Vom Ghetto in die Mitte

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Im südburgenländischen Oberwart befindet sich Österreichs größte Roma-Siedlung. Nach dem Attentat 1995 versuchten Roma und Gadsche zusammen einen Neuanfang.

"Felsöör“ steht auf der Ortstafel direkt unter dem Namen Oberwart. Seit 2000 ist die Aufstellung von zweisprachigen Ortstafeln im Burgenland kein Problem. Auch Oberwarts Bürgermeister Gerhard Pongracz von der SPÖ erklärt mit Stolz jedem Interessierten, dass die südburgenländische Metropole für kulturelle Vielfältigkeit steht: Drei Konfessionen - katholisch, lutherisch, calvinistisch - und vier Sprachen - Kroatisch, Ungarisch, Deutsch und Romanes - finden sich in der 7100-Einwohner-Stadt. "Auch die Lebenssituation der Roma ist hier deutlich besser als anderswo“, sagt Rudolf Sarközi, Chef des Volksgruppenbeirates der Roma - und im Grunde die politische Leitfigur der seit 1993 anerkannten Volksgruppe. Weil dort nämlich etwas funktioniere, was im übrigen Europa so schmerzlich abgehe: die geläufige Beidseitigkeit des Zusammenlebens.

Die Nacht auf den 5. Februar 1995, als Franz Fuchs vier Männer der Roma-Siedlung durch eine Rohrbombe tötete, änderte das Leben der Volksgruppe schlagartig. Beim Versuch, eine Tafel mit der Aufschrift: "Roma zurück nach Indien!“ zu entfernen, hatten die Opfer einen raffinierten Zündmechanismus ausgelöst - die Bombe explodierte. Der rassistisch-motivierte Anschlag war der folgenschwerste der zweiten Republik und markiert dennoch jenes Ereignis, das der österreichischen Minderheit zu einer - so zynisch es klingt - positiven Zukunft verhalf.

Hört man sich in Oberwart um, spricht niemand mehr gehässig über die Roma. Andererseits bringen sich viele Initiativen und Vereine der Volksgruppe ins öffentliche Leben der Stadt ein, sodass "die Roma“ mittlerweile ein integraler Bestandteil Oberwarts sind und nicht bloß die Bewohner des Ghettos jenseits des Stadtrands. "Früher gab es kein fließendes Wasser, geschweige denn ein WC. Wir konnten uns kaum Lebensmittel leisten, fast niemand konnte lesen und schreiben. Die vier Männer waren Märtyrer - nach dem Anschlag wurde etwas getan und man reagierte auf uns positiv“, sagt Sarközi. Auch viele Initiativen zogen ihre Spuren, wie beispielsweise das Sozialprojekt "Mri buti“, was übersetzt "Meine Arbeit“ bedeutet. Mehr als 100 Personen haben mitgearbeitet, angeboten wurden zahlreiche Dienstleistungen wie Wäsche waschen, Bügeln, Rasenmähen oder Wohnungsräumen. Roma besuchten EDV-Kurse, Schreib- und Leseunterricht sowie Kulturveranstaltungen.

Die Roma-Siedlung liegt direkt neben dem Oberwarter Krankenhaus, etwas außerhalb vom Stadtzentrum. "Am Anger“ ist eine kleine Ansammlung von Häusern entlang einer Straße - mit einem Spielplatz in ihrem Zentrum. Die Siedlung existiert seit drei Jahrzehnten und hat zurzeit ungefähr 120 Bewohner.

"Die Probleme hier sind nur versteckter“

In Österreich gibt es nicht die Probleme beziehungsweise den Rassismus, der etwa in Ungarn vorherrscht. "Dennoch: Die Probleme hier sind versteckter. Roma werden oft bevormundet - zu offenen Konfrontationen kommt es nicht, denn niemand will als Rassist gelten“, sagt Monika Scheweck, die seit 1996 als Referentin für ethnische Gruppen in Oberwart lebt und arbeitet. "Ein Hauptproblem ist, dass es nicht - wie viele glauben - die Gruppe der Roma und Sinti gibt“, so Scheweck, sondern Roma, Sinti, Burgenland-Roma, et cetera, die aus unterschiedlichen Traditionen und Religionsbekenntnissen abstammen. "Auch zwischen den Gruppierungen kommt es deswegen zu Konflikten“. Durch den Zweiten Weltkrieg sei vor allem die Tradition der Burgenland-Roma verloren gegangen: Einerseits wurde eine ganze Generation ausgerottet, andererseits gaben viele Eltern die Sprache und die Bräuche aus Angst vor Diskriminierungen nicht an ihre Kinder weiter.

Das nicht alles heile Wonne ist, sagt auch Ludwig Horvath. Der 55-Jährige lebt seit seiner Geburt in der Siedlung und kann somit am besten bezeugen, was alles für die Bewohner getan wurde. "Früher war ich verärgert, weil alle groß von Integration redeten. Ich wollte mir die Haut abziehen, um integriert zu sein.“ Auch er erzählt heute stolz über die positiven Entwicklungen, für die er sich aktiv einsetzte, schade sei nur, dass viele ihre Wurzeln vergessen haben und mit geänderten Familiennamen in die Anonymität verschwanden.

Trotzdem: Das Burgenland hat mit Oberwart ein Vorzeigeprojekt für Europa geschaffen. Roma-Kinder werden nicht mehr "einfach so“ in eine Sonderschule gesteckt. Eine "neue Generation“ holt immer mehr den jahrzehntelangen Bildungsrückstand auf und steht immer mehr auf Augenhöhe mit den Gadsche - den sogenannten Nicht-Roma.

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