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Doppelter Nachruf

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Der Leser verzeihe, daß ich diesen kleinen Nachruf mit einigen persönlichen Erinnerungen beginne: Im Wintersemester 1932/33 studierte ich an der Berliner Universität, „jura“ wie man es dort nannte. Es war ungefähr Mitte Jänner, als ich ein großes Plakat auf einer Anschlagtafel der Universität bemerkte, das die Studenten einlud, an einer Diskussion zwischen einem katholischen Geistlichen, einem protestantischen Pastor und einem Atheisten teilzunehmen. Als Vertreter der Katholiken las ich den Namen P. Erich Przywara SJ. Ich hatte diesen Namen noch nie gehört und frug einen Bekannten, wer dies denn sei. Er sah mich nur groß an und nahm mich, als Antwort gleichsam, in den Vortrag mit. Der Katholizismus in Berlin war damals auf einer unglaublichen Höhe, Berlin -selbst war zum.

erstenmal in seiner Geschichte vor kurzem Bischofsstadt geworden. Auf der Universität dozierte Romano Guardini und predigte am Sonntag für die Studenten. Über dem ganzen katholischen Leben der damaligen Reichshauptstadt schwebte noch der Geist des bedeutendsten Großstadtseelsorgers der Neuzeit, Karl Sonnenschein, der 1931 gestorben war. Das Kirchenblatt der Diözese, das er redigiert hatte, wurde auch von vielen Nichtkatholiken gelesen, denn es war so hinreißend geschrieben wie ein Krimi von bester Qualität. Bedeutende Köpfe wie Theodor Haek-ker und Josef Piper hielten viele Vorträge in diesem Winter, der voll politischer Ungewißheiten war. Am 18. Jänner war glanzvoll das Gedenken an die Reichsgründung im Jahre 1871 begangen worden, in Gegenwart des deutschen Kronprinzen und des deutschen Reichskanzlers Kurt von Schleicher. Der Glanz dieser Erinnerungsstunde verdeckte nicht die Not der Arbeitslosen, die hysterischen Versuche Hitlers, an die Macht zu kommen und die Unterschätzung dieser Bestrebungen durch die damaligen Machthaber. Als um diese Zeit der spätere österreichische Bundeskanzler Schuschnigg in Berlin weilte und eine Unterredung mit Schleicher hatte, sagte dieser, daß Hitler keine Gefahr mehr darstelle, er werde in Kürze erledigt sein. Das war rund zwölf Tage vor dessen Machtantritt.

In dieser Atmosphäre fand die Diskussion, an der Pater Przywara teilnahm, statt. Nach fünf Minuten gab ich es auf, seinen Worten zu folgen. Diese Sprache war unendlich schwer und sicherlich nur für jemanden, der in sie eingeübt war, verständlich. Aus seinen Worten entströmte ein ungeheures Wissen über alle Gebiete des Lebens, der Philosophie, Geschichte, Theologie. Ich war erschüttert, einerseits über mich, der aus dem gemütlichen Barockkatholizismus des Donauraumes kam, über das eigene Nichtwissen und die Möglichkeit eines ungeheuren Wissensvorrates bei anderen Katholiken.

Ich begegnete Pater Przywara noch einige Male in meinem Leben. Beim Philosophenkongreß in Prag, 1934, zehn Jahre später in Wien, als er Predigten über den kommenden Untergang dieser Stadt hielt, die ihm niemand glaubte, solange bis Bomben die Stadt zu zerstören begannen. 1955, in Tutzing in Oberbayern, wo er, gesundheitlich schwer geschädigt wie ein Einsiedler lebte. Ich besuchte ihn immer wieder in dieser Klause, später dann in Murnau, wohin er übersiedelt war. 1967 besuchte er mich noch einmal in Wien. Durch Vermittlung von Frau Hermen von Kleeborn war er Autor des Verlages Herold geworden.

Er hatte in seinem Leben rund sechzig Werke verfaßt, zwei davon hatte er dem Verlag Herold gegeben, dessen besonderen Stolz sie heute noch darstellen. Mehr als 800 wissenschaftliche Abhandlungen hatte er in seinem Leben verfaßt. Auch davon erschienen einige In der „Furche“, die er bis in die letzten Tage seines Lebens las.

Mit Pater Erich Przywara starb vielleicht der letzte große Jesuit deutscher Zunge. Denn der andere große deutschsprachige Jesuit, Hans Urs von Balthasar, trat aus dem Orden aus. um ein echter Jesuit bleiben zu können.

Pater Przywara war vielleicht der Prototyp eines Jesuiten, wie ihn sich Ignatius von Loyola vorgestellt hatte. Sehr fromm und geradezu besessen von einer tiefen Liebe zur Kirche und deren Oberhaupt, dem Papst, und zum eigenen Orden. Wenn er unendlich viel arbeitete und das gesamte Wissen der modernen Zeit in sich aufnahm, dann immer nur, um der Kirche und dem Glauben zu dienen und nicht, um diese zu zerstören oder zu verdünnen. Er war von einer geradezu rührenden Bescheidenheit. Er hatte die Armut nicht nur gelobt, sondern er lebte sie auch. Tief unglücklich war er in seinen letzten Lebensjahren über die Wege, die so manche Theologen gingen, über Entwicklungen, die in der Kirche aufsprangen, unglücklich auch darüber, daß er sich nicht mehr stark genug fühlte, allen diesen Entwicklungen mit der Schärfe seines Geistes entgegenzutreten.

Für Österreich hatte er ein besonderes Faible. Dieser Oberschlesier, der einen polnischen Vater und eine deutsche Mutter hatte, fühlte sich immer als ein „gestohlener Sohn Maria Theresias“. Er war einer der wenigen, die begriffen hatten, welches Unglück mit dem Raub Schlesiens über Mitteleuropa hereingebrochen war und welches Unglück auch für das deutsche Volk mit dieser Entwicklung zu rollen begann. Denn mit diesem Raub Schlesiens hatte das deutsche Volk die Blut-und Eisenstraße beschritten, auf der es Bismarck weiterführte, und die mit Hitler in der Katastrophe von 1945 endete. Pater Przywara hatte diese Katastrophe mit seinem starken Geist lange vorausgesehen. Ähnlich, wie er auch viele Entwicklungen im Katholizismus hatte kommen sehen.

Mit seinem Tod nehmen seine Freunde Abschied von ihm. Aber nicht nur von ihm, sondern auch von einem Jesuiten, wie sich ihn der Ordensgründer vorgestellt hatte. Durch 400 Jahre hat dieser Orden mit solchen Mitgliedern den Katholizismus der Welt zutiefst geprägt.

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