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KARDINAL TESTA / DAS ANDERE ICH

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Wenn der Papst zu einem außergewöhnlichen Anlaß einen Legaten entsendet, so gebührt diesem Kirchenfürsten auch nach dem weltlichen Zeremoniell der meisten Staaten die Ehre eines Staatsoberhauptes. Er ist, wie es in der Diplomatensprache heißt, das „andere Ich“ des Papstes. Wir erinnern uns noch des Österreichischen Katholikentages 1952, als sich Kardinal Innitzer nach Rom begeben mußte und dann in Begleitung des goldbehelmten Nobelgardisten wiederkehrte, sich für eine Woche aus dem Ober-hirten Wiens in den Gesandten des Papstes wandelte. Für den in diesen Tagen zum großen Höhepunkt der gemeinsamen Liturgiefeiern ansteigenden Eucharistischen Kongreß in München hat Papst Johannes XXIII. Kardinal Testa zu seinem Legaten bestellt. Er hat in den „Reichen Zimmern“ der Münchner Residenz Quartier genommen, jenen schwer barocken Prunkräumen, die vor ihm Pius VI. auf seiner Reise durch das Alte Reich bewohnte. Ein großer Gobelin schmückt den Empfangssaal, die Huldigung des Wittelsbachschen Ahnherrn vor Papst Hadrian IV. darstellend. Aber die Anwesenheit des Kardinals gilt nicht in erster Linie den Bayern oder dem deutschen Volk, das einem nachgelassenen Wunsch Pius' XII. zufolge den Eucharistischen Kongreß gastlich beherbergen soll. Der Stellvertreter des Papstes kommt zur „Statio Mundi“, zur gemeinsamen Feier aller Völker und Rassen, zum großen Liebesmahl der katholischen Christenheit, dem er am letzten Tage als Tischherr vorstehen wird.

Kardinal Testa ist Bergamaske, ein engerer Landsmann des jetzigen Papstes, der ihn im Dezember 1959 ins Kardinalskollegium berief. Die beiden Priester verbindet nicht nur eine herzliche persönliche Freundschaft, sondern auch eine gewisse Gleichartigkeit des Lebenslaufes. Vierzig Jahre steht der vierund-siebzigjährige Kardinal im diplomatischen Dienst der Kirche. Neben dem Englischen-und Französischen beherrscht' er auch das Deutsche. Seine ursprüngliche Neigung gehörte der Bibelwissenschaft. Als Professor für Exegese ' wirkte er am Priesterseminar seiner nörditalienischen Heimatdiözese. Schon unter Benedikt XV. aber wurde er ins Vatikanische Staatssekretariat berufen. Als „Minutant“, wie das in der Amtssprache heißt. „Für die Kleinarbeit“ würde man bei uns sagen. Seine erste Auslandmission führte ihn nach Wien, wo er Sekretär der Nuntiatur war. Aber schon der nächste Posten war ein heikler und kritischer. Der Vatikan entsandte ihn im schweren innerdeutschen Krisenjahr 1923 ins Ruhr- und Saargebiet. Er führte den Titel eines „Beobachters“ und hatte somit den Auftrag, sich, befreit von aller Last formaler Verpflichtungen und Repräsentanzen, um die Menschen zu kümmern, sie aufzusuchen, an Ort und Stelle, ihnen in dieser furchtbaren Zeit der Wirrnis, da Deutschland vollkommen auseinanderzubrechen drohte, beizustehen, aber auch gerechter Anwalt und Fürsprecher bei jenen Mächten zu sein, die damals Besatzungsfunktionen ausübten. An der Apostolischen Delegatur in Kairo war er nicht nur für die Christen Ägyptens, sondern auch für deren Brüder in Arabien, Abessinien und in Palästina verantwortlich. Während der Kriegsjahre widmete er sich, inzwischen Erzbischof geworden, im schwer geprüften Rom dem eigentlichen Priesterberuf der Seelsorge, besonders unter den Gefangenen und Leidenden. Nach Kriegsende entsandte ihn Papst Pius XU. erneut in den Nahen Osten. In Jerusalem erlebte er die Gründung des Staates Israel. Die Vertretung des Petrus-Nachfolgers im Heiligen Land gehört bestimmt zu den ergreifendsten und schönsten, aber wohl auch zu den-schwersten Aufgaben. Man hat ihn,zu Jerusalem bei Christen und Juden im guten Angedenken behalten. 1953 wurde der Welterfahrene schließlich Nuntius in Bern, von wo aus er wieder neuen Kontakt mit den Problemen des deutschen Sprachraums gewann. “

Der neue Papst zog ihn im Sinne seiner Kardinalsernennung als einen besonderen Vertrauten in seine persönliche Umgebung. Seither wird sein Name immer häufiger unter denen genannt, die für das Amt des Kardinalstaatssekretärs in engerer Wahl stehen werden, wenn einmal Kardinal Tardini diese Bürde niederlegen sollte.

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