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Vorweggenommene Historie

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Die ersten Nachkriegstage 1945 haben nicht nur über viele Menschen unendliches Leid gebracht, sondern ihnen auch Schwierigkeiten' bereitet, die oft genug nur durch herzhafte Taten überwunden werden konnten. Von einem solchen Ereignis soll hier zum erstenmal Mitteilung gemacht werden. Ende April oder Anfang Mai 1945 meldete sich beim damaligen Dom-kuraten Dr. Franz König — er ist niemand anderer als der Wiener Erzbischof Kardinal DDr. Franz König — ein Brautpaar evangelischen Glaubens, das aus persönlichen Gründen sich in St. Pölten nicht mehr sicher fühlte und aus der russischen Besatzungszone nach dem Westen auszuweichen wünschte. Dazu kam noch, daß beide die Ehe schließen wollten. Dem standen jedoch mehrere Hindernisse entgegen. Das St. Pöltner Standesamt, das nach der durch die deutsche Gesetzgebung eingeführten Rechtslage als zuständig angesehen werden mußte, war nicht besetzt. Der Standesbeamte war geflohen, weil er sich wegen seiner politischen Einstellung von der russischen Besatzungsmacht bedroht fühlte.

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Die ersten Nachkriegstage 1945 haben nicht nur über viele Menschen unendliches Leid gebracht, sondern ihnen auch Schwierigkeiten' bereitet, die oft genug nur durch herzhafte Taten überwunden werden konnten. Von einem solchen Ereignis soll hier zum erstenmal Mitteilung gemacht werden. Ende April oder Anfang Mai 1945 meldete sich beim damaligen Dom-kuraten Dr. Franz König — er ist niemand anderer als der Wiener Erzbischof Kardinal DDr. Franz König — ein Brautpaar evangelischen Glaubens, das aus persönlichen Gründen sich in St. Pölten nicht mehr sicher fühlte und aus der russischen Besatzungszone nach dem Westen auszuweichen wünschte. Dazu kam noch, daß beide die Ehe schließen wollten. Dem standen jedoch mehrere Hindernisse entgegen. Das St. Pöltner Standesamt, das nach der durch die deutsche Gesetzgebung eingeführten Rechtslage als zuständig angesehen werden mußte, war nicht besetzt. Der Standesbeamte war geflohen, weil er sich wegen seiner politischen Einstellung von der russischen Besatzungsmacht bedroht fühlte.

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Es muß hinzugefügt werden, daß in diesen ersten Nachkriegstagen völlige Unklarheit darüber herrschte, ob das deutsche Personenstandsgesetz überhaupt noch in Kraft stünde und ob nicht die kirchliche Trauung, wie zur Zeit der Ersten Republik, als die primär maßgebliche aufzufassen sei. Wir verzichten hier absichtlich auf die juristischen Auseinandersetzungen um dieses Problem, sondern begnügen uns nur mit der Feststellung, daß eben in diesen schwierigen Wochen des Wiedererwachens des österreichischen Rechts Unsicherheit herrschte.

Wenn die Auffassung richtig war, daß die kirchliche Trauung wieder gültig sei — wir werden auf dieses “Problem noch einmal zurückkommen —, dann hätte es doch leicht sein müssen, wenigstens in der evangelischen Stadtpfarrkirche in St. Pölten dieses evangelische Paar zu trauen. Hier traten aber neue Schwierigkeiten auf. Die evangelische Stadtpfarre war bis zum 30. Juni 1945 verwaist. In der Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September 1945 wurde sie administriert, und erst vom 1. Oktober 1945 an war wieder das Pfarramt besetzt. Daraus ergab sich, daß sich Ende April, Anfang Mai keine Möglichkeit bot, eine kirchliche Trauung in der evangelischen Stadtpfarrkirche von Sankt Pölten vorzunehmen.

Und hier nun setzt das Wirken des Domkuraten Dr. Franz König ein. Der damals noch nicht einmal 40jährige Domkurat war bei der St. Pöltner Bevölkerung schon während der Zeit der deutschen Besetzung sehr beliebt. Er war weder den Katholiken noch den Andersgläubigen unbekannt. Schon gar nicht der Gestapo. Vor mir liegt der Tagesbericht Nr. 7 vom 21. bis zum 24. Mai 1943 der Geheimen Staatspolizeistelle, Wien, in dem es heißt: „ ... Uber den katholischen Domkurat Dr. Franz König, geboren am 3. August 1905 in Rabenstein, Sankt Pölten, Domplatz 1 wh., wurde Sicherungsgeld in Höhe von RM 1000.— festgesetzt. K. war Organisator der Katholischen Jugendbewegung in der Diözese (!) Sankt Pölten und hat als solcher durch Veranstaltung von Jugend-Treffs verbotene Freizeitgestaltung betrieben ...“

Dem braucht wohl nichts zur Charakterisierung der Persönlichkeit und Tätigkeit beigefügt zu werden. Dazu kam noch, daß der außerordentlich sprachbegabte Domkurat schon während der Zeit der deutschen Besetzung Russisch gelernt hatte. Nach einem damals üblichen Bonmont zählte man dadurch zu den Pessimisten, denn nur die Pessimisten lernten schon während der Zeit, da die Unentwegtesten an den großen deutschen Endsieg glaubten, die russische Sprache. Diese Kenntnis des Russischen sollte den Domkuraten Dr. Franz König gerade während der russischen Besatzungszeit zum unentbehrlichsten Mitarbeiter des ganz ausgezeichneten und hochverehrten Bischofs Memelauer machen.

An diesen Dr. Franz König hatte sich nun das ratlose Brautpaar ^gewandt, um seine Hilfe in Anspruch zu nehmen, damit sie doch getraut werden könnten. Es ist bezeichnend, daß die beiden Evangelischen sich an den bekannten Domkuraten wandten. Sie sollten sich nicht getäuscht sehen. Wie mir später mein seither leider' verstorbener Freund Professor Dr. Josef Wodka mitteilte — von ihm habe ich auch die ersten Details dieses Ereignisses erhalten —, teilte Dr. König diesen Vorfall dem Bischof Memelauer mit, worauf es zu einer juristisch-seelsorglichen Besprechung im bischöflichen Ordinariat kam. Daß die katholischen Bischöfe während der Kriegszeit und in den hektischen Wochen nach Kriegsende Protestanten und Orthodoxen in jeder immer möglichen Form behilflich waren, daß diese Bischöfe orthodoxe Priester und Bischöfe beherbergten, evangelischen Flüchtlingspfarrern die Kirchen für den Gottesdienst zur Verfügung stellten, ist eines der noch unbeschriebenen Ruhmesblätter der katholischen Kirche Österreichs. Hier wurde noch nicht das Schlagwort ökumendsmus durch Überbeanspruchung zum Sterben verurteilt, sondern hier war verständnisvolle Nächstenliebe am Werk. Man half Juden und Christen.

Die Besprechung mit dem Bischof ergab, daß dieser schon aus seelsorglichen Gründen und um das Brautpaar aus einer Zwangslage zu befreien, die Zustimmung gab, daß der katholische Domkurat Dr. Franz König die Trauung vornahm. Man ging dabei katholischerseits von.der richtigen Annahme aus, daß evangelische Christen nicht formgebunden seien und eine evangelische Ehe, gleichgültig ob sie vor dem Standesbeamten oder vor einem evangelischen Amtsträger vorgenommen wurde, durch den Konsens, also durch das beiderseitige Ja geschlossen werde. Er hatte daher keine Zweifel, daß eine Eheschließung in Anwesenheit eines katholischen Priesters und zweier Zeugen von einem protestantischen Brautpaar erfolgen könne. Daß ein katholischer Priester nur in einer Notsituation dazu berechtigt war, das war nicht in Zweifel zu ziehen. Der Bischof stellte lediglich die sehr vernünftige Bedingung, daß keine katholische Trauungszeremonie vorgenommen werden dürfe, sondern daß Dr. König den Konsens zu erfragen und die Eheschließung auszusprechen habe, woran sich selbstverständlich eine den christlichen Grundsätzen entsprechende Ansprache richten sollte. Diese Vorgangsweise zeigt das geradezu gnadenhafte Talent des Seelsorgers Bischof Memelauer, der alles vermieden wissen wollte, was einem evangelischen Brautpaar als katholische Zeremonie nicht angenehm erscheinen könnte, zugleich aber sollte alles nicht einer bloßen Trauungszeremonie im Sinne des Standesamtes, sondern einer christlichen Eheschlie-

ßung entsprechen. So geschah es dann auch.

*

Der Ort der Trauung war die Kapelle des Allgemeinen Krankenhauses in St. Pölten. Dies aus dem Grunde, weil der Bräutigam Oberarzt im Spital war. Die Trauung wurde am 9. Mai vorgenommen. Selbstverständlich wurde über diese Trauung nach außen hin nicht viel gesprochen. Das Ehepaar erhielt die notwendige Bescheinigung, in den amtlichen Büchern des' katholischen bischöflichen Ordinariates wurde nichts verzeichnet. Auch in den Privatarchiven des Bischofs Memelauer konnte bisher nichts gefunden werden. Es wurde lediglich unter der Zahl 317 an das Standesamt Sankt Pölten am 9. Mai 1945, also am Trauungstag, ein Schreiben gerichtet, das zunächst jedoch ohne Konsequenzen blieb, da das St. Pöltner Amt ja nicht besetzt war.

Erst als die St. Pöltner evangelische Stadtpfarre wieder administriert wurde, wurde offenbar nach dem 16. September 1945 auf Ersuchen des römisch-katholischen Dompfarramtes im evangelischen Trauungsbuch, Band V, Seite 119, jedoch ohne Reihenzahl, diese Trauung eingetragen. Beim Namen des Trauenden steht: „kirchliche Einsegnungsansprache von Dr. Franz König, Sankt

Pölten, Dom. i. V____“ Wieso ist diese Eintragung erst so spät vorgenommen worden? Das erklärt sich aus der mittlerweile ergangenen österreichischen Gesetzgebung. Die Tatsache der Rechtsunsicherheit unmittelbar nach der Befreiung Österreichs, wie auch die durch die Nach-kriegswirren wiederholt vorkommende Vakanz des standesamtlichen Personals hat dazu beigetragen, daß kirchliche Trauungen oft genug bewußt als die einzige in Österreich gültige, zumindest aber als die einzige in Österreich mögliche Eheschließungsform durchgeführt wurden. Der österreichische Gesetzgeber mußte dem schließlich Rechnung tragen, und durch das Gesetz vom 26. Juni 1945, Staatsgesetzblatt Nr. 31, wurden gemäß dem Paragraph 3 bis 6 kirchliche Trauungen ohne Standesamt durch einen Standesbeamten nachträglich saniert und für den staatlichen Bereich gültig erklärt. Die hier geschilderte Eheschließung war jedoch nur eine kirchliche. Die standesamtliche Eintragung, die zwar am 9. Mai versucht worden ist, war wertlos und stellte auch keinen Urkundenbeweis dar, daher hat das katholische Dompfarramt dann Mitte September die von dem Domkuraten Dr. Franz König vorgenommene Trauung dem evangelischen Stadtpfarramt mitgeteilt, und so erfolgte dann eine rechtsgültige Eintragung im zuständigen evangelischen Trauungsbuch. *

Wie mir mein Freund Wodka noch seinerzeit mitgeteilt hat, hat der evangelische Pfarradministrator sich noch in besonderer Weise beim katholischen Bischof Memelauer für diese hochherzige Haltung bedankt.

Daß ich heute diesen Beitrag schreiben konnte, danke ich zunächst der Zustimmung Seiner Eminenz Kardinal-Erzbischof DDr. Franz König, aber auch ganz besonders dem St. Pöltner evangelischen Pfarrer Senior Paul Jung, der mir genauso wie Kirchenkanzler Dr. Karl Pickel sehr behilflich war, das Material zusammenzutragen, nicht zuletzt aber danke iah es meinem verstorbenen Freund Wodka, der mir schon seinerzeit den Fall schilderte.

Wir sind heute, in der sogenannten ökumenischen Zeit, gewohnt, „ökumenische Trauungen“ aus einer Sensation zur Selbstverständlichkeit werden zu lassen. Was sich hier jedoch unter den geschilderten Rechtsakten verbirgt, ist christliche Nächstenliebe in ihrer schönsten Form. Es ist der Beweis, daß in den Notsituationen die Kirche immer am besten in der Lage ist, Schwierigkeiten zu meistern. Dieses Beispiel charakterisiert aber auch persönlich den Wiener Erzbischof Kardinal Doktor Franz König. Wir alle kennen ihn und schätzen ihn heute als eine kirchliche Persönlichkeit, die weit über den ihr zu eng gewordenen Rahmen einer Diözese hinausreicht. Daß er Mut zu Neuem hat, hat schon Domkurat Dr. Franz König bewiesen.

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