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HAILE SELASSIE SALOMONS THRON HEUTE

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Überraschend genug — auch für die, die gern behaupten, in der Weltpolitik zu Hause zu sein — kam der Vermittlungsversuch des Kaisers von Äthiopien, Haile Selassie, im algerischmarokkanischen Grenzkonflikt. Der Ernst und der Eifer, mit dem der Kaiser an die Mission heranging, und sie, allen Widerständen zum Trotz, zu einem glücklichen Ende zu bringen sich bemüht, mögen jedoch nur auf den ersten Blick überraschend und unerwartet wirken. Haile Selassie, heute über siebzig Jahre alt,, erscheint als ein ungewöhnlicher Monarch, der die absolute Macht in seinen Händen hält und sich um alle Einzelheiten der Staatsgeschäfte selbst kümmert: nicht nur im Inneren. Nein, auch die Außenpolitik Äthiopiens ist die einer echten, aktiven Neutralität, einer echten Anteilnahme am Weltgeschehen. Die Unterstützung der Operationen der Vereinten Nationen in Korea und im Kongo beweisen es. Die Vermittlung im Konflikt um den Wüstenstreifen, den Algerien und Marokko für sich beanspruchen, erklärt sich aus der Stellung, die der Kaiser von Äthiopien, dem ältesten Staatsgebilde auf afrikanischem Boden, im neuen Afrika einzunehmen sucht: Ratgeber und Helfer zu sein den jungen Völkern, die ¿ben erst ihre staatliche Unabhängigkeit erlangen konnten.

„Facetta nera“, kleines Schwarzgesicht, sangen Mussolinis Soldaten, als sie im Oktober 1935 die Grenzen des äthiopischen Reiches überschritten. Aus dem kleinen Spaziergang, dendie Italiener erwartet hatten, wurde ein harter Krieg, in dem die Äthiopier schließlich der Macht moderner Kriegstechnik unterliegen mußten. Im letzten Moment versuchte der Kaiser, den Völkerbund aus seiner Gleichgültigkeit aufzurütteln: „Meine Herren, Gott und die Geschichte werden sich Ihres Urteils erinnern! Denn Katastrophen Sind unausbleiblich, wenn die großen Länder die Vergewaltigung eines Staates dulden.“

Vergebens. Tafari Makonen, seit 1930 Kaiser von Äthiopien, mit dem Namen Haile Selassie — „Die Heilige Dreieinigkeit“ —, mußte zu Beginn des Jahres 1936 ins Exil flüchten. In den ersten fünf Jahren seiner Regierung war dem Nachfolger Salomons viel gelungen: Er erzwang — gegen den Willen Italiens und Frankreichs — den Zutritt seines Landes zum Völkerbund, eroberte mit Zähigkeit eine diplomatische Bastion nach der anderen und war außerdem bemüht, seinem Land allen Anschein der Rückständigkeit zu nehmen.

Heute scheint das fünfjährige italienische Interregnum im Lande vergessen. Den Italienern, die im Land geblieben waren, geschah übrigens nichts. Italien — das ist heute für die Äthiopier eine längst vergessene Epoche.

Freilich, so sehr sich der Kaiser in der „Pater-patriae“-Rolle gefällt, so wenig ist er anderseits gewillt, sich die Zügel aus der Hand reißen zu lassen. Zu deutlich ist die blutige Niederschlagung des Aufstandes vor zwei Jahren im Gedächtnis; jenes Aufstandes, an dessen Spitze der Kronprinz stand, der dann ebenfalls dem blutigen Gericht, das der Kaiser über seine Gegner hielt, zum Opfer fiel. Daß der Kaiser auch heiße noch Feinde und Widersacher hat, die ihm den Thron streitig machen, sein Reformwerk zerstören und die „guten alten Zeiten“ wieder herstellen wollen, unterliegt keinem Zweifel. Aber erst, wenn eines Tages die Frage der Nachfolge akut wird, könnte es neuerlich zu Machtkämpfen, Intrigen und Unruhen kommen, wie es sie in Äthiopien fast nocH jedesmal beim Tod eines Herrschers gegeben hat.

Qbwohl Haile Selassie seinem Land 1931 „unaufgefordert und aus eigenem freien Willen“ eine Verfassung gegeben hat, nach der Äthiopien ein aus zwei Häusern bestehendes Parlament besitzt, regiert er doch als absoluter Monarch und ist Kaiser und Ministerpräsident, Parlament und Regierung, Außen- und Innenminister, höchster Richter und höchstes Exekutivorgan in einer Person. Er ist Kriegsminister und Oberbefehlshaber des Heeres, er erläßt die Gesetze, und er führt sie aus, er ernennt die Beamten, die Generäle, die Gouverneure der Provinzen. Eine Kontrolle über seine Handlungen, eine Revision seiner Beschlüsse, einen Appell gegen seine Entscheidungen gibt es nicht. Salomons Thron heute

Haile Selassie tritt nur selten aus seiner Reserve heraus. Die Konferenz von Bamboko jedenfalls hat ihn dazu gezwungen, Schiedsrichter zu spielen und so zu verhindern, daß der weißen Welt das Schauspiel eines uneinigen Afrikas geboten Wird.

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