Stolz trifft auf Vorurteil

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Vor 20 Jahren wurden die Roma als österreichische Volksgruppe offiziell anerkannt. Doch der "Antiziganismus“ hält sich hartnäckig. Ein Stimmungsbild.

Zuerst hatten sie via Facebook "die Endlösung“ gefordert. In der Nacht auf 3. September 2013 gingen schließlich 20 Teilnehmer der so genannten "Rennleitung Pongau“ auf eine Gruppe von rund 100 Roma los, die nahe der Skisprungschanze Bischofshofen legal campierten. Es kam zu heftigen Wortgefechten und Beschimpfungen. Zwölf Polizisten hatten alle Hände voll zu tun, um eine völlige Eskalation zu verhindern. Zwölf Verdächtige im Alter von 17 bis 38 Jahren wurden kürzlich wegen Verhetzung angezeigt.

Der Vorfall war der schockierendste, aber beileibe nicht der einzige Fall von "Antiziganismus“ in Österreich in den vergangenen Jahren, wie ein aktueller Bericht des Vereins Romano Centro zeigt. Immer wieder kommt es zu rassistischen Vorfällen gegenüber Menschen, die als "Zigeuner“ wahrgenommen werden. Auch die Medien würden ein "sehr einseitiges Bild vermitteln“, heißt es im Bericht. Die Begriffe "Bettler“ und "Roma“ seien etwa schon fast zu Synonymen geworden.

Besser - aber noch lange nicht gut

Ein ernüchternder Befund heute, 20 Jahre nach der Anerkennung der Roma als sechste, österreichische Volksgruppe (nach den Ungarn, Slowenen, Tschechen, Slowaken und Kroaten). Bereits 1976 war das Volksgruppengesetz in Kraft getreten, doch erst 17 Jahre später, im Dezember 1993, war es für die Roma so weit. Wobei unter diesem Oberbegriff auch die Sinti, Lovara, Kaldarasch und andere Gruppen erfasst sind. "Insgesamt ist die Situation aber seitdem besser geworden“, sagt Rudolf Sarközi, der wohl wort-gewaltigste Rom Österreichs. Roma-Kinder kämen nicht mehr automatisch in die Sonderschule, und mit der Einrichtung des Volksgruppenbeirates der Roma und Sinti 1995, zu dessen Vorsitzendem Sarközi gewählt wurde, kamen auch finanzielle Mittel für die Infrastruktur.

Die Straße zu jener Oberwarter Siedlung, wo in der Nacht von 4. auf 5. Februar 1995 vier junge Roma bei einem Bombenanschlag getötet wurden, ist freilich bis heute nicht gänzlich asphaltiert - entgegen allen Versprechungen nach dem Attentat. Ungefähr hundert Menschen leben derzeit dort, erzählt Christopher, ein 23-jähriger Rom, der selbst oft genug Diskriminierung erlebt hat: "In der Schule hab’ ich nie neben einem Gadje, einem Nicht-Roma, sitzen dürfen - und bei den Geburstagsfeiern war ich der Einzige der Klasse, der nicht eingeladen war.“ Die Adresse "Am Anger“ stigmatisiere auch heute noch, ergänzt seine Schwester Denise: "Wenn man sich irgendwo bewirbt und unsere Adresse angibt, dann heißt es immer, die Stelle sei schon vergeben.“

Seit Jahrhunderten leben Roma im Gebiet des heutigen Österreich. Es sind Jahrhunderte geprägt von Vorurteilen, Vertreibungen und Vernichtung. Die Geschichte reicht vom "Vogelfrei-Erlass“ des Reichstags von Augsburg aus dem Jahr 1498 über die sogenannten "Zigeunerjagden“ im 18. Jahrhundert und die umfassenden "Integrationsversuche“ von Maria Theresia und Joseph II bis zur "Zentralstelle zur Bekämpfung des Zigeunerwesens“ während der Zeit des Nationalsozialismus in Wien und der Errichtung eines eigenen "Zigeunerlagers“ in Lackenbach. Nur wenige Roma überlebten diesen Terror.

Heute zählt man zwischen 10.000 und 12.000 autochthone Roma in Österreich, wobei zuletzt viele aus den ehemaligen Ostblockländern zugewandert sind. Mit EU-weit zehn bis zwölf Millionen sind die Roma eine der größten, ethnischen Minderheiten Europas - jedenfalls die größte ohne eigenes Staatsgebiet. Um ihre wirtschaftliche und soziale Situation zu verbessern, haben die EU-Sozialminister jüngst zusätzliche Förderungen beschlossen. Ob und wie diese Vorhaben fruchten, wird sich zeigen.

"Ich bin Romni und stolz darauf“, sagt dagegen Gilda Horvath, Obfrau des Vereins der Roma Österreich und Journalistin der ORF-Minderheitenredaktion. Die 31-Jährige gehört zur Gruppe der Lovara (vom ungarischen "lov“, Pferd), die hauptsächlich in Ungarn ansässig waren und bis vor 150 Jahren vom Pferdehandel lebten. Ganz bewusst benutzt sie das Wort "outen“, wenn es um ihre Volksgruppe geht. Vom Land in die Großstadt ziehen, den "verräterischen Zigeuner-Namen“ ablegen und hoffen, dass die Masse einen versteckt: Das war früher die Strategie vieler österreichischer Roma. Und ist es teilweise noch heute, bestätigt Horvath: "Ich weiß von Beziehungen, die zerbrochen sind und von Arbeitsverhältnissen, die in Frage gestellt wurden, wenn sich jemand zur Volksgruppe bekannt hat.“ Bis heute hätte ihre Familie Angst, von Rechtsradikalen angegriffen zu werden.

Wie Gilda Horvath kämpft auch der bekannte Musiker Harri Stojka gegen das abschätzige Wort "Zigeuner“: "Das Wort hat mir meine Kindheit versaut“, erzählt er. Heute ist Stojka, der ebenfalls einer Lovara-Dynastie entstammt, der prominenteste Lehrer der neu gegründeten "Vienna Gipsy Music School“, die Roma- und Sinti-Kindern, die oft nur schwer einen Zugang zu öffentlichen Musikschulen finden, eine klassische musikalische Ausbildung ermöglichen möchte. Geige, Gitarre, Akkordeon, Perkussion, Klavier sowie Gesang und Tanz stehen als Fächer zur Wahl. Musik aus dem Herzen, gelernt eventuell sogar ohne Noten, dafür aber mit umso mehr Temperament, das ist die Grundmelodie der "Vienna Gipsy Music School“. Und auf dieser Basis möchte sie auch als Brückenbauer zwischen den Kulturen dienen.

Gruppe ohne Statistik

Nadine Papai, eine der ersten Mitglieder der österreichischen Volksgruppe mit abgeschlossenem Hochschulstudium, setzt sich indes als Geschäftsführerin der "Gesellschaft für bedrohte Völker“ für die Roma in ganz Europa ein. Mit dem Phänomen des "Antiziganismus“ sei sie häufig konfrontiert, erzählt sie. Konkrete Zahlen über die Ausbildungssituation, Angaben darüber, wie viele der Roma Matura machen oder studieren, gibt es nicht, da autochthone Roma nicht statistisch erfasst sind.

Ebensowenig gibt es konkrete Angaben über die Religiosität der Volksgruppe. Meist nehmen sie die Religion des Landes an, in dem sie ansässig geworden sind. In Österreich sind die meisten Roma daher katholisch. Ein Fixpunkt der Community ist seit 18 Jahren die Roma-Wallfahrt nach Mariazell: Im Vorjahr wurde die große AbschlussMesse am 11. August vom aus Nigeria stammenden Roma-Seelsorger Ndubueze Fabian Mmagu zelebiert - gemeinsam mit dem Roma-Beauftragten der Erzdiözese Wien, Helmut Schüller, und Weihbischof Franz Scharl. Ältere Frauen und kleine Mädchen in bunten Trachten, die Jugendlichen in engen Jeans - sie alle beteten das "Vater Unser“ auch auf Romanes. Im Rahmen der Messe wurde zudem ein Kind getauft und am Abend eine Hochzeit gefeiert.

Ein echter Feiertag, mit viel traditioneller Musik, mit Schnitzel und Eis für die Kinder. Auch das gehört zur Lebenswirklichkeit der Roma in Österreich.

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