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Nadi Auschwitz wieder Hoffnung

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Auf der gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland artikulierte sich ein neues Verhältnis zur Glaubensgeschichte des jüdischen Volkes. Offen bekannte man, jenes Land zu sein, dessen jüngste politische Geschichte von dem Versuch verfinstert ist, das jüdische Volk systematisch auzurot-ten. Trotz beispielhaften Verhaltens .einzelner Personen und Gruppen war, aufs Ganze gesehen, in der Zeit des Nationalsozialismus die katholische Kirche Deutschlands doch eine Gemeinschaft, die zu sehr „mit dem Rücken zum Schicksal des verfolgten jüdischen Volkes weiterlebte und zu ängstlich um den ungefährdeten Fortbestand der eigenen kirchlichen Institutionen besorgt war“. Daß Christen sogar bei dieser Verfolgung mitgewirkt haben, bedrückt heute besonders schwer. Man ist zur Einsicht gekommen, daß die praktische Redlichkeit des Erneuerungswillens der deutschen Katholiken auch an dem Eingeständnis dieser Schuld hängt und an der Bereitschaft, aus dieser Schuldgeschichte schmerzlich zu lernen, „indem gerade die deutsche Kirche wach sein muß gegenüber allen Tendenzen, Menschenrechte abzubauen und politische Macht zu mißbrauchen und indem sie allen, die heute aus rassistischen oder anderen ideologischen Motiven verfolgt werden, ihre besondere Hilfsbereitschaft schenkt, vor allem aber, indem sie besondere Verpflichtungen für das so belastete Verhältnis der Gesamtkirche zum jüdischen Volk und seiner Religion übernimmt“.

Der Romano-Guai-dini-Preis wurde 1970 gestiftet in der Verpflichtung gegenüber dem Wirken und der Persönlichkeit Romano Guardinis und in der Zielsetzung, das Werk dieses Mannes — eines der bedeutendsten Religionsphilosophen, Theologen und Interpreten — lebendig zu erhalten. Die Auszeichnung soll ohne Rücksicht auf Konfession und Nation an Persönlichkeiten verliehen werden, die sich im umfassenden Sinne Romano Guardinis hervorragende Verdienste um die Interpretation von Zeit und Welt auf allen Gebieten des geistigen Lebens erworben haben. Nach den beiden Theologen Karl

Rahner und Hans Urs von Balthasar, dem Sozialethiker Oswald Nell-Breuning, dem Physiker Werner Heisenberg, dem Komponisten Carl Orff und dem Pathologen Franz Büchner, wurde 1976 der Preis an Teddy Kollek, Bürgermeister der Stadt Jerusalem und Shemaryahu Talmon, Professor für Bibelwissenschaft in Jerusalem, verliehen. Das vergebende Gremium, die Akademieleitung, wollte mit der Preisverleihung 1976 bewußt über die christlichen Konfessionen hinausgreifen. Deshalb die Preisvergabe an zwei jüdische Persönlichkeiten aus Israel, deren außerordentlicher Beitrag zur Interpretation von Welt und Zeit sich auch im politischen Handeln niederschlägt. Teddy Kpllek, 1911 in Wien geboren, ist Bürgermeister der heiligen Stadt Jerusalem, dem Heiligtum der drei großen Religionen der Juden, Christen und Moslems, Bürgermeister einer Stadt mit vieltausendjähriger Geschichte und der Last dieser Geschichte, angesichts der schwierigen Probleme einer modernen Großstadt. Ein Bürgermeister, der sich um die Erhaltung nicht nur der historisch überkommenen äußeren Gestalt dieser Stadt müht, sondern auch um den geistigen-reli-giösen Gehalt, der Jerusalem ausmacht. Ein Bürgermeister, der unter-

halb der Ebene der großen Politik mit dem vollen Einsatz seiner Person versucht, Menschen, die vieles trennt — Religion, Rasse, Volk — ein Leben in.Frieden und Toleranz zu ermöglichen.

In einem Gespräch sagte mir Teddy Kollek, Jerusalem dürfe nicht ein Schmelztiegel werden, eine Stadt mit einer einzigen Kultur. Bestimmend müsse der Respekt vor jeder echten Tradition sein. „Wir wollen eine Stadt bauen, und zwar die schönste Stadt der Welt, in der das Materialistische als bestimmendes Lebenselement künftighin nicht in Geltung sein soll.“ Die Minderheitenpolitik, die Teddy Kollek in Jerusalem betreibt, darf man zu Recht guardi-nisch nennen.

Professor Talmon ist einer der hervorragendsten Vertreter der hebräischen Universität von Jerusalem. Er ist ein Kenner der Zeit unmittelbar vor und nach Jesus, also genau der schwierigsten Zeit des Ubergangs zwischen Judentum und Christentum. Er ist einer der ersten Fachleute in der Erforschung der Schriftrollen vom Toten Meer, ein weltweit anerkannter akademischer Lehrer, der auch in einem weithin säkularisierten Judentum der jungen Generation den Zugang zu den heiligen Büchern eröffnet. Er beläßt es nicht, wie viele seiner Kollegen, nur beim Forschen und Lehren, mit dem ganzen Einsatz seiner Person betreibt er auch den Dialog mit den Weltregionen. Prof. Talmon ist der offizielle Sprecher der israelischen Juden beim Internationalen Komitee für christlich-jüdische Beratungen, also einer der entscheidenden Sprecher für die Kontakte der Juden zum Vatikan. Professor Talmon hat wegweisende Gedanken über Ziele und Bedingungen des jüdisch-christlichen Dialogs vorgelegt. Im November 1973 hat er auf deutschem Boden einen Satz gesprochen, der bei vielen Zuhörern eine große innere Bewegung ausgelöst hat. Er lautet: „Sie werden verstehen, daß ich durchaus bereit bin, die Legitimation des Christentums anzunehmen. Ich bitte darum, die Legitimation des Judentums anzunehmen.“

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