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Die Rache des Kaisers

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Die „Eritreische Befreiungsfront” (ELF) richtete in ihrem Exilhauptquartier in Damaskus mehrere beschwörende Appelle an das „Weltgewissen”. Sie wandte sich besonders an die westliche Öffentlichkeit, in der die Unterdrückung der eritreischen Bevölkecrung, der eritreische Unabhängigkeitskampf und die Greuel der kaiserlich-äthiopischen Armee gegen die Widerstandsgruppen systematisch verschwiegen würden. Aus Rücksichtnahme auf den prowestlichen Monarchen Haile Selassie nehme die freie Welt den seit Jahren andauernden Völkermord an den Eritreern hin.

Nach neuesten Berichten aus Addis Abeba und der eritreischen Hauptstadt Asmara haben die Maßnahmen der äthiopischen Streitkräfte gegen die aufrührerische Provinz in den letzten drei Wochen1 tatsächlich das

Ausmaß eines organisierten Völkermordes angenommen. Vorwand dafür war ein politischer Mord: Generalmajor Teschome Erghėtu, der besonders grausam vorgehende Kommandeur, der auf dem Gebiet von Eritrea stationierten zweiten äthiopischen Armeedivision, war etwa sechzig Kilometer nördlich von Asmara auf offener Landstraße in einen Hinterhalt der Guerilleros gefallen und erschossen worden.

Seit vergangener Woche herrscht in der überwiegend von Moslems bewohnten Provinz das Kriegsrecht. Das Grenzgebiet zum Sudan und ein zehn Kilometer breites Gebiet an der Rotmeerküste wurden zur verbotenen Zone erklärt.

Wie ernst man die Lage in Addis Abeba einschätzt, zeigt die Ernennung des dortigen Verteidigungsministers, Generalleutnant Kebede Gebne, zum Verwaltungschef von Eritrea. Der Offizier gilt als einer der fähigsten äthiopischen Militärs und absoluter Vertrauensmann des greisen Kaisers Haile Selassie. In Asmara sieht man in ihm außerdem einen Scharfmacher. Nach amtlichen Angaben aus Addis Abeba kosteten die unterdessen zum Dauerzustand gewordenen Kämpfe zwischen Re- gierungISbruppen und Guerilleros in letzter Zeit bereits mehrere tausend Tote, der ELF zufolge beläuft sich die Zahl der Opfer bereits auf einige zehntausend. Die Säuberungskommandos der Streitkräfte rotten nach der gleichen Quelle in der „verbotenen Zone” ganze Dörfer aus, sofern sie in den Verdacht geraten,

Gueri ll eros Unterschlupf gewährt zu haben oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren. : Wer guerillaverdächtig ist oder bei wem unangemeldete Waffen gefunden werden, müsse damit rechnen, an Ort und Stelle bestialisch gefoltert und danach ohne Gerichts verfahren einfach ab- gekinallt zu werden.

Auch wenn diese Behauptungen übertrieben sein sollten, lassen die Meldungen aus Addis Abeba wenig Zweifel daran, daß es sich bei den Partisanen keineswegs nur, wie man dort suggerieren möchte, um vom Ausland unterstützte Infiltranten und kriminelle Subjekte handelt und daß die äthiopische Regierung in dem von ihr widerrechtlich annektierten

Eritrea kaum noch Herr der Lage ist. Bis 1941 war das Gebiet italienische Kolonie. 1936 waren die Italiener unter Marschall Balbo, Mussolinis legendärem Kriegishelden, auch in dem unabhängigen benachbarten Kaiserreich Äthiopien eingefallen. Haile Selassie, der sich wenig vorher nach blutigen Palastintrigen den Thron erstritten hatte, mußte fliehen. Vor dem Genfer Völkerbund hielt er damals eine historische flammende Rede gegen Kolonialismus und Imperialismus.

Im eigenen Land hielt sich der Kaiser später allerdings nicht an die schönen Ideale. Ende 1960 kam es, während er im Ausland weilte, zu einer Revolte, jn die sich auch Kronprinz Asfa Wossen verwickeln ließ, der alte Mann flog sofort nach Hause und hielt ein blutiges Strafgericht. Die Beteiligten wurden öffentlich gehenkt, wobei der Monarch selbst mit Hand anlegte. Nur der Kronprinz wurde begnadigt, weil Haile Selassie keinen anderen Nachfolger hatte. Seither wurde zwar forcierter modernisiert, aber das Land ist noch immer unvorstellbar rückständig, leidet unter großen sozialen Unterschieden und daran, daß sich fast der gesamte Grundbesitz in der Hand der koptischen Kirche und der kaiserlichen Familie befindet.

Mitbefreit und annektiert

Haile Selassie hatte bei seiner triumphalen Rückkehr auf den Thron 1941 auch gleich die Kolonie Eritrea mitbefireilt. Wohl als Entschädigung für das erlittene Unrecht überließen die Vereinten Nationen sie 1952 der äthiopischen Kröne. Die Bevölkerung wurde gar nicht erst befragt, doch sollte das Gebiet alle Rechte eines Autonomie- stätutsi erhalten und . dem Kaiserreich nur föderativ : angegliiedert werden. Addis Abeba hielt sich jedoch nicht an die feierlich beschworenen Verträge, sondern betrieb die vollständige Eingliederung des Gebietes.

Der Westen nimmt Rücksicht auf den Kaiser und die angeblich von ihm gewährleistete Stabilität. Die USA haben in Eritrea zudem militärische Interessen. Dies trieb die ELF in die Arme der radikalen Araberstaaten. Ihre rund 4000 Guerilleros wurden und werden in Syrien, Irak, Algerien, Sudan und Aden ausgebildet. Von diesen Ländern bekommt sie Waffen und Geld.

Die ELF argumentiert nun, der Westen könne den alten Kaiser sehr wohl unter Druck setzen, damit er die Forderungen der Eritreer erfüllt. Geschehe das nicht, dürfe man sich nicht wundem, wenn die arabische Provinz des brüchigen christlichen Reiches in Ostafrika eines Tages zum Stützpunkt der Sowjets werde.

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