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Abschied

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Unser geliebter Kardinal ist heimgegangen. Der Verlust ist groß. Sein Lebenssiel hatte er einst beim Antritt seines Hirtenamtes mit dem schönen Wahlspruch bezeichnet: In. caritate ser-vire. Der immer Rastlose hat mit ihm sein Leben in überströmender Liebe geformt. Mitten in Leid und Streit dieser Welt war er der immer Gütige, Hilfsbereite, Demütige. Kein Kämpfer — ein Friedfertiger, Verzeihender, der. auch beim Gegner — und sei es auch gegen alle Hoffnung — auf guten Willen und Gerechtigkeit hoffte.

Die Zeit, da er zu seinem hohen Kirchenamte berufen wurde, stand in Oesterreich vor schweren, gefährlichen Problemen. Hielt noch die staatliche Ordnung der Verfassung, der Gesetzgebung, hielt noch der Bürgerfriede? Wohin trieb das Parteiwesen, das der Gemeinschaft die zuver-lässigen Grundlagen verweigerte?'Die Ruhelosigkeit und Unsicherheit des öffentlichen Lebens warf ihre Geräusche bis-an die Kirchenmauern. Bestand morgen in diesem Staat, waä heute noch bestand? ....

. Das war der öffentliche Schauplatz, auf dem Erzbischof Dr. Theodor Innitzer die Freistatt der Kirche, die gegenüber den Uebeln der Umwelt souveräne Freistatt, unter seinen Hirtenstab pehmea sollte.

Eine alte historische Periode in dem Verhältnis zwischen Kirche und Staat war zu Ende gegangen. Das päpstliche Rom, nicht das faschistische, hatte dafür das Zeichen gegeben. Gegen den aufgekommenen Drang nach der Totalität des Staates, die Vergötzung der physischen Macht rang die Kirche um ihre Freiheitsrechte und die sittlichen Lebenskräfte'der Menschen. Sie strebte eine Gesellschaftsform an, von deren fortwirkender Kraft auch eine gesunde- Reform des staatlichen Organismus ausgehen würde. Um nicht als Kompagnon des Staates in seinen weltlichen Interessen verstanden zu werden, berief sie den Klerus aus der weltlichen Sphäre der politischen und wirtschaftlichen Funktionen und Würden, ohne daß der Staat bis heute ganz gewahr wurde, wie viele wertvolle Kräfte er bei dieser Entsäkularisierung verlor, ohne bis zur Gegenwart sich zu bemühen, sie in geeigneter Weise wiederzugewinnen. Der große Scheidungsprozeß brachte eine Umbildung des politisch und kulturell vielfach gegliederten Organisationswesens der Katholiken hervor, ein Neuformen, das da und dort in die bisherigen Führerstellungen hineinreichte, nur mit Geduld und Liebe zu meistern war und in der Gegenwart ju den letzten Klärungen gelangt ist.

Die schwerste Zeit für die Erzdiözesen und ihren Erzbischof kam mit dem Einbruch der Hitler-Herrschaft. Priesterverhaftungen, Landesverweisungen, Terror; es genügte, ein guter Prediger zu sein, eine regsame Pfadfindergruppe gesammelt zu haben. Für die Führung der Kirche war die Verantwortung bei jedem Akte groß. In Wien, dem Platz, auf den viele Augen in der ganzen Welt gerichtet waren, gelüstete es die Machthaber nach einem besonderen demonstrativen Triumph. Vor den Usurpatoren wären alle europäischen Mächte, wie von einem panischen Schrecken befallen, zurückgewichen; sie überließen das wehrlose Oesterreich dem Angreifer. Mit einem Schlage war das österreichische Volk seiner weltlichen Führer beraubt worden. Die Zukunft war noch ein unlösbares Rätsel. Der Erzbischof von Wien sah sich in seinen letzten Entscheidungen auf sich allein gestellt. Der Versuch einer Verständigung mißlang. Rein menschlich gesehen' ein verzweifelter Versuch. Hätte er nicht gemacht werden sollen? Wer heute die

Schicksalsschwere der damals dem Kardinal abgeforderten Entschließung ermessen will, ohne alle die einzelnen großen und kleinen Umstände zu erkennen und abwägen zu können, mag heute leichthin ein Urteil fällen. Es ist davon oft unbedenklich im Ausland Gebrauch gemacht worden. Einsam in seiner großen Verantwortung antwortete der Erzbischof der Schicksalsfrage, während dunkle Fliegergeschwader tif über den Dächern Wiens brausten und aus den Straßen der Tritt marschierender Kolonnen empordröhnte. Da wählte der Kardinal, was ihm sein innerstes Wesen eingab. Er lenkte alle Speere des Vorwurfs auf seine Brust. Und er blieb doch dabei Sieger.

Der große Diplomat auf dem päpstlichen Thron, Pius XII., hat dem Wiener Erzbischof, der damals die schwersten Tage seines Daseins zu erleben hatte, Jahre später sein liebevolles Verständnis bekundet. Die Bedränger von einst sind tot. Die Hitler-Herrschaft ist zerbrochen. Der Zwang, der die katholische Kirche in

Oesterreich zur Bettlerin machen wollte, indem er ihr die alten öffentlichen Subsidien nahm, hat zum Gegenteil ausgeschlagen; Die Kirchensteuer, die freiwillige Leistung des katholischen Volkes, auf deren ärmlichen Ertrag der Gegner rechnete, wurde ein Element de' Freiheit der Kirche, aus dem ein reiches Schaffen erblühte.

Nun. trägt man, was sterblich war an Kardinal Theodor Innitzer, hinab in die durch ihn noch in den letzten Lebensjahren errichtete Bischofs-gruft. Hier in diesem feierlichen Gemach des Todes erhält er seinen Platz in dem schweigenden Konvent der Gewesenen und der Kommenden. Die ehrerbietige Liebe- des katholischen Volkes hat ihn zu seiner letzten Heimstatt begleitet.

Ruhe in Gott, du guter' Hirtel!

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