Die ersten Reformen sind auf Kurs

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Die Sozialversicherung kämpft ums Geld: Es fehlen Millionen, die der Bund zusagte. Spitalskosten steigen, die Beiträge wachsen geringer. Das erste Reformpaket des neuen Präsidenten des Hauptverbandes, Hans Jörg Schelling, ist im Parlament, wie er im Interview erläutert. Das Gespräch führte Claus Reitan

Die Furche: Die Bundesregierung hat sich mit der Kassenreform stets etwas schwergetan, vorige Woche dann doch Beschlüsse getroffen. Wie ist der Stand der Dinge?

Hans Jörg Schelling: Es geht um zwei Bereiche. Wir haben am 30. Juni ein Papier über die mit den Ärzten erzielten Vereinbarungen abgegeben. Neu geregelt werden die Honorarpolitik, die Altersklauseln für Ärzte, gefordert wird eine ökonomische Verschreibweise. Der legistische Prozess ist auf Kurs. Der andere Bereich betrifft den Strukturfonds und die seitens der Bundesregierung zugesagten Budgetmittel in der Höhe von 100 Millionen Euro ...

Die Furche: Bleiben wir bei den Ärzten: In dem Programm ist der sogenannte achtbeinige Hund enthalten?

Schelling: Der ist da mit drinnen. Gemeint sind die wirtschaftlichen Parameter für Honorarverhandlungen und etwa die gemeinsame Bedarfsprüfung, weil es keine automatische Nachbesetzung nach Pensionierungen durch die Ärztekammer mehr geben wird. Wir als Sozialversicherung erhalten hier mehr an Einfluss. Als Altersobergrenze definieren wir jetzt das gesetzliche Pensionsantrittsalter, plus fünf Jahre, also siebzig Jahre. Derzeit verhandeln wir mit der Ärztekammer noch die Ärzte-GesmbH und die Bestimmungen über den Schutz vor Kündigungen des Kassenvertrages. Das ist aus unserer Sicht noch bis 31. Dezember zu erledigen.

Die Furche: Die Ärztekammer sagt alles oder nichts – also kein Beschluss, wenn nicht alle Details fertig verhandelt sind.

Schelling: Also wir haben mit der Ärztekammer eine elf Punkte umfassende Vereinbarung zum Thema Ärzte-GesmbH. Die steht zu 99 Prozent, jetzt ist der Gesetzgeber dran. Das ist der Knackpunkt. Die Problematik für uns ist durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes erlaubte Bedarfsprüfung (Causa Hartlauer). Dies bedeutet, wenn ein Bedarf an einem Leistungsangebot festgestellt wird, dann darf diese Leistung jeder Marktteilnehmer anbieten. Jetzt steht in den Texten, es dürfe zu keiner Bedarfsausweitung kommen. Aber was ist, wen sich fünf Wahlärzte zu einer Gesellschaft zusammenschließen und daher günstiger sind als der einzelne Arzt, der den Kassenvertrag hat? Was honorieren, was refundieren wir dann? Also dafür brauchen wir genaue Regelungen. Aber die Junktimierung des zuvor erwähnten Reformprogrammes mit der Ärzte-GesmbH ist aus unserer Sicht überflüssig. Wir haben hier keine Emotionen. Wir sind in einem ständigen Gespräch mit der Ärztekammer. Und wir sind nicht die Blockierer. Aber was vorige Woche durch den Ministerrat ging, sollte noch vor Weihnachten vom Nationalrat als Gesetz beschlossen werden.

Die Furche: ... und da ist noch das zweite, finanziell äußerst bedeutsame Thema des Strukturfonds ...

Schelling: Dieser Bereich ist viel schwieriger. Wir haben mit der Bundesregierung vereinbart, 2010 aus diesem Fonds 100 Millionen Euro zu erhalten, wenn wir den Ausgabenanstieg bei den Versicherungsleistungen um 197 Millionen dämpfen. Genau daran arbeiten wir. Mit der Vereinbarung von Finanzzielen (Balanced Scora Card) wird mit jeder einzelnen Gebietskrankenkasse vereinbart, wie diese ihre Kosten vermindert. Die ersten Unterschriften sind eingetroffen. Am 15. Dezember wollen wir dieses Programm dem Gesundheits- und dem Finanzminister vorlegen.

Die Furche: Sie haben mit den Ärzten das Potenzial der Kostendämpfung gegenüber der Bundesregierung schon mit 1,7 Milliarden Euro beziffert?

Schelling: Auch hier haben wir es mit drei Problemkreisen zu tun. Der eine sind unsere berechtigten und von niemanden bestrittenen Forderungen an die Bundesregierung, die sie noch nicht abgearbeite hat. Sie schuldet uns für die Bundesgesundheitsagentur pro Jahr 70 Millionen Euro an Kostenersatz. Es wurde bei der Gründung dieser Agentur im Budgetbegleitgesetz festgelegt, dass wir dieses Geld erhalten. Wir zahlen 84 Millionen, erhalten davon aber nur 14 Millionen Euro refundiert, also fehlen uns 70. Und offen sind auch 40 Millionen Euro aus der noch von der vorherigen Regierung eingeführten Rezeptgebührenobergrenze für einkommensschwache und chronisch kranke Patienten. Dieses Einkommenslimit für die Einhebung der Rezeptgebühr führt bei den Kassen zu Mindereinnahmen. Bei dieser Sozialleistung hat man sich aber völlig verschätzt: Es sind nicht die prognostizierten 37, sondern 77 Millionen Euro an Mindereinnahmen geworden. Also sind 40 Millionen Euro offen, die wir zurecht als Refundierung fordern. Der zweite Problemkreis ist der Strukturfonds, der zwar unbefristet errichtet ist, aber jährlich dotiert wird. Wir wollten eine mittelfristige Planung, jetzt wird eben mit dem nächsten Budget verhandelt.

Die Furche: Aber die Regierung hat, trotz Ihrer Forderungen, der Sozialversicherung finanziell geholfen?

Schelling: ... das ist der dritte Punkt. Wir haben für die Liquidität 45 Millionen Euro erhalten, die sind zwar für unser heuriges, geringfügig positives Ergebnis nicht ausschlaggebend, aber sicher ein Beitrag dazu. Aber die weiteren zugesagten 450 Millionen Euro sind ein Beitrag zur Entschuldung, das ist kein frisches Kapital. Die Bundesfinanzierungsagentur vermindert unsere Schulden von 1,2 Milliarden Euro um 150 Millionen Euro im ersten Jahr, und der Zinsgewinn kommt bei uns an, aber nicht das bare Geld.

Die Furche: Während Sie im Hauptverband versuchen, die finanzielle Balance herzustellen, drohen doch am Horizont mit den verzögert eintretenden Folgen der Wirtschaftskrise neue Probleme.

Schelling: Würde es zu einer nachhaltigen Verschärfung kommen, dann würde das Auswirkungen auf der Beitragsseite haben. Unser Papier vom Juni beruht auf den heurigen, nicht wie jenes der Sozialpartner auf den vorjährigen Prognosen. Die gingen von einem durchschnittlichen Wachstum der Beiträge von drei Prozent aus, davon haben wir uns entfernt, wir sind realistisch, erwarten 1,5 Prozent. Also die möglichen Gewitterwolken haben wir im Fokus ...

Die Furche: ... aber?

Schelling: ... das zweite Problem in der mittelfristigen Betrachtung ist ja viel dramatischer, nämlich die Finanzierung der Krankenhäuser und deren steigende Kosten. Wir sind verpflichtet, 35 Prozent unserer Beitragseinnahmen an die Landeskrankenanstalten weiterzuleiten. Wenn unsere Beitragseinnahmen aber nur um 1,5 Prozent ansteigen, die Spitalskosten aber um vier Prozent oder sogar mehr, dann entsteht eine enorme Finanzierungslücke. Das wird sehr spannend, wie das in den Ländern weitergeht. Das viel wahrscheinlichere Szenario eines auf uns zukommenden Crashs liegt in der Finanzierung der Krankenhäuser.

Die Furche: Nicht zuletzt deswegen wird, auch von Ihnen, gefordert, das Gesundheitssystem aus einer Hand, einem Topf zu finanzieren.

Schelling: Weil jeder diese eine Hand sein wollte, haben wir uns auf die Bezeichnung Topf geeinigt. Es muss, das wollen inzwischen auch die Länder, zu einer besseren zentralen Planung und Steuerung kommen. In den Ambulatorien steigen die Kosten wegen mangelnder Vernetzung, Planung, fehlender Angebotsstruktur. Es könne nicht alle 264 Krankenhäuser alles tun. Aber wir können bedarfsgerecht Strukturen ändern. Wir brauchen keine Debatten über Standorte oder Schließungen zu führen. Aber über bessere Strukturen ist zu verhandeln. Wir sind für eine rasche Debatte.

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