Bei den Hundeessern von Svinia

Werbung
Werbung
Werbung

Nach seinen Reisen zu vergessenen europäischen Minderheiten hat sich der Salzburger Schriftsteller karl-markus gauss "in so etwas wie die Vorhölle auf Erden" begeben: in die Slums der Roma in Osteuropa.

Die Furche: Herr Gauß, Ihr neues Buch erzählt die Geschichte einer Reise, die Sie an ein Ende der Welt geführt hat.

Karl-Markus Gauss: Ja, im schönen Osten der Slowakei, unweit der prächtig restaurierten, unverkennbar mitteleuropäisch geprägten Städte KosÇice und PresÇov, bin ich in so etwas wie die Vorhölle auf Erden geraten. In die Slums der Roma, die eine Dritte Welt mitten in der Ersten darstellen. Dort herrscht ein Elend, wie ich es nur von Bildern aus den Hungerländern Afrikas und Asiens kannte. Doch dieses Elend gibt es ganz in unserer Nähe, zumal die Slowakei ja in wenigen Wochen der Europäischen Union, dem reichsten Staatenbund der Weltgeschichte, angehören wird.

Die Furche: Wie kamen Sie überhaupt auf dieses Thema?

Gauss: Ich habe vor drei Jahren das Buch "Die sterbenden Europäer" veröffentlicht, in dem ich von meinen Reisen zu fünf der kleinsten europäischen Nationalitäten erzählte. Im Anschluss daran haben der Fotograf Kurt Kaindl und ich uns vorgenommen, die "versprengten Deutschen" aufzusuchen, die in Osteuropa übrig geblieben sind. Auf der Fahrt durch die Slowakei, durch dieses schöne Land, in dem so freundliche und hilfsbereite Menschen leben - Slowaken, Ungarn, Deutsche, Ruthenen, Polen - ist mir etwas aufgefallen: Dass es außer diesen freundlichen Menschen noch eine andere Bevölkerungsgruppe gibt, die im doppelten Sinne unter ihnen lebt; nämlich inmitten von ihnen und doch an den Rand gedrängt, unter ihnen, von ihnen missachtet, ja vielerorts geradezu gehasst. Und das sind die Roma.

Die Furche: Die Slowakei hat sich aber in den letzten Jahren doch bemüht, die Stellung der Minderheiten zu verbessern.

Gauss: Ja, eindeutig. Aber alles, was sich gebessert hat, trifft auf eine Gruppe nicht zu - auf die Roma. Mir ist auf meinen slowakischen Reisen bewusst geworden, dass das, was alle slowakischen Nationalitäten verbindet, die gemeinsame Verachtung der Roma ist. Zugleich sind die Roma unübersehbar, denn es gibt, je nach Schätzung, 300.000 bis 400.000 von ihnen. Ihre Situation war noch niemals so schlimm wie heute.

Die Furche: Warum geht es ihnen in der Demokratie nicht besser als zu Zeiten der Diktatur?

Gauss: In der kommunistischen Ära wurden die meisten von ihnen zwangsweise sesshaft gemacht und in die großen Industriekombinate zur Arbeit geschickt. Die Kommunisten waren der Auffassung, dass die Roma nur dann vor ethnischer Missachtung sicher sein können, wenn aus ihnen sozialistische Werktätige wie alle anderen werden. Das hat nicht geklappt, weil den Roma der soziale Aufstieg gewissermaßen nur um den Preis gewährt wurde, dass sie aufhörten, Roma zu sein. Als der Kommunismus zusammenbrach und die unprofitablen Industriebetriebe schlossen, blieben die Roma als entwurzelte, ihrer eigenen Kultur enteignete Menschen zurück, für die es im rauen Aufbaukapitalismus keinen Platz gab. Ihre Slums stehen auf dem vergifteten Boden aufgelassener chemischer Betriebe oder abseits der Dörfer im Sumpf. Manchenorts beträgt bei ihnen die Arbeitslosigkeit 100 Prozent, sie sind vollständig von staatlicher Förderung abhängig, ihre Kinder werden in der Schule in separaten Klassen gehalten, viele kleine Städte sind nach einem rigiden System der Apartheid zweigeteilt: alles dort, von der Schule bis zum Wirtshaus oder Sportverein, gibt es doppelt, einmal für die Slowaken und einmal für die Roma.

Die Furche: Wie könnte sich daran etwas ändern?

Gauss: Es muss sich etwas ändern, denn die heutige Situation ist nicht nur eine europäische Schande, sondern birgt auch den Keim für verheerende Konflikte. Die Veränderung kann nur durch ein Zusammenspiel von beiden Seiten erfolgen. Unter den Roma gibt es Leute, die sich nicht abfinden möchten und versuchen, die Apathie abzuschütteln und Selbsthilfe zu organisieren. Und ich habe auch wunderbare Slowaken kennengelernt, die entschlossen dafür einstehen, den Roma mittels Bildungsprogrammen die Integration in die Gesellschaft zu erleichtern. Aber es wird ein langer, schmerzlicher Prozess sein.

Die Furche: Die EU hat für solche Bildungsprogramme erhebliche Summen in osteuropäische Länder gesteckt.

Gauss: Stimmt. Als die EU-Delegationen sahen, zu welchem Leben die Roma verdammt sind, hat sie die Panik gepackt, dass all diese Hoffnungslosen sich eines Tages auf den Weg machen und sich als Bettler in den hübschen Fußgängerzonen von Aarhus bis Cannes und Salzburg niederlassen könnten. Denn ab Mai sind die Roma ja EU-Bürger. Die EU finanziert gute Projekte, aber ist bedauerlicherweise dazu übergegangen, nicht mehr die nichtstaatlichen, sondern die staatlichen Stellen und Projekte zu fördern. Ein großer Fehler! Denn die NGOs haben etwas getan, was der Staat zumeist versäumt: sie haben nicht nur für die Roma, sondern mit ihnen gearbeitet. Und das ist der einzige Weg, der sinnvoll ist.

Die Furche: Ihr Buch ist eine aufwühlende Anklage, aber sie kommt ohne moralisch erhobenen Zeigefinger aus.

Gauss: Aus dem Lehnstuhl der moralischen Überlegenheit heraus lässt sich natürlich leicht kritisieren, dass in der Slowakei ein realexistierender Rassismus die Roma ausgrenzt. Ich wollte das aber nicht mit dem Hochmut dessen kommentieren, der sich über das Elend der Roma betroffen gibt, im übrigen aber in gesicherten Verhältnissen weit weg von ihnen lebt. Man darf nicht so tun, als würden sich die Probleme mit ein paar toleranten Vorsätzen wie von selber lösen.

Die Furche: Das letzte Drittel Ihres Buches spielt in dem Slum von Svinia, das von allen Slums den Ruf hat, das Schlimmste zu sein.

Gauss: In Svinia leben etwa 700 Roma, die so oft umgesiedelt, aus ihren kulturellen Zusammenhang gerissen wurden, dass sie ihre eigene Geschichte vergessen haben. Sie werden auch von den anderen Roma verachtet, weil sie als "Degesi", als "Hundeesser", gelten und eine Kaste der Unberührbaren bilden. Dort, wo das größte Elend herrscht, das ich jemals mit eigenen Augen gesehen habe, bin ich immer wieder auch auf eine rätselhafte Lebenskraft gestoßen: Jene, die gar nichts mehr hatten, nahmen mich auf, als wäre ich ein verlorener Bruder, der von irgendwo aus der weiten Welt zu ihnen gekommen ist.

Das Gespräch führte Christian Tanzer.

Buchtipp:

DIE HUNDEESSER VON SVINIA

Von Karl-Markus Gauß

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2004,

115 Seiten, geb., e 15,40

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung