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Der Reformstau im Gesundheitswesen ist zum Wahlkampfthema avanciert: Während die einen den Kampf gegen die "Zwei-Klassen-Medizin" als höchstes Ziel formulieren, fordern die anderen mehr Effizienz. Tatsächlich muss vor allem eine Frage beantwortet werden: Was ist uns die Gesundheit wert? Das vorliegende Furche-Dossier wirft Schlaglichter auf den "Kostendschungel", lässt Experten zu Wort kommen und versucht darüber hinaus zu klären, was Begriffe wie "Gesundheit" und "Krankheit" heute überhaupt bedeuten. Redaktionelle Gestaltung: Doris Helmberger

Wolfgang Schüssel tut es, Alfred Gusenbauer tut es, Reinhart Waneck tut es und auch Kurt Grünewald bleibt nicht außen vor: Wenige Wochen vor der Wahl diagnostizieren sie alle im österreichischen Gesundheitswesen akuten Behandlungsbedarf. Die Befunde ähneln sich verdächtig: Teure Doppeluntersuchungen und Schnittstellenverluste werden beklagt, ebenso die noch immer fehlende Kostentransparenz. Uneins ist man nur in der Frage, ob kleinere Operationen reichen oder ob es tieferer Einschnitte bedarf, um Qualität und Finanzierbarkeit des heimischen Gesundheitssystems zu sichern.

Den schnellsten Start im Wettlauf um ein präsentables Reformkonzept erwischte die ÖVP - durch reines Glück: Eigentlich hatte man noch vor dem Sommer eine Gesundheitskonferenz geplant; kurzfristig wurde sie jedoch auf den Herbst verschoben. Und so umwehte Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bereits ein Hauch von Wahlkampf, als er Mitte September im Wellness Park Oberlaa seine Wünsche präsentierte: Der Hausarzt sollte zum "Gesundheitsmanager" des Patienten mutieren und über alle Befunde verfügen. Zweitens sollten nach Vorarlberger Vorbild neue Gesundheitsfonds geschaffen werden, aus denen sowohl Spitäler als auch niedergelassene Ärzte bezahlt werden. Und drittens plädierte Schüssel für einen "Qualitätsschub" in der Ausbildung und Pflege. "Es geht nicht darum, weniger Geld auszugeben, sondern das vorhandene Geld besser einzusetzen", lautet das Credo.

Aus für Ambulanzgebühr?

Ein Gedanke, der nicht nur den VP-Kanzlerkandidaten bewegt. Auch sein Herausforderer Alfred Gusenbauer sorgt sich um mangelnde Effizienz im ansonsten "außerordentlich kostengünstigen" österreichischen Gesundheitssystem. Wie die ÖVP plädiert auch die SPÖ für das Konzept des "einheitlichen Zahlers": Durch die Zusammenführung der Geldströme könnten die "unterschiedlichen Finanzierungsinteressen" überwunden werden, heißt es. Immerhin sei derzeit jede zehnte Leber- und Röntgenuntersuchung im niedergelassenen Bereich überflüssig und verursache Mehrkosten von 26 Millionen Euro jährlich. "Das ist mehr als die Einnahmen aus der Ambulanzgebühr im Jahr 2001 ausgemacht haben", rechnet Gusenbauer vor. Folglich würde er als erste Kanzlertat der "unsäglichen" Gebühr den Garaus machen.

Damit stößt Gusenbauer bei den Grünen auf offene Ohren: Die Gebühr bilde "eine Zugangsbarriere, die in vielen Fällen das Krankheitsrisiko der Patienten erhöht", beklagt Gesundheitssprecher Kurt Grünewald. Die Gesundheitsausgaben müssten jedenfalls steigen. Er plädiert für eine Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage sowie eine "dezente" Anhebung der Kassenbeiträge um 0,5 Prozent. Dies sei effizienter als eine "schrankenlose Ausweitung der Selbstbehalte", ist der Mediziner überzeugt.

Den meisten Widerhall hat freilich das Reformkonzept jenes Mannes gefunden, der in den vergangenen zweieinhalb Jahren als Staatssekretär für das Wohlergehen des Gesundheitswesens verantwortlich war: Reinhart Waneck. Er präsentierte Anfang Oktober seinen "Nationalen Gesundheitsplan" - früher als vorgesehen, habe doch die SPÖ "fast alle Ideen" seines Reformwerks übernommen. Auf heftige Kritik stießen vor allem zwei seiner Forderungen: der Vorschlag, die neun Gebietskrankenkassen zusammenzulegen, und die Idee, von Menschen in Ballungsräumen höhere Kassenbeiträge zu verlangen. Zweiteres zog Waneck Tags darauf als "Missverständnis" zurück.

Ohnmächtige Politik

Für Erstaunen sorgte das Noch-Regierungsmitglied vor allem durch seine freimütige Einschätzung der tatsächlichen Machtverhältnisse: "Als Gesundheits-Staatssekretär ist man ohnmächtig", gestand Waneck. Die über Jahrzehnte entstandenen Strukturen seien weder überschaubar noch finanzierbar.

Für Werner Clement, Gesundheitsökonom am Industriewissenschaftlichen Institut (IWI) der Wiener Wirtschaftuniversität, ein Offenbarungseid: "Das Gesundheitssystem wird von Jahr zu Jahr mit allen möglichen statistischen Winkeltricks finanziert, ohne dass jemand Kassasturz macht", empört er sich im Furche-Gespräch.

Einen besonders raffinierten Trick ortet Clement bei der Statistik der gesamten Gesundheitsausgaben. Während die Regierung stets die OECD-Daten zitiert, wonach Österreich 8,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Gesundheitsleistungen ausgibt und international an 14. Stelle liegt (Stand: 1999), hat das IWI andere Zahlen errechnet: "Wir kommen auf 10,9 Prozent des BIP", erklärt Clement. In den österreichischen Angaben seien Defizitabdeckungen der Spitäler nicht enthalten gewesen. Nimmt man die Zahlen des IWI, belegt Österreich - hinter den USA mit 13 Prozent - den zweiten Platz. Betrachtet man die öffentliche Gesundheitsquote, rangiert man mit 8,6 Prozent sogar weltweit an der Spitze. Otto Pjeta, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, hält diese Daten freilich für "äußerst bedenklich": Nur im internationalen Gleichklang könne man seriöse Zahlen publizieren.

Die Suche nach der Kostenwahrheit geht also weiter. Auch im Hauptverband der Sozialversicherungsträger: Noch im August hatte man bis Jahresende mit einem Defizit von 214,1 Millionen Euro gerechnet. Der seit 1. Oktober üppig gefüllte Ausgleichsfonds soll dieses Szenario verhindern helfen. Zähneknirschend und mit mancher Klage im Schlepptau haben die gewinnbringenden Versicherer - die Gebietskrankenkassen von Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg sowie die Sozialversicherungsanstalten der Gewerblichen Wirtschaft und des Bergbaus - 172 Millionen Euro in den Topf eingezahlt. Mit insgesamt 307 Millionen Euro gefüllt wird er Ende Oktober unter den defizitären Kassen ausgeschüttet. Allein die Wiener Kasse erhält ein Darlehen von 122,4 Millionen Euro. Wie viel davon ab 2005 an die unfreiwilligen Spender zurückfließt, bleibt abzuwarten.

Allheilmittel Prävention

Auch aus Kostengründen hat man indes ein neues Zauberwort entdeckt: Prävention. So wünscht sich Hauptverbands-Präsident Martin Gleitsmann ein Anreizmodell für mehr Vorsorge: Leute, die viel für ihre Gesundheit tun, sollten Bonifikationen erhalten. So könne etwa leicht festgestellt werden, ob jemand ein Raucher oder Trinker sei. Näheres wollte Gleitsmann dazu nicht verraten. "Der Erfolg kommt jedenfalls mit der Zeit zurück."

Dass ein ungesunder Lebensstil nicht nur den Einzelnen krank macht, sondern das gesamte Gesundheitssystem, ist mittlerweile dokumentiert: So belaufen sich die Kosten für Mehraufwendungen und Arzneimittel bei Patienten mit Übergewicht und Fettsucht hierzulande auf 167 Millionen Euro pro Jahr. Handeln ist also angesagt: Immerhin fällt ein Drittel der Bevölkerung in diese "teure" Kategorie.

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