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Angekündigte Voraussagen pflegen nicht einzutreten: das ist die Bilanz eines bisher auf Sparflamme gehaltenen und eher lustlos abgespulten Wahlkampfes von beiden Großparteien. Und auch die FPÖ hat sich nichts Neues einfallen lassen, was die Wähler hätte aufhorchen lassen; wenngleich sie erstmals über mehr Geld zu verfügen scheint, was angesichts des von einer jammernden FPÖ-Führung nach dem 1. März 1970 geäußerten Bekenntnisses hoher Schulden von politischen Beobachtern als seltsam registriert wird. Voraussagen erfüllten sich nicht:

• Weder kam es zu einem heftigen Kampf bis aufs Messer, der den Einsatz des Schiedsgerichtes aus drei Richtern nötig gemacht hätte — denn die dürfen jetzt höchstens über Lappalien zu Gericht sitzen;

• noch kam es zur Hochpeitschung der Leidenschaft angesichts noch vor dem Sommer so heftig diskutierter Fragen, wie Landesverteidigung, Abschaffung der Pornographie (einschließlich angekündigter Volksbegehrensaktionen), noch zur Diskussion über den Paragraphen 144 des Strafgesetzbuches, der im Ausland die Gemüter wallen läßt;

• und schließlich ist auch der ange- kündigte Kandidatenwahlkampf nicht stärker zum Tragen gekommen. Auf SPÖ-Seite kämpft Wahllokomotive Kreisky ganz souverän und allein, wenngleich nicht so einsam wie als Oppositionschef 1970. Aber auch das persönlichkeitsfeindliche neue Wahlrecht verhinderte den Elan auf ÖVP-Seite, wo mit Vorwahlen, Kampfmandaten und einem breiten Kandidatenwahlkampf das Spektrum bei der ÖVP das letzte Mal bunter war.

Gerade die letztgenannte Tatsache hat ihren Grund in der geringen Zahl von Veränderungen auf den Kandidatenlisten, sieht man vom Ausrutscher der ÖVP mit ihren beiden Rechtsaußen Strachwitz und Fischer ab.

Mit Chance auf ein sicheres Mandat sind in beiden großen Parteien nur einige wenige neue Persönlichkeiten nach vorne gerutscht. Aber gerade sie versprechen, daß der neue

Nationalrat einige wesentliche Akzente erhält, die derzeit noch völlig gefehlt haben.

Da ist zuerst Universitätsprofessor Ermacora, der mit seinen Vorschlägen zum Umbau der Verfassung bislang nur in Juristenkreisen Furore gemacht hat. Ermacora hat auch ange- kündigt, daß er die politischen Pragmatiker überzeugen will, an eine Verfassungsänderung heranzugehen. Denn, so sagte er zur „Furche“ (Nr. 39/1971), es sei eine Tatsache, daß die Politiker die Verfassung nur als ein notwendiges Übel ansehen.

Zwar nicht nach dem Alter, aber der Kenntnis nach (vor allem, was die Praxis betrifft) wird der SPÖ-Klubsekretär Dr. Heinz Fischer für Ermacora im Parlament ein Gesprächspartner sein. Fischer hat wiederholt zu Fragen der Demokratie-, Verfas- sungs- und Parlamentsreform Stellung genommen, publiziert und diskutiert.

So hat „Zukunft“-Herausgeber Fischer nicht nur die Reden Karl

Renners neu herausgebracht, sondern auch zahlreiche Abhandlungen zum Wahlrecht verfaßt; in gewissem Sinne ist er der beste Kenner der Wahlrechtssituation auf Seiten der SPÖ und wurde von Bundeskanzler Kreisky auch wiederholt in den inneren Beratungskreis einbezogen. Dabei liegt Fischers Hauptinteresse aber auf dem Gebiet der Hochschulpolitik, wo er als ehemaliger Mandatar der sozialistischen Studenten Nahverhältnisse zur Reform der Hochschulen entwickelt hat.

„Fighter“ im Parlament

Neben der Diskussion über Fragen der Rechtspolitik scheint mit der Kandidatur des Wiener Primarius Dr. Günther Wiesinger bei der ÖVP sichergestellt, daß die Gesundheitspolitik und Fragen des Umweltschutzes zentral in die parlamentarische Diskussion rücken werden. Damit wird auch der Alleinvertretung des Ärztestandes durch den FPÖ-Medizi- ner Scrinzi ein Ende bereitet. Dabei ist der 41jährige Wiesinger kein politischer New-Comer, sondern über Funktionen in der Hochschülerschaft, in der Vereinigung österreichischer Ärzte und der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände ursprünglich fast mehr als Politiker denn als Arzt programmiert gewesen. Das überraschendste an Wiesinger: er konnte innerhalb von zehn Jahren als Facharzt mit der Gründung eines eigenen Institutes mit mehreren Niederlassungen und einem Sanatorium (Schloß Strobl am Wolfgangsee) eines der größten privat-organisierten ärztlichen Unternehmen Österreichs aufziehen, die ihm heute eine absolute Unabhängigkeit im politischen Geschäft garantieren.

Wiesingers Spezialkenntnisse als

Mediziner liegen darüber hinaus auf einem Gebiet, das sehr weitgehend in den aktuellen Bereich der Gesundheitspolitik reicht. Seine Institute behandeln vor allem Zivilisationserkrankungen und echte „Volkskrankheiten“, wie Rheuma und Gelenkserkrankungen. Wiesinger will vor allem die „zurückgebliebene Information auf dem Gebiet der vorbeugenden Medizin“ intensivieren und sich mit dem Umweltschutz beschäftigen.

Offenbar will das auch FPÖ-Arzt Scrinzi, der für seine Partei ein diesbezügliches Konzept im Wahlkampf vorgelegt hat. Jedenfalls darf man schon heute eine echte Konfrontation der Standpunkte in einem erweiterten Nationalrat erwarten.

Mit der Aufstellung Wiesingers ist aber der Wiener ÖVP auf, wie man hört, Initiative von Landespartei- obmann Bauer insofern ein Volltreffer gelungen, als der Wiener Internist unter seinen Feunden dafür bekannt ist, ein harter Fighter zu sein, der alles andere als eine Hinterbänklerrolle spielen wird, wie sie einst der Wiener Chirurg und ÖVP- Mandatar Schönbauer als Protegė Raabs spielte.

Vor allem wird es die SPÖ schwer haben, der gesundheitspolitischen „Speerspitze“ der beiden anderen Parteien etwas entgegenzusetzen. Zwar stehen Ärzte auf den Kandidatenlisten der SPÖ, aber alle in aussichtsloser Position. Ein SPÖ-Sozi- alminister als medizinischer Laie wird es also mit den Ärzten in der nächsten Legislaturperiode nicht son- lich leicht haben.

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