diese sonst nur aus der Chemie bekannte Erscheinung hängt mit gewissen „unsterblichen“ Eigenschaften des Wiener Bodens zusammen.

Bekanntlich waren ja die Ereignisse vom März bis November 1848 keine allgemeine Volkserhebung, sondern gingen in ihren Anfängen von dem unzufriedenen Bürgertum aus. Der geistige Druck, der damals auf den Gebildeten lastete, wurde von der breiten Masse des Volkes kaum empfunden oder mit einem derben Witzwort, „einem bodenständigen Gesangei“ abreagiert, die für die Zensur ungreifbar blieben, von ihr auch kaum verfolgt wurden. Desto fühlbarer waren für die breiten Massen der Wiener Bevölkerung, die sich von der Revolution vor allem eine materielle Verbesserung erhofften, die bald eintretende Verschlechterung der Lebensverhältnisse, der Schwund der Wiener Gemütlichkeit, die Teuerung und die Schrecknisse der militärischen Belagerung in den Oktobertagen. Die Schuld an„ diesen durchaus nicht nur ideellen Enttäuschungen wurde nicht Win- dischgrätz und Jellacic, sondern den landfremden Führern des Aufstandes angekreidet, war doch Robert Blum aus Leipzig, Messenhauser aus Schlesien, der spätere General Bern, der „Held von Ostrolenka“, aus Polen nach Wien zugewandert. Die Überhebung dieser Leute, sowie überhaupt der Hochmut der Studenten und der Bürgergarden, wurden genau so wie die Ausschreitungen des Pöbels von der überwiegenden Zahl der Wiener Kleinbürger mit Unwillen zur Kenntnis genommen. Am empfindlichsten aber reagierten die Wiener damals so wie später gegen bestimmte Begleiterscheinungen des Aufstandes, die bombastische Aufmachung, der theatralische Aufputz der Garden, die großsprecherischen Verheißungen, die mit den wirklichen Zuständen im augenscheinlichen Widerspruch standen.

So ist es denn kein Wunder, daß das Volk von Wien, die vielen Geschädigten und Geprellten gerade unter den kleinen Leuten, ihrem Mißvergnügen sehr bald durch eine Menge von Spottversen, Karikaturen und Flugblättern Ausdruck gab, satirische Nebengeräusche des großen Sturmorchesters, die doch dem Bild dieses widerspruchsvollen Zeitabschnitts ein paar charakteristische Lichter aufsetzen. Heute allzuwenig bekannt und von späteren Epochen mit Bewußtsein totgeschwiegen, sind sie für die Kenntnis des Wiener Wesens von dauerndem Wert.

Die Erscheinung der Nationalgarden in der revolutionären Montur, Leibgurt, Kokarde, Schleppsäbel und die riesigen feder- überwallten Hüte, unter denen zumeist gutmütige, gar nicht kampfwütige Antlitze hervorlugten, erregten bei den Wienern Aufsehen und häufig Spott. Der Tiroler Adolf Pichler, der das Sturmjahr bei der Wiener Studentenlegion mitmachte, ohne daß sein Scharfblick durch die revolutionäre Begeisterung getrübt worden wäre, berichtet in seinen „Erinnerungen an das Sturmjahr“, es seien viele wohlhabende

Wiener Bürger nur deshalb zu Offizieren ernannt worden, damit sie ihrer Mannschaft ein paar tüchtige Liter Wein aufwichsen könnten und viele von ihnen hätten sich vor Beginn der Belagerung auf ihre Landgüter nach Baden, Vöslau und Krems ge-t flüchtet.

Die wirkliche Stimmung eines solchen „Bürgergenerals“ zeichnet ein Flugblatt vom Oktober 1848, das 1850 in den „Alten Fliegenden“ abgedruckt wurde. Es betitelt sich: „Philisters Klage“ und trägt das Bild eines Wiener Spießbürgers mit Uniform, Gewehr, dreifarbiger hoher Mütze, nebst den Versen:

O Jammer, was für Zeiten!

Ich Tor ließ mich verleiten —

Man wül jetzt lauter Helden —,'

Zum Freikorps mich zu melden.

Sonst ging ich ruhig spazieren,

Jetzt muß ich exerzieren,

Da schlepp ich die Muskete Mit rostigem Bajonette,

Frühmorgens ausmarschieren,

Bis 10 Uhr exerzieren,

Zu'Mittag kalte Küche,

Am Abend Freiheitssprüche Und in der Nacht Erneuten,

O Jammer, das sind Zeiten!

Zu den Unzufriedenen des Vormärz zählten bekanntlich auch die Lphrer, damals noch Schulmeister genannt, die sich auf dem Larnįp von Gutsherrschaft und Geistlichkeit vielfach unterdrückt fühlten. Aber die Ablöse der Naturalentlohnung durch Gehalt in Geld fand so wie die Grund ablöse bei der bäuerlichen Bevölkerung auch nicht ungeteilte Befriedigung. So erscheint in den gleichen „Alten Fliegenden" ein Schulmeister, der erklärt, er wolle in seinem Dorf lieber — Gemeindehirt werden, denn er bekomme für jedes Schulkind jährlich nur 36 Kreuzer Gehalt pro Kopf, für jedes Schwein dagegen 52 Kreuzer und außerdem als Deputat noch ein halbes Schwein, Wurst und Schinken. Auch finde er bei der Betreuung der Borstentiere mehr Ruhe und Anerkennung als bei den widerspenstigen Rangen. Schließlich hält er an die Zuhörc- eine Kapuzinerpredigt im Stil Abrahams a Santa Clara:

Ich frag euch, Leute, wer hat Schuld An dem umwälzenden Tumult?

So kennt ihr nicht das giftige Tier,

Das sich allzu breit machet allhier.

Das Tier heißet Neudenkerei.

Aufklärung, Zeitgeistierei.

Es heißt Deismus und Atheismus.

Mit einem Wort Antichristianismus Eheu, hine illae lacrimae,

Von daher kommen ins Hemd die Flöh, Von daher kommt das schlechte Geld Und aller Unfug dieser Welt,

Von daher kommt der Menschen Plag Von heute bis zum jüngsten Tag.

Drum lasset euch mein Wort gefallen:

Traut lieber allen als den Liberalen!

So wie in vielen Pamphleten dieser Zeit schillert auch hier die Satire nach verschiedenen Seiten und zeigt deutlich die zwiespältige Stimmung weiter Volkskreise.

Auch eine originelle weibliche Gestalt findet sich unter den Zeitkritikern, „das

Aschenweib von 1848", eine Nachfahrin des berühmten Raimundschen Aschenmannes. Ihr geistiger Vater war der Volkssänger Johann Ernst. Ein zeitgenössischer Kupferstich des Schottenfelder Künstlers Anton Leitner zeigt sie mit Stock und Aschenbutte auf dem Hintergrund der herbstlichen Wiener Landschaft, ihre lamen- tabeln Strophen absingend:

Der Oberkommandant — ich hab ihn gut gekannt —,

der Messenhauser hieß, der wurde für gewiß, weil er der Wienerstadt viel Unglück hat gebracht,

zur Straf erschossen dann, bald wird auch dieser Mann ein Aschen!

Nehmt, Leutln, euch in acht, daß ihr kan Fehltritt macht.

Seid nicht zu hitzig gleich

sonst wird zu früh aus euch ein Aschen —.

Damit ist die Zahl der satirischen F guren, die gegen die Auswüchse der Revc lution Stellung bezogen, noch lange nid,’ erschöpft. Auch die Wiener Vorstadtbühner ließen es an Ausfällen gegen die unbeliebt gewordenen Freiheitsmänner nicht fehlen. Hatte es früher im Leopold- und Joset- städtertheater, in den Simpelkomödien u d Praterbuden versteckte Seitenhiebe gegen Metternich, Latour und die Zensoren geregnet, so wandte sich in der zweiten Hälfte des Jahres 1848 der Spott der Theaterdichter und -akteure häufig gegen die Revolutionsheiden. Besonders der „Miles Glo riosus" der Wiener Sturmtage, Genera. Josef Bern, der wegen seiner Überheblichkeit auch in seinen eigenen Kreisen unbeliebt war, wurde zur Zielscheibe des Eühnenwitzes. Seine mehr abeniteuerliche als heldische Flucht nach Ungarn, später in die Türkei, wo er sich Murad Pascha nannte, machte ihn zum Gegenstand eines Spektakelstückes, in dem er in einem exotischen Kostüm' mit Roßhaarschweif und Krummsäbel erschien und prahlerische Verse deklamierte.

Nicht besser ging es mit der Einführung der heiß ersehnten Pressefreiheit, derer Auswüchse Grillparzer, Stifter und Hebbel beklagten. In ihrem Gefolge überschwemmte, eine Flut von hohler Phrasenliteratur. Schmutz- und Schundschriften die aufgewühlte Stadt und verwirrte alle Begriffe von einer anständigen Publizistik. In Anspielung auf eine berüchtigte Offizin am Bauernmarkt sang der Volksdichter Wilhelm Betz:

Schmutzwäschen wird hier eingestampft,

Bis daß der Schmutz aus Büchein dampft —

Und noch bündiger ein unbekannter Wiener Straßensänger:

Aus Lumpen macht man cthreibpapier,

Ich und du kanm nichts dafür —.

Das witzigste Zeitbild zeichnete zweifellos Johann Nestroy in seinen beiden berühmten Possen: „Die Freiheit in Krähwinkel“ und „Die Lady und der Schneider“, die am Leopoldstädter Theater Lachstürme erregten, wobei der weitk’uge Grazer für keine der beiden Parteien eine ausgesprochene Sympathie erkennen ließ, sondern nur die wahre Stimmung der Wiener zu zeichnen suchte:

Wir haben exerziert und uns genug strapaziert,

Und können wohl auch sagen, wir haben was probiert!

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