6927934-1982_18_09.jpg
Digital In Arbeit

Ho£&iung und Wertverfall

19451960198020002020

Der Dichter Rudolf Henz feiert in diesen Tagen seinen 85. Geburtstag. I.n seinem Werk widerspiegelt sich eine Epoche. Die hier abgedruckten Betrachtungen stammen aus seiner Autobiographie „Fügung und Widerstand" (Verlag Styria, Graz). Das geistige Österreich dankt dem bedeutenden Dichter, dem aufrechten Mann.

19451960198020002020

Der Dichter Rudolf Henz feiert in diesen Tagen seinen 85. Geburtstag. I.n seinem Werk widerspiegelt sich eine Epoche. Die hier abgedruckten Betrachtungen stammen aus seiner Autobiographie „Fügung und Widerstand" (Verlag Styria, Graz). Das geistige Österreich dankt dem bedeutenden Dichter, dem aufrechten Mann.

Werbung
Werbung
Werbung

In den sechziger Jahren war es Mode, daß Literaten, denen ein literarischer Preis übergeben wurde, den Preisspender rüde beschimpften. Ich will sie nicht alle aufzählen, aber gute Leute waren darunter, nicht nur in Österreich, sondern auch in der Bundesrepublik und in Berlin! Was bei den ersten solchen Beschimpfungen nur skurril erschien, erwies sich bald als die beste Reklame.

Wenn ich brav danke, kräht kein Medienhahn danach. Und mit Recht. Wenn ich ausgerechnet den Spender beschimpfe, gibt es Schlagzeilen nach Rang und Namen. Und entwickle ich mich zum Dauerbeschimpfer, ist mein Rang, wenn nicht gar „Weltrang", gesichert. Unbegrenzte Möglichkeiten, und alle todsicher. Auch immer wieder ein erfolgreicher Start.

Wozu das alles auch nur andeuten! Ich kenne diese Möglichkeiten, seit ich zum Gebrauch meiner literarischen Vernunft kam. Ich wundere mich nur, daß diese billigste aller Werbemöglichkeiten immer noch ankommt, noch mehr, daß noch kein beflissener Jungkritiker oder Junggermanist oder Soziologeneleve sich dieses ergiebige Gebiet einmal vorgenommen hat und kein mutiger Professor eine Dissertation darüber vergibt.

Mein Aufruf im „Kleinen Welttheater" an die Mächtigen dieser Welt, sich wieder wie einst Hofnarren zu engagieren, ist ernst gemeint und ein guter Tip.

Nur Halb- und Dreiviertelnarren und Idioten können uns noch vor Wahnsinnigen retten. Man muß ihnen nur die besten Privilegien unserer Konsumgesellschaft bieten, ihnen unkündbare Verträge sichern, gute Pensionen und schnell handeln, „eh der Zirkus brennt".

Im Tohuwabohu der Auflösung aller Werte bleibt mir nur noch die Hoffnung, daß wir uns irgendwie und irgendwo in irgendeinem Zustand wieder erfangen und finden. Eine Hoffnung, von der in den Äußerungen etwa auch der Bischofskonferenzen kaum die Rede ist. Was die Frohbotschaft einst über die antike Menschheit und Welt hintrug, wo gibt es heut einen ähnlichen Anstoß, und doch scheint mir die weithin atheistische, skeptische, rationale Welt der christlichen Frohbotschaft bedürftiger als die antike. Wo aber wird sie wirklich verkündet?

Literatur, Kulturpolitik, Politik. Eine Unmenge von anekdotischen, beispielhaften, beispiellosen Erlebnissen, Erfahrungen, mehr überflüssige als bewahrens-werte. Ab und zu ein Bekenntnis, das nottut. Aber wozu?

Was ich zu sagen hatte und habe, steht in meinen Büchern oder liegt in jenen Schachteln, in denen auch das Halbfertige aufbewahrt ist. Ob es je wer lesen, untersuchen wird?

Die Generation vor mir hatte noch ein Gefühl für den Wert der Erfahrung. Ein Felix Braun konnte noch in der Erinnerung an Begegnungen mit Hofmannsthal oder nach einer Lesung Rilkes der Verzückung erliegen. Sie waren aber auch von ihrer eigenen Würde als altgewordene Dichter überzeugt, ja zuweilen überwältigt.

Wo findet sich heut diese Würde oder Achtung jüngerer, ganz junger Autoren vor Senioren? Mit ihren Vollbärten stehen sie selbst für die Würde der Literatur. Die Alten vor mir waren auch noch überzeugt, daß sie nach ihrem Tode erst gewürdigt werden, wie es angeblich in der Literaturgeschichte Brauch ist, automatisch als Sezierobjekte für einige Generationen. .

Diese Regeln gelten nicht mehr, und heut lassen daher bereits Fünfzigjährige, wenn nicht Jüngere „Gesammelte Werke" verlegen. Sie sind ja auch mit sechzehn oder zwanzig weltberühmt geworden. Das ärgert manche meiner gleichaltrigen Kollegen. Ich bin froh, ja zuweilen stolz, daß die Masken der Würde von uns genommen wurden. Nur wer nicht bereits als würdige Person, als noch lebendes Denkmal genommen wird, kann sich noch jung fühlen. Die verlorene Würde des Alters ist das Geheimnis unserer noch nicht zerstörten Produktivität.

Die höchste Auszeichnung, die meinen letzten Versen bei der Vorlesungsreise eines großen Schauspielers durch die USA zuteil wurde, war nicht der extreme Beifall, sondern die naive Frage: „Sagen Sie, wie alt ist den eigentlich dieser Nachwuchsautor?"

Randbemerkungen über alles Dichterische notiere ich nur kurz. Dabei kann manches unterlaufen, was einem Spätgeborenen unnütz scheint,Nveil er, was vor seiner poetischen Mündigkeit geschehen ist, nicht kennt, auch gar nicht kennen will. Ein Fünfundachtziger erlebt unser Jahrhundert freilich als ein Ganzes, also seit er zum Gebrauch der Vernunft gekommen ist. Zuweilen frage ich mich freilich, ob wir nach den beiden Menschenschlachtfesten und vor einem dritten überhaupt zum Gebrauch der Vernunft kommen werden!

Kultur, Kulturträger, Kulturwerte, Kulturpolitik. Als alter Volksbildner habe ich über diese Begriffe nie die Nase gerümpft. Auch nie aufgeschrien, wenn von Osterreich als einem Kulturland die Rede war oder auch nur von Österreichern als einem musischen Volk. Für mich gibt es, großflächig gesehen, musische und kommerziell gerichtete Völker. Ein im Grunde musisches Volk hält es mit der Devise: arbeiten, um zu leben, nicht: leben, um zu arbeiten, und im Grunde immer wieder mit: leben und leben lassen.

Eine unserer Schicksalsfragen: Sind wir uns des musischen Grundcharakters bewußt? Pflegen wir ihn? Kann man ihn überhaupt pflegen? Lassen wir ihn wenigstens nicht verdorren? Das geht über alle amtliche Kulturpflege weit hinaus und hängt bestimmt nicht an den an sich nützlichen soziologischen Erhebungen über die Lese- und Musikgewohnheiten der Österreicher.

Es wurzelt in der Völkermischung der Donaumonarchie, und wir sind heute eine Alpenrepublik und ohne den damaligen, auch kulturellen Zuzug aus dem Großreich. Gerade die Kulturbeziehungen mit den so lange total abgeschalteten, heut politisch in den Ostblock integrierten „Nachfolgestaaten" werden nun von Jahr zu Jahr wiederum intensiver. Lassen wir uns daher von diversen Kabarettisten und Kommentatoren nicht auf Pessimismus trimmen!

Zum Abschluß dieser wohl zu knappen Schilderungen unserer kulturellen Grundlagen und einer reichen Erfahrung zwei Zitate aus meinem Buch:

„Wie es nirgendwo antiklerikalere Menschen und Strömungen gibt als in katholischen Ländern, so bringt jedes musische Volk höchst amusische Naturen hervor, und sie sind dann radikalere Banausen als anderswo. Ihnen überläßt man die weniger musischen Geschäfte, und sie bestimmen das tägliche Leben weithin. Ihre zur Schau getragene souveräne Verachtung alles Schöpferischen und jeder Kunst ergibt freilich eine wirksame und nützliche Korrektur."

„Nirgendwo wird der schöpferische Mensch weniger geachtet als in Ländern, die relativ viele Begabungen hervorbringen. Nirgendwo ist das Schicksal, im eigenen Land als schöpferischer Mensch eine fragwürdige Existenz zu führen, so exemplarisch."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung