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Ideologische Offensive gegen Addis Abeba

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Nun hat sich die Führerschaft des linken Flügels der seit 1975 in den islamisch-proarabischen Dachverband der „Eritrean Liberation Front” (ELF) eingegliederten „Populär Liberation Forces” (PLF) mit massiver Kritik an dem „Pseudosozialismus” der äthiopischen Militärdiktatur zu Wort gemeldet. In einer von der „Foreign Mission” der PLF herausgegebenen Untersuchung wird vor allem der Behauptung des Chefideologen von Addis Abeba, Berhanu Baije, entgegengetreten, daß Äthiopien seinen Kampf gegen die erythräischen Separatisten nicht aus nationalen und staatserhaltenden Gründen, sondern zur Vorbereitung des Marxismus-Leninismus gegen ein reaktionär-imperalistisches Rückzugsgebiet führe.

Berhanu Baije, gegen dessen erklärt erythräa-feindliche Auslassungen sich das „Beiruter Ideologische Manifest” der PLF zur Wehr setzt, ist heute, wenn auch nicht mächtiger, so doch einflußreichster Kopf im militärischen Revolutionsrat von Addis Abeba. Obwohl die eigentlichste Macht in Händen von General Taffari Benti und seiner Mittriumviren Atnafu Abate und Mengistu Haile Marijam liegt, hat sich Berhanu Baije als Lieferant von Schlagwörtem, Reden und ideologischen Fragmenten unentbehrlich gemacht. Er verstand sogar, den blutigen Sezessionskrieg in Eryrthräa als ein „überflüssiges Mißverständnis” zu beschönigen. Baije habe im Revolutionsrat - laut PLF-Quellen - erklärt: „Ery- thräa ist unser brennendstes Problem! Reaktionäre und Imperalisten versuchen, unsere Revolution abzuwürgen. Unser Rat ist zutiefst von der Möglichkeit einer friedlichen Lösung dieses Problems überzeugt. Dabei ist nur an eine leninistische Lösung zu denken: Anerkennung des Selbstbestimmungsrechtes dieses Volkes. In unserem Land leben viele Nationalitäten. So müssen wir allen Völkern - dem von Erythräa inbegriffen - das Recht auf Selbstbestimmung zugestehen. Natürlich setzt eine derartige lokale Selbstverwaltung die aktive Mitarbeit der Massen in den künftigen autonomen Gebieten voraus!”

An diese Grundsatzerklärung anknüpfend, warf die PLF Berhanu Baije vor, das Selbstbestimmungsrecht auf „lokale Selbstverwaltung” reduziert zu haben. Noch schwerer wiegt ihre aus Beirut erhobene Anklage, diesen schönen Worten sei von den Äthiopiern in den letzten beiden Jahren nur zuwidergehandelt worden.

1975 habe Addis Abeba einen Vernichtungskrieg gegen die Erythräer geführt, der in den Massakern unter der Zivilbevölkerung von Agordat, Assab und Umm Hagar gipfelte, 53 Dörfer „ausradierte” und dabei die Heimstätten von rund 50.000 erythräischen Landbewohnern zerstört habe.

1976 habe es dann die äthiopische Führung mit dem sogenannten „Bauernmarsch” versucht, bei dem Kolonisten aus Zentral- und Südäthiopien von regulären Truppeneinheiten nach Erythräa getrieben wurden, um dort den alteingesessenen Tigrinjas und Ti- greanern Heim und Herd, Haus und Hof, Feld und Flur abzutrotzeh.

Die erythräischen Linkskräfte verwahren sich auch dagegen, daß der „äthiopische Sozialismus” seine strategischen Interessen an dieser Küstenzone des Roten Meeres mit klassenkämpferischen Zielsetzungen verbrämen will. Ein Klassenkonflikt in Erythräa müßte dort die Existenz kapitalistischer Monopole und ausge- beuteter Arbeiter- oder Bauernmassen voraussetzen. In Wirklichkeit verfügt aber das arme Bergland über wesentlich bessere soziale Verhältnisse als das ganze übrige Äthiopien. In Erythräa gibt es weder Kapitalisten noch größere Industrien, weder Feudalherren noch Monopolkonzerne. Lange schon vor der Bodenreform des Jahres 1975 in den äthiopischen Kernländern herrschte in Erythräa an Stelle des kaiserlichen, kirchlichen oder aristokratischen Feudalbesitzes ein System, das kleine Grundeigentümer in Genossenschaften auf Stammesbasis zusammenfaßte. Wenn also Berhanu

Baije fordere, daß die „Diktatur des Proletariats” auch auf Erythräa ausgedehnt werden müsse, so könne er damit nur seine eigene Diktatur meinen, heißt es in der Denkschrift der PLF. Es wäre die Diktatur über ein Proletariat, das die äthiopischen Führer in Erythräa erst durch Massenverelendung erzeugen oder aus den eigenen Hungergebieten importieren müßten!

Hingegen wollen die erythräischen Linkskräfte die Brücken zu den „wahren äthiopischen Sozialdemokraten” nicht abbrechen und deren im Untergrund geführten Kampf auf den gebirgigen Schlachtfeldern des Küstenlandes unterstützen.

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