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Im ungarischen Gyöngöspata prallen zwei Welten aufeinander. Rechtsextreme | Milizen jagen den ansässigen Roma Angst und Schrecken ein.

Eine idyllische Frühlingslandschaft breitet sich im nördlichen Zentralungarn aus. Die Weinstöcke sind frisch getrimmt, der Raps auf den knallgelben Feldern steht in vollem Saft und verströmt seinen öligen Geruch über die sanften Hügel. Von Weitem ist schon der schlanke holzverkleidete Turm der gotischen Pfarrkirche von Gyöngöspata zu erkennen. Aber am Ortseingang steht die Polizei und kontrolliert die Papiere. Es soll verhindert werden, dass Mitglieder der Wehrsportmiliz Véderö ins Dorf kommen.

Das Dorf gleicht einem Pulverfass

Seit Anfang Mai ist es per Gesetz verboten, dass uniformierte Milizen Minderheiten schikanieren. Zusammenstöße zwischen der ansässigen Roma-Bevölkerung und rechten Milizen in der kleinen Ortschaft Gyöngöspata im Komitat Heves haben Ungarn einmal mehr international in die Schlagzeilen gebracht. Die Regierung der rechtspopulistischen Fidesz unter Viktor Orbán reagiert hilflos und mit einer Anlassgesetzgebung, die das Grundproblem nicht löst: die soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung der mit zehn Prozent der Bevölkerung größten Minderheit Ungarns. Die Roma-Siedlung von Gyöngöspata liegt abgetrennt vom Ortskern am Ufer eines Bächleins, wo eine weitere Gruppe von Polizisten postiert ist. Der etwa 65-jährige Geza Csömör steht am Eingangstor vor seinem offensichtlich baufälligen Bauernhaus in der Hegyalja ut. Terror herrsche im Dorf, sagt er. Die Frauen wagten sich nicht zum Einkaufen in die Geschäfte, die Kinder gingen nicht mehr in die Schule und machten nachts vor Angst ins Bett. Die längste Zeit hatten rund 2000 ethnische Ungarn mit 500 Roma im Dorf weitgehend friedlich nebeneinander gelebt. Letztes Jahr wurden dann drei Roma-Familien durch ein Hochwasser obdachlos. Das Rote Kreuz half und erwarb im vergangenen Februar ein Haus im Ortskern. Daraufhin begannen die Nachbarn zu protestieren. Niemand wollte neben "Zigeunern“ leben. Sofort sprang Oszkár Juhász, der lokale Vertreter der rechtsextremen Jobbik, auf den fahrenden Zug auf und nötigte den parteilosen Bürgermeister László Tabi, die Bürgerwehr "Schönere Zukunft“ ins Dorf zu rufen. Deren Truppen - eine Nachfolgeorganisation der verbotenen "Ungarischen Garde“ - waren am nächsten Tag bereits zur Stelle und verbreiteten mit ihren martialischen Aufmärschen Angst und Schrecken. Gleichzeitig rekrutierten sie eine lokale Einheit von 26 Mann, die nach ein paar Wochen die Aufgaben übernehmen konnte. Das Dorf, wo schwarz uniformierte Schlägertypen, bewaffnet mit Baseballkeulen, Messern oder sogar Schusswaffen, begleitet von grimmig knurrenden Pitbulls durch die Roma-Siedlung patrouillieren, glich bereits einem Pulverfass, als kurz vor Ostern ein Wehrsportverein namens Véderö (Schutzmacht) ein paramilitärisches Lager ausgerechnet in Gyöngyspata ankündigte.

Eine sukzessive Übernahme

Weitere Uniformierte seien bedrohlich aufmarschiert. Darauf habe man das Rote Kreuz um Hilfe gebeten. Fast 300 Frauen, Kinder und alte Leute wurden dann am Karfreitag in zwei Freizeitzentren gebracht. Derzeit wird im Auftrag von Premier Viktor Orbán nach den Schuldigen gefahndet, die die Lüge verbreitet hätten, die Roma wären geflohen. Für ihn war das ein "Osterurlaub“ - gesponsert vom Roten Kreuz. Die Polizei kommt nur, wenn es größeren Aufruhr gibt. Die Roma wünschen sich mehr Schutz gegen Gewalt. Die "Ungarn“ klagen, dass Eigentumsdelikte nicht verfolgt werden. Die "Zigeuner“, so heißt es, brechen in Häuser ein, stehlen Brennholz und Früchte von den Feldern. Seit die Milizen patrouillieren, so deren Anführer Attila Hartyani, habe die Kriminalität um 90 Prozent abgenommen. Die Wehrsportgruppe Véderö, die schließlich Zusammenstöße mit mehreren Verletzten auslöste, hat auf den ersten Blick mit dieser Bürgerwehr nichts zu tun. Dass deren Chef Tamás Eszés im Hause des Milizführers Attila Hartyani verkehrt, ist aber wohl kein Zufall. Der durchtrainierte Veteran der Fremdenlegion und Karateka empfindet für Medien und Politiker tiefe Verachtung. Seine Wehrsportgruppe habe nur das Ziel, die Jugend militärisch zu ertüchtigen. In Ungarn ist die Wehrpflicht abgeschafft. Die Berufsarmee sei nur für wenige attraktiv, sagt Eszés, doch das militärische Leben wollten viele kennenlernen: "Deswegen veranstalten wir dreitägige Trainingscamps. Mit den Roma im Dorf habe das nichts zu tun. Im Gegenteil: jeder sei willkommen, mitzumachen. Nach Gyöngyöspata sei man gekommen, weil man hier 3000 Quadratmeter Grund erwerben konnte. Zum symbolischen Preis von einem Forint, wie sich später herausstellt, und zufällig auf einem Hügel direkt über der Roma-Siedlung. Zwei ältere Frauen auf der Straße sind froh, dass die Zigeuner jetzt unter Kontrolle sind: "Sie stehlen Obst und Blumen. Es ist eine Schande, dass Ex-Premier Ferenc Gyurcsány und die LMP diese Leute unterstützen“.

Rechtsextremismus am Vormarsch

Die linksgrüne Partei LMP zeigt Präsenz im Ort, um die Roma politisch zu stärken. Der Sozialdemokrat Gyurcsány hat eine Million Forint für die Roma von Gyöngyöspata gespendet. "Davon haben wir noch nichts gesehen“, sagt Anita Csömör, die ihr Rad durch die Roma-Siedlung schiebt. Sie glaubt, dass János Fárkas, der Roma-Vertreter im Gemeinderat, das Geld unterschlagen hat. "Er hat es im Casino verspielt“, glaubt Attila Hartyani zu wissen. "Unsinn“, sagt Fárkas, der am Anfang der Hegyalja ut im besten Haus der Strasse wohnt, "das Geld ist in guter Obhut“. Es werde vielleicht demnächst für die kollektive Flucht gebraucht.

Derzeit patrouilliert die Polizei noch durch das Dorf. Berittene Polizisten mit Säbel am Gürtel verhindern, dass Roma und Gardisten aufeinanderprallen. Aber wenn sie abziehen, so fürchten die Leute in der Hegyalja ut, dann komme die Nacht der langen Messer. Bürgermeister László Tabi ist inzwischen zurückgetreten. Im Juni muss sein Nachfolger gewählt werden. Oszkár Juhász von der rechtsextremen Jobbik, der bei den Wahlen im vergangenen Herbst keine zehn Prozent bekam, rechnet sich jetzt beste Chancen aus. Der Antiziganismus ist in ganz Ungarn mehrheitsfähig, nicht nur in Gyöngyöspata.

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