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FURCHE: Hat es wirklich erst der Katastrophe von Tschnerno-byl bedurft, um die Wahrscheinlichkeit derRisken der Kerntechnologie vor Augen zu führen? An warnenden Stimmen hat es ja nicht gefehlt.

KURT WALDHEIM: Schon der Zwischenfall im Reaktor von Three Miles Island in den Vereinigten Staaten war eine sehr gefährliche Angelegenheit. Tschernobyl ist noch dramatischer. Ich glaube, das hat die Menschen wachgerüttelt, die Gefahren der Energiegewinnung aus Atomkraft richtig einzuschätzen.

FURCHE: Welche Rolle kommt der Politik zu, wenn wissenschaftlicher und technischer Fortschritt mit unabschätzbaren Risken verbunden ist?Es genügt doch nicht, die Verantwortung Wissenschaft und Technik zuzuweisen.

WALDHEIM: Sicherlich nicht. Ob ein Kernreaktor gebaut wird oder nicht, hängt ja nicht von den Wissenschaftlern und Techni-

„Bei den neuen Technologien mehr als bisher die Schattenseiten sehen“

kern, sondern von der politischen Führung ab. Daher ist die letzte Verantwortung bei der Politik. Die Wissenschaft hat dafür zu sorgen, daß solche Reaktoren funktionieren, daß sie sicher sind, daß vor allem keine so katastrophalen Unfälle passieren.

FURCHE:Müßte nicht die Politik beim Abwägen von Chancen und Risken im Zweifel von vornherein gegen das unabschätzbare Risiko entscheiden?

WALDHEIM: Uberall braucht man Erfahrung. Viele Menschen haben ja die Gefahr der Kernenergie nicht richtig eingeschätzt. Ich glaube aber, daß der Zeitpunkt kommt, wo man von der Atomenergie allgemein abrücken wird. Denn letztlich steht die Gesundheit des Menschen im Vordergrund. Und wenn sich nun herausstellt, daß die Sicherheit doch nicht so groß ist wie ursprünglich angenommen, könnte ich mir vorstellen, daß auch in anderen Ländern sukzessive der Entschluß reift, von der Atomenergie abzurücken und auf andere Energiequellen umzusteigen.

FURCHE: Nun handelt es sich bei der Kerntechnologie eher schon um eine „alte“ Technologie. Neue Technologien — Bio- und Gentechnologien zum Beispiel — sind mit unleugbaren Chancen, aber ebenso mit bedrohlichen Risken für den Menschen verbunden. Müßte die Politik da nicht einer Katastrophe zuvorkommen?

WALDHEIM: Sicherlich. Gerade die Gentechnologie birgt enorme Gefahren in sich, vor allem auch moralischer Natur, und ich glaube, daß es notwendig ist, sich rechtzeitig auch mit den negativen Aspekten zu befassen. Mein Eindruck aus meiner langen Erfahrung ist, daß man bei solchen neuen Entwicklungen immer nur das Positive, Gute sieht, nicht aber die Schattenseiten. Bei diesen neuen Technologien müßte man mehr als bisher auch die negativen Auswirkungen in Betracht ziehen, vor allem auch die moralischen Aspekte, die — das habe ich schon wiederholt festgestellt — in unserer Wohlstandsgesellschaft in den Hintergrund getreten sind. Das ist eine große Ge-

fahr für die Menschheit.

FURCHE: Reicht dann zuwarten? Sollte die Politik nicht durch eine Rahmengesetzgebung Grenzen ziehen, der Entwicklung vorgreifen?

WALDHEIM: Praktisch wird das nicht möglich sein. Aber die Politik hat manches in der Hand, kann durch Zuweisung budgetä-rer Mittel entsprechend regulierend wirken.

Kein Land darf stagnieren. Ich bin durchaus für technologischen Fortschritt, den brauchen wir. Aber man muß die Vor- und Nachteile dieser neuen Entwicklungen abwägen.

FURCHE:Noch eine Rückblende zum Thema Tschernobyl: Soll Österreich von der UdSSR Schadenersatz fordern?

WALDHEIM: Schadenersatzforderungen haben nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn ein Vertrag besteht. Einen solchen gibt es meines Wissens nicht.

Ich halte es aber für höchst vordringlich, raschest zufriedenstellende Verträge mit unseren Nachbarn abzuschließen, die einerseits höchstmögliche Sicherheit für unsere Bevölkerung gewährleisten und andererseits die Nachbarstaaten verpflichten, uns unverzüglich Informationen über allfällige Unfälle zukommen zu lassen.

FURCHE: Welche wichtigen Ziele soll die österreichische Außenpolitik in den nächsten Jahren verfolgen? Was hat Priorität?

WALDHEIM: Eine gute Nachbarschaftspolitik, aber nicht nur in dem Bereich, der zuvor angesprochen wurde. Mitteleuropäisch und — schon aus wirtschaftlichen Gründen - gesamteuropäisch muß sie sein. Daher ist es notwendig, ein engeres Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft herzustellen. Und schließlich auch weltweit. Durch unsere Erfahrung, unsere Entwicklung, unsere Geschichte und durch unsere geographische Lage können wir konstruktiv am internationalen Geschehen mitwirken, so auch beim KSZE-Prozeß, der im kommenden Jahr in Wien fortgesetzt

wird.

FURCHE: Wie sehen Sie die Chancen Österreichs, das Verhältnis zur EG neu zu regeln?

WALDHEIM: Das ist ein vordringliches Problem. Daß wir ein intensiveres Nahverhältnis zur EG brauchen, daran besteht kein Zweifel. Bei einem engeren Assoziationsverhältnis muß man aber aufpassen und abwägen, wo die Vor- und Nachteile liegen, welche Verpflichtungen wir auf uns nehmen können.

FURCHE: Die österreichische Asylpolitik hat Tradition. In der letzten Zeit hat man den Eindruck, daß sie etwas „konjunkturabhängig“ geworden ist.

WALDHEIM: Unsere Asylpolitik hat eine offene Politik zu sein. Österreich war immer dafür be-

kannt, daß es seine Tore für politische Flüchtlinge geöffnet hat. Aber man muß zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden. Das Asylrecht wird politischen Flüchtlingen gewährt. Diese Politik sollte—bei aller Beachtung der Staatssicherheit - fortgesetzt werden.

FURCHE: Zum Nachbarn Jugoslawien gab es in der Frage der Minderheiten einmal ein etwas

getrübteres Verhältnis. Sind die Fragen der Minderheiten zu Ihrer Zufriedenheit gelöst? Erweist sich die Mehrheit als großzügig genug?

WALDHEIM: Ich finde, daß die Minderheiten sehr viel in unsere Republik einbringen, Was die Kroaten im Burgenland betrifft, gibt es überhaupt kein Problem. Anders ist es in Kärnten. Ich glaube, daß auf diesem Gebiet noch einiges zu geschehen hat,

FURCHE: Jetzt liegt das Problem der zweisprachigen Schulen auf dem Tisch...

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