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Es mangelt uns an Solidarität

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Was denken die Präsidentschaftskandidaten über neue Technologien? Was etwa über den Verlust an Staatsräson? Mit Kurt Waldheim und Kurt Steyrer sprach Hannes Schopf.

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Was denken die Präsidentschaftskandidaten über neue Technologien? Was etwa über den Verlust an Staatsräson? Mit Kurt Waldheim und Kurt Steyrer sprach Hannes Schopf.

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WALDHEIM: Damit beschäftigen sich die zuständigen Stellen, und man sollte jetzt einmal abwarten, was sie in dieser Frage vorschlagen.

FURCHE: Wo sehen Sie jene großen Spannungsfelder in unserer Gesellschaft, die noch dazu konfliktträchtig sind, bei denen der Bundespräsident Einfluß nehmen sollte?

WALDHEIM: Die Krisen und Skandale, die dieses Land in den letzten Jahren erschüttert haben, sind bis zu einem gewissen Grad auf eine Demoralisierung, auf eine Verzerrung der Werte zurückzuführen. Ißh glaube, man muß wieder zu den Werten unserer christlichen Weltanschauung zurückfinden, zu Moral, Toleranz und Nächstenliebe. Ich sehe es auch als Aufgabe des Bundespräsidenten, dafür zu wirken, daß diese Werte wieder mehr bewußt werden.

FURCHE: Worauf führen Sie es zurück, daß die Zentrifugalkräfte in unserer Republik spürbar zugenommen haben, daß Egoismen, Regionalismen und Parteiinteressen so oft vor dem Staatsganzen reihen?

WALDHEIM: Ich führe das auf die Wohlstandgesellschaft zurück. In der Nachkriegszeit war das natürlich anders. Aber es ist eine alte historische Erfahrung, daß die Menschen mehr zusammenstehen, wenn es eine äußere

„Regieren muß die Regierung. Der Präsident hat eine versöhnende Aufgabe.“

Bedrohung gibt. Das schafft einen Solidaritätseffekt, der verlorengegangen ist. Die Politik eines Laissez faire, laissez passer ist eingerissen, alles war erlaubt. Hier muß man Abhilfe schaffen.

FURCHE: Das Bild, das die Wahlwerbung vom Bundespräsidenten zeichnet, ist eine Mischung aus Kanzler und Volksanwalt — und das noch allzuständig. Jedoch nach der Verfassung ..

WALDHEIM: Man muß immer im Rahmen der Verfassung handeln. Ich habe schon in der Vergangenheit gesagt: Regieren muß die Regierung. Der Bundespräsident hat eine vermittelnde, eine versöhnende Aufgabe. Als Mann über den Parteien hat er in Krisensituationen einzugreifen, wo es nicht mehr weitergeht.

FURCHE: Sind Ihrer Ansicht nach die Bürgerrechte ausreichend ausgebaut?

WALDHEIM: Zu den bewährten Institutionen der direkten Demokratie wie Volksbegehren und Volksabstimmung sollte auch auf Bundesebene die Volksbefragung kommen. Auch sollten Volksbegehren ab 500.000 Unterstützungserklärungen zwangsläufig in verbindliche Volksabstimmungen münden.

FURCHE: Und wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Vorschlag einer transparenten Planung?

WALDHEIM: Das hängt von der jeweiligen Frage ab. Ich würde sagen: Liegen Expertengutachten vor und die Regierung befaßt sich damit, dann wäre die Transparenz wichtig. Denn nur dann kann die Bevölkerung sinnvoll von ihren Bürgerrechten Gebrauch machen.

FURCHE: Hat es erst der Katastrophe von Tschernobyl bedurft, um die Wahrscheinlichkeit der Risken der Kerntechnologie vor Augen zu führen? Das Abrücken von Zwentendorf über Nacht läßt den Schluß zu, daß die Sicherheitsargumente auf sehr schwachen Beinen gestanden sind.

KURT STEYRER: Für mich ist das ein langsamer Umwandlungsprozeß gewesen. Als Arzt habe ich schon a priori unerhörte Bedenken bezüglich der Auswirkungen einer Atomkatastrophe gehabt, nicht nur durch eine Bombe, sondern auch durch einen Reaktorunfall. Ich habe genau gewußt, daß die Medizin bei derartigen Großereignissen völlig hilflos ist.

Ich war 1978 einer der Erstunterzeichner des Atomsperrgesetzes und habe immer den Stand-

punkt vertreten, daß es für Dauer bindend sein muß.

FURCHE: Muß die Politik im Zweifelsfall nicht gegen das un-abschätzbareRisiko entscheiden?

STEYRER: Das ist richtig und ist in Österreich auch geschehen ...

FURCHE:... aber durch die Bevölkerung, nicht durch Politiker.

STEYRER: Die Bevölkerung war durch die Politik induziert. Sicherlich, vielleicht war es eine Zufallsentscheidung, das möchte ich gar nicht ausschließen. Dadurch, daß Bruno Kreisky auch noch eine sehr starke politische Note hineingebracht hat, ist vielleicht die Entscheidung so ausgegangen.

FURCHE: Nun handelt es sich bei der Kerntechnologie eher schon um eine ^alte“ Technologie. Neue Technologien — Bio- und Gentechnologien zum Beispiel — sind mit unleugbaren Chancen, aber ebenso mit bedrohlichen Risken verbunden. Warten wir, bis wieder eine Katastrophe kommt?

STEYRER: Ich habe schon als Minister versucht, für die Frage der Gentechnik bis hin zum Problem der heterologen Insemination Anstoß für eine Lösung ge-

setzlicher Art zu geben, obwohl ich - auch nach Rücksprache mit Moraltheologen - unsicher geworden bin, ob man das überhaupt gesetzlich regeln kann. Sie können das wohl durch Gesetze regeln, aber diese Gesetze werden nicht kontrollierbar und wahrscheinlich auch nicht durchführbar sein.

Von der ärztlichen Ethik her habe ich große Bedenken, ob manches überhaupt noch sinnvoll und machbar sein sollte. Ich bin eher konservativ in dieser Frage.

FURCHE: Sollte sich dann nicht erst recht eine Rahmengesetzgebung um Grenzziehungen bemühen?

STEYRER: Ja, aber Grenzen können nicht alleine vom Politiker definiert werden, auch nicht vom Arzt. Der Arzt macht alles,

der ist von sich und seinem Werk überzeugt. Da haben auch andere mitzureden, Moraltheologen zum Beispiel.

Eine Gesetzgebung, die ich für durchaus wünschenswert erachte, kann nur dann Erfolg haben, wenn sie im internationalen Gleichschritt erfolgt.

FURCHE: Noch eine Rückblende zum Thema Tschernobyl: Soll Österreich von der UdSSR Schadenersatz fordern?

STEYRER: Juridisch muß eine solche Schadenersatzforderung gedeckt sein. Ich persönlich sehe das sogar als aussichtsreich an, wenn die Frage geklärt ist, ob ein schuldhaftes Verhalten vorlag.

FURCHE: Welche wichtigen Ziele soll die österreichische Außenpolitik in den nächsten Jahren verfolgen? Was hat Priorität?

STEYRER: Die Erklärung der immerwährenden Neutralität ist eine große Zielvorgabe für Österreich. Sie versetzt uns in die Lage, uns als Teil der westlichen Demokratie zu verstehen. Österreich hat zwei Aspekte der Außenpolitik zu verfolgen: Es hat eine gesamteuropäische Politik mitzutragen, vor allem darf es sich — wirtschaftlich — auch nicht davon abkoppeln, was sich im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft entwickelt. Und Osterreich hat si-

cherlich auch eine starke und aktive Position in der Friedenspolitik, in seiner Vermittlerrolle.

FURCHE: Wie sehen Sie die Chancen Österreichs, das Verhältnis zur EG neu zu regeln?

STEYRER: Wir haben mit unserer Neutralität auch Verpflichtungen übernommen. Wir müssen klar sehen, daß wir mit einer Vollmitgliedschaft Souveränitätsrechte aufgeben müßten. Daher ist sie eher unwahrscheinlich. Andererseits dürfen wir uns von der technologischen Entwicklung in der Gemeinschaft nicht abkoppeln.

FURCHE: Die österreichische Asylpolitik hat Tradition. In der letzten Zeit hat man den Eindruck, daß sie etwas „konjunkturabhängig“ geworden ist.

STEYRER: Österreich hat die Asylpolitik eigentlich konsequent verfolgt — Sie spielen aber wahrscheinlich auf die Visapflicht für Polenflüchtlinge an. Ich gebe zu,

daß hier auch wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle gespielt haben. Man muß aber schon zwischen politischen Flüchtlingen und solchen, die es sich verbessern wollen, unterscheiden. In einem Europa der kommunizierenden Gefäße wäre das kein Problem, aber einseitig ist es eines. Aber ich bekenne mich zu der Fortsetzung einer großzügigen * Asylpolitik, weil sie unserer humanitären Gesinnung entspricht.

FURCHE: Zum Nachbarn Jugoslawien gab es in der Frage der Minderheiten einmal ein etwas getrübteres Verhältnis. Sind die Fragen der Minderheiten zu Ihrer Zufriedenheit gelöst? Erweist sich die Mehrheit als großzügig genug?

STEYRER: Die Minderheiten stellen eine Bereicherung für unser Land dar. Und jede Minderheit verdient einen stärkeren Schutz als es dem Gesetz entspricht, denn wir wissen, daß es Minderheiten unerhört schwer haben, auch bei Gleichberechtigung ihre Kultur, ihre Sprache zu bewahren. Hier ist vieles geschehen, es könnte aber noch etwas mehr geschehen.

Ich halte auch die zweisprachigen Schulen in Kärnten für eine Bereicherung, weil ich mir persönlich auch wünschen würde, eine slawische Sprache zu können.

FURCHE: Wo sehen Sie jene großen Spannungsfelder in unserer Gesellschaft, die noch dazu konfliktträchtig sind, bei denen der Bundespräsident Einfluß nehmen sollte?

STEYRER: Ich glaube, daß die neuen Strömungen — ich will sie gar nicht Parteien nennen — die etablierten Parteien in ihrer Substanz anknabbern. Die Grünbewegung trifft heute die Sozialisten und wird auch noch die ÖVP treffen, wenn sie nicht mehr in Opposition ist, wenn es nicht mehr gelingt, den Zwiespalt im Bereich der Ökologie zuzudecken. Ökologie, Friedenspolitik,

Gleichberechtigung der Frau - da sehe ich die Entwicklung neuer Bewegungen. Und der zweite Punkt, der mir Sorge bereitet, ist die Demokratieabstinenz junger Leute, die heute auf die Parteien-

landschaft böse und mit dem politischen Stil nicht einverstanden sind.

FURCHE: Worauf führen Sie es zurück, daß die Zentrifugalkräfte in unserer Republik spürbar zugenommen haben, daß Egoismen, Regionalismen und Parteiinteressen so oft vor dem Staatsganzen reihen?

STEYRER: Das wurzelt in der Uberbewertung von materiellen Werten. Ich glaube, das ist eine Entwicklung, die jede Wohlstandsgesellschaft in ihrer Geschichte durchmacht. Jede Wohlstandsgesellschaft entwickelt sich in dem Augenblick zentrifugal, in dem sie einen gewissen Sättigungsgrad erreicht hat. Da fehlt es an Solidarität, nicht nur im eigenen Land. Es mangelt auch an Solidarität mit den Ländern der Dritten Welt.

FURCHE: Sie haben im Verlauf des Wahlkampfes gesagt: ,JDen Ton, der jetzt in der Politik herrscht, würd' ich mir als Bundespräsident nicht gefallen lassen.“ Das sind starke Worte. Was können Sie mehr als der amtierende Bundespräsident?

STEYRER: Das heißt, daß Kurt Steyrer als Bundespräsident aktiv dagegen auftreten würde. Das heißt noch nicht, daß ich Erfolg haben würde.

FURCHE: Sie würden sich nicht mit Maßhalteappellen begnügen wollen, sondern konkrete Dinge und Namen ansprechen?

STEYRER: Ich würde eine Diplomatie im stillen wählen, weil sie erfolgversprechender ist. Aber ich würde konkrete Leute einladen, würde versuchen, Kontakte auf privater Basis zu ermöglichen. Dadurch, daß wir das zuletzt in Österreich vernachlässigt haben, haben wir einen sehr großen Fehler gemacht

FURCHE: Das Bild, das die Wahlwerbung vom Bundespräsi-“ denten zeichnet, ist eine Mischung aus Kanzler und Volksanwalt — und das noch allzuständig für Arbeitsplätze und Pensionen. Das ist eine sonderbare Uberfrachtung des Amtes.

STEYRER: Ich bin mir bewußt, daß ein Bundespräsident keine Arbeitsplatzgarantie und keine Pensionsgarantie abgeben kann. Und ich weiß auch, daß der Bundespräsident nicht Bundeskanzler, nicht Fachminister ist. Aber ein Bundespräsident kann und soll auch die großen Linien der Politik wahrnehmen und mitbe-

„Transparente Planung ist die einzige Möglichkeit zur Mitbestimmung“

stimmen. Er kann seine Gesinnung einer Regierung vermitteln, und er hat schon gewisse Möglichkeiten, um eine solche durchzusetzen.

FURCHE: Sind Ihrer Ansicht nach eigentlich die Bürgerrechte ausreichend ausgebaut?

STEYRER: Ich gebe zu, daß es im Bereich der direkten Demokratie Verbesserungen geben könnte. Die Gründung der Ökologiekommission hat mir gezeigt, daß es eine Lücke gegeben hat, Menschen, die etwa engagiert ihre Umwelt schützen wollen, vor der Entscheidung in die Entschei-dungsprozesse einzubinden. Ein anderer Bereich ist die Dezentralisierung.

FURCHE: Und wie stehen Sie in diesem Zusammenhang zum Vorschlag einer transparenten Planung?

STEYRER: Das halte ich überhaupt für die einzig sinnvolle Möglichkeit, daß man die Mitbestimmung der Bürger erreichen kann. Wenn ich den Bürger aufkläre, worum es geht, was im Interesse des Staates geschehen soll, dann kann man vielleicht egozentrische Bewegungen verhindern und die Bürger zur Mitarbeit gewinnen.

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