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Heuchler suchen einen Sündenbock

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Der österreichische Bundespräsident zu Besuch im Vatikan: Auch ein Kurt Waldheim darf vom Dialog zwischen Juden und Katholiken nicht ausgeschlossen bleiben. Es geht um beider Selbstverständnis.

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Der österreichische Bundespräsident zu Besuch im Vatikan: Auch ein Kurt Waldheim darf vom Dialog zwischen Juden und Katholiken nicht ausgeschlossen bleiben. Es geht um beider Selbstverständnis.

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Nach Johannes 11,50 sagte der Hohepriester Kaiphas vor dem Hohen Rat: „Ihr wißt nichts und bedenkt nicht, daß es für euch besser ist, wenn ein Mensch für das Volk stirbt, als wenn das ganze Volk zugrunde geht.“ Der Verfasser des Evangeliums deutet anschließend seine Meinung an, daß Kaiphas hier eine tiefere Wahrheit aussprach als er selbst wußte.

Aber darum geht es hier nicht. Denn, was Kaiphas wohl bewußt meinte, war, daß es besser sei, ein Unschuldiger sterbe, als daß „das Volk zugrunde gehe“. Das heißt mit anderen Worten: Der Sündenbock soll sterben, denn sonst kä me es, dies darf man wohl annehmen, zu einem Konflikt mit der römischen Besatzungsmacht, der zum Tod des ganzen Volkes führen könnte.

Versteht man den Satz in dieser, Weise, so besteht kein Grund, ihn zu dämonisieren. Denn bei der Abwägung des jeweils „kleineren Übels“ — ein Vorgehen, das ja auch bei Katholiken beliebt ist — muß man doch wohl zugeben, daß die Argumentation bestechend ist. Ist nicht ein schuldloses Opfer besser, als daß viele Unschuldige verkommen?

Und doch halte ich - wie viele - diese These für höchst fragwürdig. Denn abgesehen davon, daß die Behauptung, das ganze Volk gehe zugrunde, wohl übertrieben war, ist die bewußte Opferung eines Unschuldigen unter keinen Umständen zu rechtfertigen. Es wäre richtig gewesen, hier selbst ein Blutbad unter dem Volk zu riskieren, als bewußt einen Unschuldigen dem Tod zu überantworten.

Verdünnt und verkleinert man die welthistorische Situation auf die vergleichsweise banale österreichische sowie auch die handelnden Personen auf das entsprechende Maß, so argumentieren Österreichs Ex-Staatsmann Bruno Kreisky und viele österreichische Amerikanisten ähnlich wie Kaiphas: Ein Land ist wichtiger als ein Amt. Damit meinen sie, es sei besser, ein (verglichen mit den Vorwürfen gegen ihn) unschuldiger Bundespräsident verliere sein Amt, als daß das Land durch ihn zu leiden hätte.

Das wäre nun ebenso falsch wie Kaiphas’ Argument damals.

Insofern steckt auch im (sich natürlich mit ihm solidarisierenden) Staatsempfang Kurt Waldheims durch den Papst ein christlicher Kern, wenn er wohl auch nicht in seiner ganzen Intensität zum Ausdruck kommen wird.

Denn Waldheim ist im wesentlichen so schuldig oder unschuldig wie der überwältigende Teil der Katholiken im „Dritten Reich“, einschließlich, wenn nicht vor allem, der Bischöfe und des Papstes Pius XII. Er agierte nicht wie die Ausnahmen — des katholischen Widerstandes —, sondern eben konform mit den Bischöfen und dem Papst.

Der Anteil der Kirche an den Verbrechen, die der Nationalsozialismus an den unterworfenen Völkern vor allem des Ostens (an den Polen, den Völkern der Sowjetunion-allein mehr als 20 Millionen Tote -), an den Juden (sechs Millionen Tote) und, nicht zu vergessen, auch an den Zigeunern (600.000 bis 1,2 Millionen Tote) begangen hat, ist vom gesamten deutschen, österreichischen, ungarischen, kroatischen etcetera Katholizismus und vom Papsttum mit zu verantworten und nicht von einem einzelnen Sündenbock. So geht das nicht.

Daß dies der Papst so sagt, ist nicht-zu erwarten. Hiezu ist ihm wohl das Dekor der neuzeitlichen Päpste und der betreffenden Hierarchien zu wichtig. Das müssen wir stellvertretend für das Papsttum tun.

Aber eine Distanzierung vom Katholiken Kurt Waldheim wäre zweifellos fehl am Platz.

Daher sei auch an die Adresse der Juden gesagt: Der Dialog mit den Katholiken ist wichtiger als mit jeder anderen Gruppe in der Welt, da es bei beiden um ihr ureigenstes Selbstverständnis geht, das sie nicht verdrängen sollten. Waldheim von diesem Dialog auszuschließen, solange sie ihm nicht mehr vorwerfen können als 98 Prozent der Katholiken in Deutschiarid und Österreich — und dem Papst —, ist ungerecht.

Selbstverständlich können wir niemanden dazu zwingen, Waldheim in die Dialogpartnerschaft einzubeziehen. Aber wir können doch mit Nachdruck darauf verweisen, daß er auch durch die gemeinsame Schuld zu uns gehört und daß eine substantielle Distanzierung von ihm eine Heuchelei unsererseits ist.

So hat die österreichische Situation vielleicht noch eine spezielle Chance, im Sinne des oft zitierten Satzes: „Dies Österreich ist eine kleine Welt, in der die große ihre Probe hält.“ Oder, negativ formuliert: „Österreich ist ein Laboratorium für Weltuntergänge.“ Denn-auch das könnte dabei herauskommen.

Im übrigen: Am 4. April 1986 schrieb ich in der FURCHE (14/1986) einen Artikel, in dem ich Gehorsamsideologie (Hierarchismus), Antikofnmunismus und Antisemitismus als Hemmnisse des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus darstellte. Mehr als ein Jahr später sieht dies Erwin Ringel ähnlich (in der „Wochenpresse“). Es ist zu hoffen, daß er nach einem Jahr auch die These oben- stehender Ausführungen bejaht…

Der Autor ist Psychologe in Wien.

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