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Am 19. September ist eine Polizeiverordnung in Kraft getreten, wonach es allen Juden, die das 6. Lebensjahr vollendet haben, verboten ist, sich in der Öffentlichkeit ohne Judenstern zu zeigen. Von dieser Maßnahme werden auch Tausende katholischer Christen getroffen, darunter solche, die seit Geburt getauft sind, andere, die seit vielen Jahren unserem heiligen katholischen Glauben angehören.

Diese staatliche Maßnahme berührt nicht das kirchlich-religiöse Leben. Ich erinnere Euch daran, daß alle, die auf den Namen Jesu Christi getauft sind, unsere Brüder und Schwestern in Christus geworden sind. Der Apostel sagt: „Ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen, jetzt gilt nicht mehr Jude und Grieche, Sklave und Freier, Mann und Weib: ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,27 f).

Derselbe Apostel sagt: „In Christus Jesus hat weder die Beschneidung noch das Unbeschnittensein einen Wert, sondern nur ein neues Geschöpf (Gal 6,15; 5,6).

Noch an eines möchte ich Euch in dieser Stunde erinnern: daß ein Christ ohne die Liebe, wie sie Christus der Herr versteht, nicht den Namen eines Christen verdient. Und diese Liebe, wie sie unser heiliger Glaube im Auftrage Christi lehrt, kennt keine räumlichen Grenzen, sie macht keinen Unterschied der Person, sie wendet sich vor allem denen zu, die durch ihre größere Not und Hilfebedürftigkeit uns Nächste geworden sind.

Vergeßt nicht, daß nach den klaren Worten Jesu Christi die Liebe der Maßstab beim Jüngsten Gericht sein wird und daß wir nur dann Anteil erhalten am ewigen Leben, wenn wir das Wort des Herrn im Leben verwirklicht haben: „Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“

Mit Segensgruß

Wien, 17. September 1941 Th. Kard. Innitzer

Dieser Hirtenbrief ist nie bekanntgeworden. Am 21. September 1941 wurde durch eine Mitteilung des Erzbischöflichen Ordinariats die Vernichtung befohlen. In einer Dokumentation des Arbeitskreises für kirchliche Zeit- und Wiener Diözesangeschichte über Die Erzbischöfliche Hilfsstelle für nichtarische Katholiken in Wien“ (herausgegeben von der Wiener Katholischen Akademie und bearbeitet von P. Lothar Groppe SJ, 3. Auflage Jänner 1979) wird die NichtVeröffentlichung als „eigenartig“ bezeichnet, doch ließ sich keine konkrete Erklärung finden. Auf eine Suchanzeige hin schickte 1966 als einziger Msgr. Enzmann, Pfarrer von St. Josef in Breitenfurt bei Wien, ein damals pflichtwidrig nicht vernichtetes Exemplar ans Ordinariat, so daß dieses Zeugnis mutiger Menschlichkeit, das Kardinal Innitzer zu setzen die Absicht hatte, nicht vergessen werden muß.

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