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Bethlehem in Not

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Washington, Ende Juli 1950. Jusif El Bandak, Sohn des gegenwärtigen Bürgermeisters der Geburtsstadt Christi und Delegierter der Christen Palästinas in Washington, London und bei den Vereinten Nationen, mit dem' ich nach seinem in der International Society for Christian Leadership gehaltenen Vortrage ins Gespräch komme, nennt sich einen christlichen Araber. Trotz seiner dunklen Augen und seines südlichen Typus würde man ihn jedoch; auf den ersten Blick kaum als Araber erkennen.

.Mütterlicherseits“, erklärt er, „stamme ich, wie sehr viele meiner christlichen Landsleute, die auf Grund ihrer Mutter-' spräche allgemein als Araber bezeichnet' werden, von Nachkommen der Kreuzfahrer, vielleicht von Franzosen, ab. In' meiner Vaterstadt Bethlehem gibt es weder Juden noch Moslems, da hier niemals Übertritte vom Christentum zum mohammedanischen Glauben stattgefunden haben. Ungefähr die Hälfte der 15.000, einschließlich der Vororte 25.000 Seelen zählenden Bevölkerung von Bethlehem ist römisch-katholisch, die andere Hälfte griechisch-orthodox, Außer diesen gibt es einige Hundert Protestanten, die der episkopalen Konfession angehören.

Gegenwärtig allerdings ist die Bevölkerungszahl meiner Heimatstadt auf annähernd 70.000 angestiegen“, berichtet er weiter. „Christen aus allen Teilen Palästinas haben seit 194? hier Zuflucht gesucht und gefunden. Wir haben alles, was möglich war,. getan, um ihnen Unterkunft und Nahrung zu geben. Leider jedoch übersteigt der Unterhalt einer so großen Zahl von Flüchtlingen unsere Mittel, vor allem aber erweist sich die Frage ihrer Unterbringung angesichts der ohnedies bis aufs Äußerste in Anspruch genommenen Fassungskraft unserer Häuser als unlöbares Problem: 30.000 dieser Flüchtlinge wohnen seit Jahr und Tag in Zelten unter freiem Himmel auf den Mügeln um Bethlehem oder in den Kellern der Stadt. Und es sind meist Leute, die einst selbst Häuser besessen hatten, so namentlich in Jerusalem, dessen Hausbesitz zu drei Vierteln in den Händen von Christen war.

Warum sich dieser Strom von Flüchtlingen nach Bethlehem ergoß?

Nachdem sich die britische Mandatsbesatzung im Jahre 1947 aus Palästina zurückgezogen hatte, floh der christliche Bevölkerungsteil der Städte Palästinas, die vielfach von Mitgliedern der bewaffneten jüdischen Organisation „Haganah“ und anderer Verbände angegriffen worden waren, aus ihren Heimstätten nach Bethlehem. Hier hatte die christliche Bevölkerung eine kleine Armee zur Verteidigung der Stadt aufgestellt und Befestigungen errichtet. Ein von den genannten Kräften mit Unterstützung von Tanks und zwei Flugzeugen unternommener Angriff auf Bethlehem wurde erfolgreich zurückgeschlagen. Seither bildet die Stadt ein kleines Bollwerk, eine befestigte christliche Insel in Palästina.

Wohl haben die IRO und andere Hilfsorganisationen diesen Flüchtlingen Lebensmittel und Kleider zukommen lassen, doch ist damit die Frage ihrer Unterbringung noch keineswegs gelöst. Dazu kommt, daß nun auch unsere eigene Bevölkerung, die von den Hilfsaktionen natürlich nicht erfaßt wurde, tatsächlich in arge Not geraten ist: während des ersten Jahres des Anströmens von Flüchtlingen haben die Einwohner von Bethlehem den Flüchtlingen alles irgendwie Entbehrliche gegeben. Jetzt haben sie nicht rtur nichts mehr abzugeben, sondern entbehren auch selbst das Nötigste.

Meine Mission hat einen doppelten Zweck: einmal, der christlichen Bevölkerung Bethlehems, die von der Welt vergessen Worden zu sein scheint, Lebensmittel, Kleidung und Medikamente zu verschaffen. Sowohl in Washington als auch in London haben sich unter der Beteiligung hoher geistlicher Würdenträger, wie des Erzbischöfs von Canterbury oder des griechisch-orthodoxen Erzbischöfs von Nordamerika, .Michael, bekannter Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, wie Eden,,Lord Halifax oder des Bürgermeisters von London usw., Hilfskomitees zu diesem Zwecke gebildet.

Mein anderes; Ziel aber ist, mich nach Kräften beri den Vereinten Nationen für die Errichtung eines auch vom Heiligen Vater befürworteten internationalen Statuts für Jerusalem unter Einschluß Bethlehems, etwa nach dem Muster von Triest, einzusetzen.

Die andere Alternative: eine Aufteilung Jerusalems zwischen Israel und Transjördanien würde dort das Bestehen einer christlichen Gemeinschaft, der christlichen Überlieferungen wie der christlichen Kultstätten gefährden. Zwar haben die Vertreter Israels für diesen Fall die Wahrung der heiligen Stätten der Christenheit zugesagt. Es ist jedoch Tatsache, daß seit dem Abzug der Briten 50 christliche Schulen in Jerusalem von

Israel übernommen oder zerstört, 6 ehemals christliche Spitäler übernommen wurden und das Terra Santa College der

Franziskaner heute einen Teil der jüdischen Universität bildet. Dieser Prozeß würde, falls Jerusalem nicht ein internationales Statut erhält, zweifellos seinen Fortgang nehmen.

Dem Antrag auf Errichtung eines internationalen Statuts haben unter den Vereinten Nationen außer Transjordanien selbst seltsamerweise auch alle arabischen Staaten nebst den meisten der der Mehrheit ihrer Bevölkerung nach katholischen Mitgliedstaaten zugestimmt, während andererseits die Vereinigten Staaten diesmal gemeinsam mit der Sowjetunion und deren Satelliten dagegen gestimmt haben. Der Treuhänderschaftsrat der Vereinten Nationen in Genf hat inzwischen ein internationales Statut ausgearbeitet, das im September dieses Jahres der Vollversammlung unterbreitet werden soll. Auch nach diesem Statut würde die. jüdische und mohammedanische Mehrheit der Stadt ihre Rechte voll beibehalten, doch würde in diesem Fall auch die Stellung der Christen als einer gleichberechtigten Minderheit gewahrt werden.

Leider erfolgte die Anerkennung Israels von seiten der Vereinigten Staaten — unmittelbar nach der Unabhängigkeitserklärung Israels am 15. Mai 1947 —, von seiten der Sowjetunion und anderer Mächte, noch ehe die Grenzen des neuen Staates festgesetzt worden waren. Dieser Umstand trug nicht wenig zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten bei.

Jerusalem bildet eine heilige Stätte für die Christen wie für die Juden der ganzen Welt. Nur ein internationales, unter der Treuhänderschaft der Vereinten Nationen stehendes Regime wäre imstande, allen an den heiligen Stätten mit Recht geltend gemachten Ansprüchen gerecht zu werden und die Rechte aller zu wahren. Christen, Juden und Moslems haben bisher in Palästina friedlich zusammen gelebt. Heute überfluten die Wellen des Nationalismus, nachdem sie in Europa abgeebbt sind, das Heilige Land.

Es muß dafür gesorgt werden, daß ihre Fluten nicht Heiligtümer mit sich reißen, die nicht nur den heute um sie streitenden Parteien, sondern, solange und sofern ihr überhaupt noch etwas heilig ist, der ganzen Welt gehören.“

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