"Das romantische Roma-Leben gab es nicht“

Werbung
Werbung
Werbung

Rudolf Sarközi wurde 1944 im Zigeuner-Anhaltelager Lackenbach geboren. Heute setzt er sich als Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma wie kein anderer für seine Volksgruppe ein.

Die Furche: Würden Sie den Begriff Roma mit dem Wort Zigeuner gleichsetzen?

Rudolf Sarközi: Ich stehe dem Wort Zigeuner negativ gegenüber. In unserer Sprache, Romanes, kommt es nicht einmal vor. Viele Leute kennen ihre eigene Geschichte nicht und nennen sich deswegen Zigeuner. Vor ungefähr zehn Jahren habe ich Hans Dichand beim Donauinselfest getroffen und ihn drum gebeten, in seiner "Kronen Zeitung“ das Wort "Zigeuner“ nicht mehr zu verwenden. Dichand hat auch nicht gewusst, dass dieses Wort so negativ konnotiert war. Seitdem habe ich das Wort nie wieder in der Krone gelesen.

Die Furche: Wie behandelt das heutige Europa seine Roma?

Sarközi: Das kann man nicht in einem Satz beantworten. Fakt ist: Jeder Staat muss für seine Staatsbürger aufkommen. In Ungarn gibt es Übergriffe, auch in der Slowakei leben die Roma in purer Armut. Die Staatsoberhäupter müssten sich mal vor sie hinstellen und sagen: Ihr gehört auch zu unserem Land.

Die Furche: Vor 16 Jahren verloren vier Roma bei einem Bombenattentat in Oberwart ihr Leben. Wie hat dieser Anschlag Österreich geprägt?

Sarközi: Ich werde den 4. Februar 1995 nie vergessen. Es sitzt immer noch tief. Ohne jeden Zweifel: Die vier waren Märtyrer. Sie starben und zeigten unser unsichtbares Leben in der Gesellschaft auf. Nach dem Anschlag hat sich für uns viel geändert und man begegnete uns in der Öffentlichkeit sehr kollegial. Viele Missstände wurden aufgedeckt und geändert. Wir waren endlich in der Mehrheitsbevölkerung angekommen.

Die Furche: Worin unterscheidet sich das Leben der Roma von früher?

Sarközi: In der modernen Zeit hat sich viel verändert. Auch wenn es in der Kunst und Literatur oft so dargestellt wurde: Das romantische Roma-Leben gab es nicht. Viele führten ein Leben in Armut und zogen deswegen von Ort zu Ort. Auch wir im Burgenland hausten noch in Armut und Diskriminierung: ohne Fließwasser, ohne WC. Unter den Schulkollegen gab es nie Zankerein, nur außerhalb der Schule bekamen wir öfters von Eltern zu hören: "Der Zigeina kommt ma ned ins Haus.“ Angeblich ließen früher gewisse Lokalbesitzer keine Roma in die Diskos, im 21. Bezirk wurden die Roma-Kinder ohne Widerrede einfach in die Sonderschule geschickt. So etwas gibt es heute nicht mehr. Mein Enkerl ist der erste Maturant in meiner Familie. Auf eine Glückwunschkarte hab‘ ich ihm geschrieben: "Deine Großmutter konnte nicht lesen und schreiben - du machst Matura. Auch die Geschichte Österreichs oder des Burgenlands wird nun endlich mit den Roma geschrieben. In meiner politischen Tätigkeit wurde ich zum Du-Freund vom Bundespräsidenten. Ich weiß nicht, ob das früher möglich gewesen wäre.

Die Furche: Welchen Wunsch könnte man Ihnen und Ihrer Volksgruppe erfüllen?

Sarközi: Die Roma sollen wieder als Gruppe zusammenfinden. Viele wollen von ihren Wurzeln nichts mehr wissen und flüchten in die Anonymität. Viele Junge wollen von Tradition nichts mehr wissen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung