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Keine falschen Empfindlichkeiten

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Das Gespräch zwischen Juden und Christen darf von keiner Seite leichtfertig aufgekündigt werden. Dieses Gespräch ist ein moralisches, menschliches, ein historisches Muß.

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Das Gespräch zwischen Juden und Christen darf von keiner Seite leichtfertig aufgekündigt werden. Dieses Gespräch ist ein moralisches, menschliches, ein historisches Muß.

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Resigniert, traurig, empört, zornig, verbittert sprachen pessimistische jüdische und christliche Beobachter und Akteure, in beiden Eigenschaften bunt gemischt, ihr „Jetzt-ist-alles-aus“ zum so fruchtbaren christlich-jüdischen/ jüdisch-christlichen Dialog der letzten Jahrzehnte aus.

Die nach Bekanntwerden des Papstbesuches von Bundespräsident Kurt Waldheim losgebrochenen Reaktionen und zutage getretenen Emotionen schienen diesen jedenfalls pessimistischen Eindruck zu bestätigen.

Mich selbst überraschte diese Flutwelle bei einem Aufenthalt in

Israel, wo eine europäische Parlamentarierkonferenz über das Schicksal der sowjetischen Juden, ein Kapitel, wo Österreich überwiegend Positives aufzuweisen hat, ohne mit diesen humanitären Leistungen zu protzen, stattfand!

Kommentare israelischer Freunde und Gesprächspartner, dazu gedacht, dem Österreicher und anerkannten Freund Israels in mir Trost zu spenden, schienen den Abgesang auf den christlichjüdischen Dialog noch zu bestätigen: „Diese Reaktionen gelten diesmal ja gar nicht so sehr Waldheim und schon gar nicht Österreich, sondern vielmehr dem Papst.“

In der Tat gibt es „offene Rechnungen“, allerdings nur zwischen Israel (und sonst niemandem, der sich zu Wortmeldungen veranlaßt sah) und dem Papst, wie die Jerusalem-Frage oder die Anerkennung Israels selbst.

Ausgehend von noch nicht überwundenen politischen (nicht religiösen) Diskrepanzen ging man mit dem Papst in einer weiteren, zweifellos politischen Streitfrage zugegebenermaßen nicht gerade so zimperlich um, wie man dies in unserem (wenigstens taufscheinkatholischen) Österreich auch nach der Kritik an Bischofsernennungen vielleicht gewöhnt ist.

Dabei wurde keineswegs die Bedeutung des Papstes als moralische Autorität ignoriert, im Gegenteil. Für Kritiker, die es subjektiv ehrlich meinten, war die moralische Autorität sogar der Ansatzpunkt ihrer kritischen Reaktion, in etlichen Fällen darf man durchaus auch sagen Uber- reaktion.

Dies mag zwar schmerzlich für uns Österreicher klingen, das heißt aber nicht, daß wir die Ursache dessen ignorieren dürfen.

Wenn außerhalb unserer Grenzen über „Waldheim“ gesprochen wird, ist in den wenigsten Fällen der „reale“ Waldheim darunter zu verstehen, sondern, und das müssen wir derzeit zur Kenntnis nehmen, ob wir wollen oder nicht, ein durch immer wieder wiederholte, aus zweiter, dritter, vierter Hand wiedergegebene Behauptungen zustandegekommener künstlicher Popanz, an dem sich nun auch berechtigte Emotionen entzünden.

Nun will ich mich auch damit als Österreicher, und im besonderen als einer, der von der Unschuld Waldheims überzeugt ist und dies auch unbeirrt im Aus-

land zum Ausdruck gebracht hat, nicht damit abfinden. Die Frage ist nur, wie?

Die Antwort ist ident mit der Schlußfolgerung aus den vermeintlichen Abgesängen auf den christlich-jüdischen Dialog. Auch wenn es menschlich noch so verständlich wäre, sind jetzt nicht die Trutzwinkerin angebracht, sondern die Plätze der Begegnung und des Gesprächs.

Auch wenn Verärgerungen, ja Empörungen durchaus verständlich sind, wichtiger, ja vor allem einzig sinnvoll sind Bemühungen, den anderen, „die anderen“ besser zu verstehen.

Nehmen daher zuerst wir Christen, im besonderen wir österreichischen Christen, zur Kenntnis, daß wir viele Generationen des Nichtverstehens der anderen aufzuholen haben.

Und nicht im Verlaufe dieser unzähligen Generationen, sondern keine 50 Jahre zurück war die unermeßliche Katastrophe über jene hereingebrochen, die nur wegen ihrer Abstammung oder ihrer Religion als „anders“ deklariert waren. Das Nichtverstehenwollen hatte sich zum Nicht- existierenlassenwollen, zum Vernichtenwollen gesteigert.

Wären wir als Überlebende, Verwandte, Nachkommen in der Lage, kühl und sachlich Berechtigung oder Nichtberechtigung von Behauptungen und Anschuldigungen abzuwägen, wenn darin wieder das Entsetzliche heraufbeschworen wird?

Nach all dem, was an Geschichte hinter uns liegt, die viel zuwenig eine Geschichte von Gemeinsamkeit, auch nicht eine Geschichte von Gegeneinander, sondern nur allzu oft die Geschichte einer einseitigen Verfolgung, Diskriminierung, Diffamierung war, dürfen dem Gespräch, der Suche nach Gemeinsamkeiten keine falschen Empfindlichkeiten im Wege stehen, dürfen vor allem keine Bedingungen gestellt werden.

Zu Empfindlichkeiten hätten und haben unsere jüdischen Brüder und Schwestern bei Gott mehr Gründe…

Bei allen Mißtönen, die in den letzten beiden Wochen aus allen möglichen Ecken tönten, habe ich aber vor allem einen Grund zum Optimismus: Diejenigen, die das christlich-jüdische, das jüdischchristliche Gespräch in den letzten Jahrzehnten ernsthaft, vor allem mit ganzem Herzen geführt haben, zählten nicht zu jenen, die, auf welcher Seite auch immer, das Gespräch ,aufkündigten’.

Der eine oder andere christliche wie jüdische Gesprächspartner war vielleicht unter den traurigen, resignierten, pessimistischen Stimmen, beklagte, was durch das Getöse der Tage vor und um den 25. Juni vielleicht wieder verschüttet oder zerstört sein konnte.

Wenn aber auch sie, wenn wir alle zutiefst davon überzeugt sind, daß dieses Gespräch ein moralisches, ein menschliches, ein historisches Muß ist, dann wird es weitergehen.

Und an .unsere Seite des Gesprächs gewandt: Wir haben, auch ohne persönliche Schuld, so viel an der „anderen“ Seite gutzumachen, daß der Dialog in unserem ureigensten Interesse liegt.

Der Autor ist Prfisident der Österreichisch- Israelischen Gesellschaft und Abgeordneter zum Nationalrat.

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