Roma-Älteste fordern Gedenken an die Opfer ein

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Roma und Sinti kämpfen auch in den EU-Mitgliedsstaaten trotz Integrations-Strategien gegen Diskriminierung. Künstler wollen ihnen Sprache, Stimme und Gedenken geben.

Seit 2008 stockt in Berlin der Bau des Denkmals für die in der NS-Zeit ermordeten Roma und Sinti. Exakt 118 Todesopfer hat das Volk der Roma und Sinti seit diesem Jahr 2008 in Europa zu beklagen. Ihr Lebensalltag bedeutet Diskriminierung, wie die europäische Grundrechtsagentur in ihrem im Mai veröffentlichten Bericht feststellt, obwohl sich seit der Verabschiedung der "EU-Strategie zur Integration der Roma“ im April 2011 einige Staaten in diesem Sinne "bemüht“ hätten. Aber zu diesem Alltag gehören Ausgrenzung, Deportation, Verfolgung, Ermordung. Seit 20 Jahren ist nun eine wachsame Roma-Generation von Künstlerinnen und Künstlern, politischen Aktivistinnen und Aktivisten herangewachsen, um für Menschenwürde und Gleichberechtigung ihres Volkes Sorge zu tragen.

Ihr kulturelles und sozialpolitisches Schaffen ermöglicht eine identitätsstiftende Kultur. Sie erheben ihre Stimme für die Anerkennung ihrer Existenz als Roma und Sinti, als gleichberechtigte Menschen mit eigener Sprache und eigener Kultur. Rund 12 Millionen Roma und Sinti leben in Europa. In Berlin sind am vergangenen Freitag und Samstag die Roma-Ältesten zusammengetroffen. Aus allen Repräsentanten dieses Volkes wählte eine junge Generation von Roma-Aktivistinnen und Aktivisten rund um die 47-jährige ungarische Kunsthistorikerin Tímea Junghaus (European Roma Cultural Foundation) sechs Frauen und Männer.

Denkmal als Mahnung für die Gegenwart

"Wir wollen von der Weisheit und Erfahrung unserer Roma-Ältesten lernen und ihr Handeln nicht dem Vergessen preisgeben“, sagt Junghaus. Sie kuratierte das Treffen in Berlin, vor allem auch um die Fertigstellung des seit 2008 in Bau befindlichen "Denkmals für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma“ im Oktober 2012 nach früher ausgelösten Differenzen zu ermöglichen. In ihrer Politik steht nicht die Kritik an der bishrigen Verhinderung des Mahnmals im Vordergrund. Die Tatsache, dass seit Beginn des Baus 118 Roma und Sinti rassistischen Mördern in ganz Europa zum Opfer gefallen sind, zeige die Notwendigkeit des Gedenkens als Ermahnung für die Gegenwart, sagt Junghaus.

"Wir denken nicht nur, was wir für uns tun können. Für uns ist es wichtig, unsere Mitmenschen in den verschiedenen Ländern, in denen wir leben, zu verstehen. Es kann keinen Frieden geben, wenn die anderen uns nicht als gleichberechtigt anerkennen“, sagt Ágnes Daróczi (o.), eine der Ältesten aus Ungarn. Angesichts der in ihrem Land zu beklagenden Todesopfer und der von der ungarischen Regierung unterstützten Diskriminierung und Verfolgung von Roma und Sinti ist sie pessimistisch geworden. Für Romani Rose, den Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und Roma-Ältesten ist es unverständlich, dass die Erinnerung an die Vernichtungspolitik gegenüber Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus noch immer nicht Eingang ins Bewusstsein Europas gefunden hat. "500.000 Angehörige unseres Volkes wurden ermordet. Das Denkmal ist eine Verpflichtung der deutschen Bundesregierung gegenüber Sinti und Roma, die noch immer mit Rassismus konfrontiert werden. Bei der gegenwärtigen Situation geht es in Europa nicht nur um Rassismus, sondern auch um Demokratie.“

Rosa Taikon, Silberschmiedin und Roma-Aktivistin, war nicht aus Schweden angereist, sie ist nahe ihres 90. Lebensjahres. Doch ihre Videobotschaft ermahnte, dass die Menschenrechte noch immer nicht für Roma und Sinti gelten. "Wir sprechen nicht von Berlusconi-Italien. Wir sprechen von der schwedischen Demokratie, die noch immer Roma-Gettos zulässt. Wir müssen das Recht haben, sagen zu können, wer wir sind: Dass wir Roma sind.“ Allerdings: "Rassismus ist noch immer lebendig. Wir müssen die Politiker dafür verantwortlich machen. Die Anliegen des Roma-Volkes waren nie vordringlich. Ich wurde oft eingeschüchtert. Aber ich höre nicht auf zu arbeiten für die Gerechtigkeit unseres Volkes.“

Hans Caldaras, der als Sänger schon früh in Schweden zum Verständnis zwischen den Völkern beigetragen hat, erinnerte an die bis in die Sechzigerjahre in Schweden geltenden Gesetze, die es Roma und Sinti verboten hatten, sich anzusiedeln. "Es ist ein Vorurteil zu sagen, Roma und Sinti würden sich nicht gerne ansiedeln. Es war verboten. Seit 2000 gibt es mit dem schwedischen Parlament eine bessere Kooperation, aber die versteckte Diskriminierung bei Arbeits- und Wohnungssuche ist noch vorhanden.“

Rund 1,5 Millionen Roma leben in Rumänien. "Der Krieg in Europa geht weiter“, sagt Nicolae Gheorghe, der im Ceausescu-Regime aufgewachsen ist. Als Roma-Ältester mahnt er den Frieden ein für die Kinder und Jugendlichen. Dazu gehört das Gedenken an die Vernichtung in ganz Europa.

Ceija Stojka, die österreichische Roma-Älteste und Überlebende von drei Konzentrationslagern mahnt mit ihren Bildern und Büchern. "Wenn die Welt sich nicht jetzt ändert, wenn die Welt nicht ihre Türen und Fenster öffnet, wenn sie nicht Frieden bildet - echten Frieden - damit meine Urenkel eine Chance haben, in dieser Welt leben zu können, dann kann ich nicht erklären, warum ich Auschwitz, Bergen-Belsen und Ravensbrück überlebt habe.“

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