7045487-1990_31_04.jpg

Rot-weiß-rote Visionen

19451960198020002020

Welchen Weg in die Zukunft soll das Kulturland Österreich gehen? Erhard Busek riskiert sechs rotweißrote Visionen. Sind solche Vorstellungen auch mehrheitsfähig?

19451960198020002020

Welchen Weg in die Zukunft soll das Kulturland Österreich gehen? Erhard Busek riskiert sechs rotweißrote Visionen. Sind solche Vorstellungen auch mehrheitsfähig?

Werbung
Werbung
Werbung

Gesellschaftliche Visionen sind wesentlich schwerer zu entwerfen als individuelle, denn sie sollten - zumindest potentiell mehrheitsfähig sein. Ich darf daher, plakativ und ohne Gewähr, ein paar Vorschläge riskieren, auf deren Grund- lage sich vielleicht auch Wege dorthin diskutieren lassen:

1. Die Vision eines weltoffenen, europäischen und speziell mitteleuropäischen Österreich. Eines Landes also, das nicht mehr bloß gebannt nach München, Zürich oder Washington schaut, sondern sein Gesicht auch seinen Nachbarn rundum und dem Donauraum zuwendet. Es liegt an uns, die Zentrallage neuer und effektiver Beziehungsstrukturen, in der wir wieder leben, auch in unserer Mentalität zu verankern und der Bundeshymne gerecht zu werden, nämlich dem Erdteil inmitten zu liegen - „einem starken Herzen gleich".

2. Die Vision eines vitaleren, le- benssfroheren, risikofreudigeren, lachenderen Österreich. Klischees wie etwa der legendäre Charme oder die Leichtlebigkeit sind längst einer gehörigen Portion Verdruß am eigenen Leben gewichen, entspre- chend auch dem Verdruß an den Vitalitäten anderswo. Daraus entstehen Aggressivität, Neid, Mißgunst, vor allem aber die schreckliche Sehnsucht, daß aus dem anderen auch nichts werden möge. Wo ist ein lieber Augustin, wo ein Valentin unserer Tage?

3. Die Vision eines gebildeteren Österreich, einer Kulturgesellschaft in ihrer umfasssenden Bedeutung. Es gibt genügend akademisch Ausgewiesene hierzulande, die keinen bedeutenderen Roman der letzten Jahre kennen, dafür aber ein italienisches Kochbuch nach dem ande- ren kaufen. Als Magister, Doktor oder Professor könnte man jenen Betrag, der monatlich ins Auto fließt, jährlich für Gegenwartsliteratur und Kunst ausgeben.

4. Man könnte auch dieselbe Zeit für Kultur aufbringen, die man in Tennis oder Surfen oder Schifahren Investiert. Außerdem könnte man ein Bild an die Wand hängen, das in etwa so viel wert ist wie die Couch darunter.

Die Vision einer sprechenden Gesellschaft. Hinter der ständigen Geräuschkulisse von vorgehaltenen Händen und vertraulichen Mitteilungen sind wir derzeit eine Gesellschaft des Schweigens und des Verschweigens. Wo einer den Mund auftun sollte, da hält er sich lieber zurück; wo einer etwas zu sagen hätte, da bestraft er die anderen durch beleidigtes Schweigen, weil ihn keiner gefragt hat; wo es Ge- schichte zu erzählen gäbe, wo Geschichte weiterzugeben wäre, da verharrt man in Sprachlosigkeit aus Angst, nicht verstanden zu werden.

Statt ein verständliches Wort zu sprechen, läßt man das Gerede gelten. Von einem sprechenden, sich mitteilenden, sprach- und kommunikationsfreudigen Österreich lassen wir unterdessen träumen.

5. Die Vision von einem Österreich, das kompetitiver und gleichzeitig solidarischer ist. Wir leben in einem Klima der ständigen Konkurrenzvermeidung. Kein Schüler will besser sein als der andere, kein Beruf läßt die Leistung über dem Durchschnitt unsanktioniert. Solidarität herrscht vor allem in der Leistungsverweigerung, aber sie fehlt, wenn einer wirklich unter die Räder kommt. Ein gesunder Wett- bewerbsgeist, Lernwiese für Soli- darität und Fairneß, hebt die Kul- turgesellschaft auf eine Stufe des Mobilseins und der Verantwor- tungsbereitschaft für jene, die auf den hinteren Plätzen landen.

6. Zuletzt eine äußerst ambivalente Vision, nämlich die von einem österreichischeren Österreich. Vielleicht trifft Selbstbewußtsein eher den Kern der gemeinten Sache. Wir haben die Tendenz, die Strickmuster anderer Kulturen nachzustrikken (und dabei ein paar Maschen fallenzulassen), statt unsere eigene Identität zu schätzen und auch mitzuteilen. Daß der Tennisplatz nun „center court" heißen muß, ein Plan „design", daß „gestylt" und „gecheckt" wird, vom „body" bis zu den „news", abgesehen von Steaks, Cola und Jeans, die uns schon länger begleiten, das beweist einmal mehr das unbewältigte Verlierer-Image, das wir immer noch hegen. (Nach dem 30jährigen Krieg über- nahmen wir den Friseur und das Trottoir, die Confiserie und das Costüm, sofern nicht überhaupt französisch gesprochen wurde.)

Das Muster schlägt Wellen, Frascati und Valpolicella beherrschen die Weinkarten der Wiener Innenstadt; Studentenzeitungen lesen sich, als wären sie in Hamburg verfaßt worden, nicht nur sprachlich, sondern manchmal auch thematisch; das Musikland Österreich importiert seine Meditationsmusik aus Indien und sein Euro-Song- Contest-Lied aus Deutschland.

Vergessen wird dabei, daß mit anderen nur der sein kann, der auch für sich selbst etwas ist. Wer soll das typisch österreichische schätzen, wenn er statt des Originals nur Kopien findet? Wer soll Osterreich als gleichwertigen, selbstbewußten Partner mit eigenen Traditionen achten, wenn diese Traditionen zugunsten von Imitationen hinter dem großen Gummibaum versteckt bleiben? Wer soll einer angeblichen Kulturmacht Respekt zollen, die sich darin gefällt, ihre wahrhaft bemerkenswerte Kultur bis zur Un- ekenntlichkeit mit inkompatiblen Nachahmungen zu durchsetzen?

Wir neigen dazu, Internationalität mit Nachäffung zu verwechseln, Partnerschaft mit Anbiederung - von bemerkenswertem Rückgrat zeugt das nicht gerade. Doch werden wir uns wohl oder übel an die Politur unseres Selbstwertgefühls machen müssen, wenn wir im Konzert der Nationen auch nur den Notenständer tragen wollen.

Der Autor ist Bundesminister für Wissenschaft und Forschung. Auszugsweise zitiert aus dem Beitrag „Kulturland Österreich" in: ZWISCHENRUFE. Festschrift zum 60. Geburtstag von Eduard Ploier. Feichtlbauer/Girkinger/Klose (Hrsg.), Verlag Veritas, Linz 1990.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung