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Steyrer: Es ist fünf nach zwölf!

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,Die Zukunft der Ge- sundheits- und Umweltpolitik’ stand in Wien zur Diskussion. Sozialversicherungsträger und Sozialpartner kamen dabei nicht besonders gut weg.

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,Die Zukunft der Ge- sundheits- und Umweltpolitik’ stand in Wien zur Diskussion. Sozialversicherungsträger und Sozialpartner kamen dabei nicht besonders gut weg.

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„Österreich hat die höchste Säuglingssterblichkeit und die niedrigste Lebenserwartung von allen vergleichbaren Ländern. Zugleich gehört es zu den Ländern mit den meisten Spitalsbetten, verfügt über die höchste Ärztedichte und weist die längsten Spitalsaufenthalte bei Entbindungen auf.“

Diese Fakten präsentierte der Wiener Gynäkologe Volker Korbei vorige Woche bei einer Veranstaltung der Europäischen Akademie Wien zum Thema „Die Zukunft der Gesundheits- und Umwelt-

Politik“. Sprecher der drei Parlamentsparteien und zwei Fachleute stellten sich dabei dem Publikum.

Korbei stellte auch einen deutlichen Vertrauensmangel seitens der Patienten fest: „Obwohl Österreich bei den Ländern mit dem höchsten Sozialversicherungsstatus ist, werden hierzulande ungeheuer viele Privatzusatzversicherungen abgeschlossen.“

FPÖ-Abgeordneter Walter Grabher-Meyer attackierte in diesem Zusammenhang den Hauptverband der Sozialversicherungsträger und dessen Präsidenten Johann Millen- dorfer: „Die Österreicher sind weniger zufrieden als früher. Das System hat versagt.“

ÖVP-Gesundheitssprecher Günther Wiesinger hob hervor, daß die Zahl der Krankenhausaufenthalte zwischen 1974 und 1979 stark zugenommen habe.

Er meinte, die Zunahme der Untersuchungstechnik zeige nur mehr „marginal“ Wirkung, sei aber kaum noch

finanzierbar. Es sei eine Schutzmaßnahme des Arztes, um späteren Vorwürfen zu entgehen, wenn heute mehr Befunde erstellt werden und etwas zu großzügig mit Antibiotika umgegangen werde.

Korbei plädierte für die Anwendung einfacher und schonender Mittel und dafür, sich für den Patienten mehr Zeit zu nehmen. Die gegenwärtige Praxis, Patienten kurz abzufertigen oder rasch weiter zu überweisen, werde durch die Art der Sozialversicherung erzwungen, die solchen Ärzten ein höheres Einkommen sichere.

Gesundheitsminister Kurt Steyrer äußerte sich positiv ‘zu Naturheilmethoden, solange sie durch Ärzte angewendet werden, und warnte vor einer Kosten-Nutzen- Rechnung in der Gesundheitspolitik. Zugleich bedauerte er, daß nur zehn Prozent der Ärzte den Mutter-Kind-Paß wirklich ordentlich ausfüllen.

Von einem Selbstbehalt im Gesundheitsbereich (abgesehen von der Rezeptgebühr) wollten weder Wiesinger noch Steyrer etwas wissen: Man habe kein sozial gerechtes und zugleich administrierbares System gefunden.

Eine „Ärzteschwemme“ sieht Wiesinger insofern kommen, da es schon jetzt an Ausbildungsplätzen für fertige Mediziner mangelt und zum Teil lange Wartezeiten in Kauf zu nehmen sind.

Steyrer sieht Lösungen in einer Senkung des Pensionsalters für Arzte und in einem Ausbau der Arbeitsmedizin, wo Österreich „um Jahre zurück“ sei, Wiesinger in einer Verbesserung der schulärztlichen Versorgung.

Auf Konsenskurs war man auch in der Umweltpolitik. Grabher-Mey-

er sprach von einer „Allianz der Gesundheits- und Umweltschutzpolitiker Österreichs“ und zitierte die Klage von Steyrers Sektionschef Herbert J. Pindur: „In Österreich hat nur ein Ministerium keine Umweltschutzkompetenzen — das Umweltschutzministerium.“

Dabei müßte der im Sommer vorgelegte Umweltbericht (FURCHE 31/1981) alle Alarmglocken läuten lassen. „Es ist schon fünf Minuten nach zwölf“ sagte Steyrer unter Hinweis auf einen gerade erschienenen „Spiegel“- Artikel über das Sterben der deutschen Wälder infolge säurehaltigen Regens.

Warum bekommt Steyrer nicht mehr Kompetenzen? Die Antwort liegt auf der Hand: Gewerkschaften und Wirtschaft arbeiten dagegen.

Dazu Steyrer: „Heute protestiert ein Unternehmer nicht mehr selbst gegen Umweltschutzauflagen, sondern schickt den Betriebsrat.“ Werden solche Auflagen in Großbetrieben nicht eingehalten, ist es mit Rücksicht auf die Arbeitsplätze nahezu unmöglich, Sanktionen zu verhängen.

Für Steyrer kann die Lösung der Umweltprobleme nur in einem Zusammenwirken der Sozialpartner liegen. Momentan arbeitet sein Ministerium an einer ganzen Reihe neuer Gesetze (Immissionsschutz, Beseitigung von Sonderabfällen, Umweltverträglichkeitsprüfung, Chemikaliengesetz ).

Ehe er reinere Luft einat- men kann, wird der Minister aber einen langen Atem brauchen. Und die Bekehrung seiner Gegner zu seinem Leitsatz: „Wir haben die Erde nicht von unseren Vätern geerbt, sondern von unseren Kindern geborgt.“

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