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Königin und Kaiser

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Am 1. Februar punkt 5 Uhr trafen Königin Elizabeth II. und Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, mit einer britischen Maschine auf dem „Haile Selassie I. International Airport“ in Addis Abeba ein. 21 Kanonenschüsse donnerten dem Königsehepaar und seinen zwölf Begleitpersonen entgegen.

Kaiser Haue Selassie I. stellte seinen Gästen die kaiserliche Familie vor: Kronprinz Merid Azmatch Asja Wossen, Prinzessin Tenagne Worq Haue Selassie, Kronprinzessin Med-feriash Worq Abebe und Ras Imru Halle Selassie. Ebenso wurden der Premierminister Tsehafe Taezaz Aklilou Abte Wold und der Verteidigungsminister Leutnant General Merid Mangasha mit der Königin und ihrem Gemahl bekannt gemacht.

In einer Staatskutsche, eskortiert von der kaiserlichen Kavallerie, fuhr das Königsehepaar mit Kaiser Haile Selassie I. und dem Kronprinzen auf der Africa-Avenue und der Mene-lik-II.-Avenue zum Jubilee-Palace. Um 5.45 Uhr traf der farbenprächtige Zug im kaiserlichen Wohnsitz ein. Die acht Märchentage hatten begonnen. Während der 162 Stunden, die Königin Elizabeth in Äthiopien verbrachte, weilte sie an die 80 Stunden bei offiziellen Veranstaltungen. Die bedeutendsten Programmpunkte der Staatsvisite: 2. Februar: Lunch in der Residenz des Kronprinzen; Commonwealth-Garden-Party in der britischen Botschaft. 3. Februar: Besuch in der Provinz Wollo, einer Grenzprovinz zu Franz.-Somaliland. 4. Februar: Besuch der englischen Schule und Kirche in Addis Abeba und Besichtigung des neuen Stadthauses. 5. Februar: Besuch in B-ahr Dar, Provinz Gejam, einer Grenzprovinz zum Sudan. Besuch der Tississat-Fälle am Blauen Nil. Weiterflug nach Gondar, Provinz Bege-midr. Gondar ist eine ehemalige Kaiserstadt. Die Gondar-Dynastie dauerte vom Jahre 1571 bis zum Tod Kaiser Menelifcs II. Im Jahre 1913, der den Kaisersitz nach Addis Abeba verlegte. 6. Februar: Besuch in As-mara, Provinz Eritrea, Grenzprovinz zum Roten Meer und früher italienisches Protektorat. 7. Februar: Besichtigung von Axum in der Provinz Tigre. Axum ist der älteste Platz der äthiopischen Kaiserdynastie und der äthiopisch-koptischen Kirche. 8. Februar: Verabschiedung auf dem Flugfeld von Asmara. 11 Uhr: Abflug nach Khartum.

Kaiser Haile Selassie I. ist ein ge-chickter Spieler. Seine Einmann-politik erleichtert ihm die Arbeit. Dem Beobachter im Land entpuppt er sich erst als Beweger der Fäden, wenn die Marionetten ihr Spiel gespielt haben. Die harte Zensur und das Mißtrauen von Mann zu Mann im Kaiserreich begünstigen diese Taktik. Seine Ziele begrenzt der Monarch auf afrikanische Probleme. So verstrickt er sich nicht in brennende Fragen der Weltpolitik. Im Kräftemessen unter den Führern „Neu-Afrikas“ har er entschieden die deutlichsten Siege erfochten. Am 25. Mai 1963 unterzeichneten 32 unabhängige Staaten Afrikas in Addis Abeba die Charta der OAU. Gleichzeitig wurde die äthiopische Hauptstadt für den provisorischen Sitz des Generalsekretariats der Organisation für Afrikanische Einheit bestimmt. Am 21. Juli 1964 wurde das Provisorium bei der Sitzung der Staatschefs in Kairo aufgehoben. Addis Abeba wurde die erste Stadt Afrikas.

Der Monarch ruht nicht auf den Lorbeeren aus. Er sucht seine Stellung im afrikanischen Kräftefeld ständig zu festigen. Die fieberhafte Bautätigkeit in Addis Abeba und die Afrikanisierung in der Benennung von Straßen und öffentlichen Bauten sind nur äußere Anzeichen. Die Tradition der kaiserlichen Dynastie schenkt dem Regenten in der Innen-und Außenpolitik die stärkste Rük-kendeckung.

Großbritannien hat Kaiser Haile Selassie I. am 5. Mai 1941 wieder zum Thron verholten. Es ist selbstverständlich, daß die fünfjährige „Asylzeit“ in England und die Unterstützung bei der Befreiung Äthiopiens von den Italienern nicht ohne Einfluß auf den Regenten und seine Politik geblieben ist. Mit dem „Untergang“ des Vereinigten Königreiches ist England vor neue Tatsachen gestellt. Geschickt versucht die britische Krone, eine der letzten und besten Karten in Afrika auszuspielen, nachdem Kenia am 12. Dezember 1964 unabhängig wurde. Der Sturz des sudanesischen Militärregenten General Ibrahim Abbau-d Ende Oktober, anfangs November, hat das Spiel zwar etwas verdorben. Taktvoll versucht Großbritannien über diesen unerwarteten Wechsel hinwegzugehen; die Königin besucht den Sudan. Auf äthiopischer Seite hüllt man sich, nach bewährter Taktik,, in^cbiwejgenj aaAm „.>Ä„ . . e Gehen “wir von Punkt i.zu Punkt, beschauen wir uns den Länderring um Äthiopien.

Im Norden liegt der Sudan mit dem längsten GrenzanstoQ. Vom Jahre 1898 bis zum 1. Jänner 1956 walteten die Briten in dem 2,5 Millionen Quadratkilometer großen Nilstaat. General Ibrahim Abboud würde mit kräftiger Militärunterstützung der Briten bei der Unabhängigkeit ans Zepter geführt. Der Militärregent pflegte freundschaftliche Beziehungen zum äthiopischen Monarchen. Gleichzeitig ermöglichte Abboud den Briten, den Sudan als Zwischenstation für ihre Flüge nach dem Jemen zu benutzen. Der Staatsbesuch nach dem Sudan, von Äthiopien aus, war längst geplant, schien aber vorerst verhindert.

Da fand vom 22. Oktober bis zum 11. November 1964 im Sudan der Umsturz statt. In wessen Hunden die Macht lag, war noch nicht klar. Mitte November drückte sich die britische Botschaft in Addis Abeba noch sehr vorsichtig aus. Man teilte nur zurückhaltend mit, es sei noch sehr fraglich, ob die Königin den Sudan besuchen werde; zuerst müsse sich die Lage klären. Man bat uns, sich über diese Frage nicht zu äußern. Die äthiopische Seite hüllte sioh in tiefstes Schweigen. Sie hatte den Umsturz nicht zur Kenntnis genommen! In Addis Abeba wußte die Öffentlichkeit am 20. Jänner 1965 noch nicht, ob die Königin wirklich den geplanten Besuch nach dem Sudan ausführe oder nicht. Der Tod Winston Churchills am 24. Jänner brachte neue Ungewißheit und ließ es uns als taktvoll erscheinen, in der britischen Botschaft nicht nachzufragen. Als klar war, daß der Staatsbesuch nach Äthiopien trotzdem stattfindet, fragten wir am 28. Jänner 1965 in der sudanesischen Botschaft nach. Man drückte uns fröhlich ein Dokument des Umsturzes in die Hand und bat uns höflich, doch jetzt in der britischen Botschaft nachzufragen. Es ist offensichtlich: der Staatsbesuch in den Sudan findet statt. England sucht zu retten, was zu retten ist!

Im Südwesten Ähiopiens liegt Kenia. Jomo Kenyatta feierte im Dezember 1964 mit großem Pomp die Unabhängigkeit seines Landes. Vorläufig wird er sich vermutlich im Unabhängigkeitsrausch austoben. England verliert seinen direkten Einfluß. Sicher soll der Staatsbesuch in Äthiopien dazu beitragen, ihn indirekt geltend zu machen.

Im Süden und Osten von Äthiopien liegt die Republik Somalia. Das heiße Grenzproblem wurde im Februar 1964 vor der OAU beigelegt. Im Jänner 1965 hat der Kaiser einen Militär, Generalleutnant Kebede Gebre. zum Gouverneur der äthiopischen Grenzprovinz Harar bestimmt! Die Republik Somaliland führt einen fünfzackigen Stern im Wappen. Erst zwei Zacken, Britisch-und Italienisch-Somaliland, bilden die am 1. Juli 1960 gegründete Republik. Der Hunger nach Kenia, Äthiopien und Französisch-Somaliland bleibt vorhanden! Hier handelt es sich um ein „ausschließlich afrikanisches Problem“. Die Königin besuchte keine der drei Grenzprovinzen Sidamo, Bale und Harar.

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