Paulus – durch und durch Jude
Neuere jüdische Forschungen können helfen, die Anfänge des Christentums besser zu verstehen. Essenziell dabei – einmal mehr – ein genauer sprachlicher Umgang mit den Bibeltexten.
Neuere jüdische Forschungen können helfen, die Anfänge des Christentums besser zu verstehen. Essenziell dabei – einmal mehr – ein genauer sprachlicher Umgang mit den Bibeltexten.
Es ist ein provokanter Titel: „When Christians were Jews (Als die Christen Juden waren)“. Autorin ist Paula Fredriksen. Sie ist „Distinguished Visiting Professor of Comparative Religion“ an der Hebrew University in Jerusalem und erforscht aus jüdischer Perspektive das Christentum. Aus theologischer Sicht gehört das Werk zur spannendsten Literatur der letzten Jahre, der Zugang der Gelehrten wird hoffentlich neue Trends setzen. Was ist das geradezu revolutionär Neue?
Paula Fredriksen beschäftigt sich mit den ersten 50 Jahren des Christentums und mit der Zeit, in der die Schriften des Neuen Testaments entstanden. Sie sieht die ersten Apostel einschließlich Paulus als Teil des Judentums. Aus dieser jüdischen Sicht versteht sie den Text in vielen Fragen besser als so mancher christliche Theologe: Sie argumentiert überzeugend, dass das „Schwert“, mit dem einer der Jünger (nach dem Johannesevangelium war es Petrus; vgl. Joh 18,10–11) dem Knecht des Hohepriesters das Ohr abgeschnitten habe, eigentlich ein rituelles Messer gewesen sei: Petrus habe dieses Messer für die rituelle Schlachtung des Pessach-Lammes benötigt. Ihr Humor würzt das Buch: Sie fragt, wie man mit einem Schwert ein Ohr abschneiden würde. Ihre Antwort: sehr vorsichtig.
Bei einem Schwert ist meist gleich der ganze Kopf weg, diffizile Operationen wie die Amputation eines Ohrs, ohne dass es zu großflächigen Verletzungen kommt, sind mit einem handelsüblichen Rasiermesser oder einem Ritualmesser leichter zu erledigen. Wirklich aufwühlend wird es jedoch, wenn sich die Jüdin dem „Apostel der Heiden“ (Röm 11,13) zuwendet. Sie sieht Paulus als zutiefst im Judentum verwurzelt. Das Neue des Christentums sei vielmehr, so sagt die Jüdin, nicht die Öffnung der jüdischen Religion auf Nichtjuden hin. Das Konzept einer Völkerwallfahrt zum Berg Zion gehört zum Judentum (vgl. Micha 4,1- 4 oder Jes 2,1–5), eine Öffnung des Heils auf „die Völker“ ist nicht erst von Jesus und den Aposteln entwickelt worden. Umgekehrt finden sich zu dieser Zeit Nicht-Juden – meist als Gottesfürchtige bezeichnet – im Umfeld der Synagoge. Gemeinhin gilt in der Neutestamentlichen Wissenschaft als zentrales Kriterium für „Gottesfürchtige“ der Eingottglaube.
Die Gelehrte argumentiert gegen diesen Mainstream, wenn sie nachweist, dass Gottesfürchtige weiterhin in ihrem antiken religiösen Umfeld verwurzelt blieben. Der abstrakte Eingottglaube hinderte sie nicht daran, an unterschiedlichen Kulten teilzunehmen. Erst durch die Konversion zum Judentum (einschließlich der Beschneidung und der daraus folgenden Pflicht zur Beachtung des jüdischen Gesetzes) wurde für die Proselyten der exklusive JHWH-Kult verpflichtend. Das entscheidend Neue der paulinischen Konzeption sei, dass NichtJuden eine volle Teilnahme am Judentum möglich wurde, ohne sich beschneiden lassen zu müssen.
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