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Eine Bastion des Westens ist gefallen

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Mit dem unter UNO-Kontrolle durchgeführten Plebiszit im „Territorium der Afars und Issas“, für gewöhnlich unter dem Namen Djibouti bekannt, ist in der wechselvollen Geschichte der Entkolonialisierung eine neue Seite aufgeschlagen worden. Zwar handelt es sich hier noch nicht um die Entlassung der letzten französischen Kolonie Afrikas in die - sehr ungewisse - Freiheit, denn noch gehört die wichtige Insel Rėunion (mit 500.000 Einwohnern) als Dėpartement zum Mutterland und östlich v.pn.Madagaskar 'gibt es noch die Inseln Mayotte, St. Paul und Neu-Amster- dam. Aber auf dem afrikanischen Festland war Djibouti die letzte französische Kolonie (als TOM, als Territoire d’Outre-Mer). Das Gebiet wurde mit einem Vertrag über „Frieden und immerwährende Freundschaft“ vom 11. März 1862 zwischen Napoleon III. und den Stämmen der Afar an der Adal-Küste (mit Einrichtung des Hafens von Obock) französisch. Der Südteil der späteren „Französischen Somaliküste“ wurde von den Häuptlingen der Issa, einem Somali-Volk, hinzuerworben und erhielt mit Djibouti einen Hafen und eine Hauptstadt. 1896 Unterzeichnete Frankreich einen Vertrag mit dem Kaiser von Äthiopien über die Errichtung einer Eisenbahnlinie von Djibouti nach Addis Abeba (Chemin-de-Fer Franco-Ethiopien, C. F. E.) als offizieller Verkehrslinie für den äthiopischen Außenhandel.

Weiter hörte man, wenn man vom Faschoda-Konflikt absieht, über dieses Territorium nichts mehr. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg kam es auf Grund der Entkolonialisierungsbeschlüsse der Vereinten Nationen zu einer Art von Autonomieregelung (nachdem 1945 bereits eine Freihandelszone eingerichtet worden war). Ein Rahmengesetz vom 23. Juni 1965 gewährte den Einwohnern eine Territorialversammlung mit 32 gewählten Abgeordneten und acht Ministern - für 125.000 Einwohner nicht gerade wenig. Gemäß der Verfassung der Fünften Republik, die allen Uberseegebieten volles Selbstbestimmungsrecht einräumt, fand schon 1958 eine Volksabstimmung statt, wobei 66 Pro zent der - zahlenmäßig sehr reduzierten - Stimmberechtigten für Frankreich stimmten. Frankreich begünstigte aber die mit den Issas tödlich verfeindeten Afars unter dem späteren Ministerpräsidenten Ali Aref, was nach der Unabhängigkeitserlangung von Britisch-Somaliland und dem ehemals italienischen Somaliland zu heftigen Auseinandersetzungen mit dem neuen Staat Somalia führte.

Eine nicht abreißende Kette von Gewalttaten schloß sich an, Haile Selassie forderte das Temtpriunv.das 1967 offiziell zum „Territoire Eranęais des Afars et des Issas“ erklärt wurde, als integrierenden Bestandteil von Äthiopien. Somalia aber reklamierte es für sich, und dies nicht ohne Unterstützung der Sowjetunion, die Somalia zu einem kommunistischen Satellitenstaat machte, in dem sie Militär- und Flottenstützpunkte unterhält. Ein neues Referendum vom 19. März 1967 ergab wiederum ein „Ja“ zu Frankreich, aber nur mit 60,4 Prozent der Stimmen bei den Afar, während die Issa dagegen stimmten. Am 18. September 1967 forderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Frankreich auf, dem Territorium volle Unabhängigkeit zu gewähren. 1973 erklärte Pompidou jedoch, das Gebiet werde französisch bleiben. Truppen wurden dorthin entsandt. Weitere Resolutionen der Vereinten Nationen, heftige Proteste der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), aber auch von Lėopold Senghor, brachten Frankreich in eine immer schwierigere Lage, so daß am 19. März 1977 auf einer „table ronde“ in Paris, nach mühseligen Verhandlungen, ein Plebiszit mit Wahlen in eine neue Nationalversammlung auf den 8. Mai festgelegt wurde, woran anschließend die Unabhängigkeit des neuen Staates am 18. Juni proklamiert werden sollte.

Von ihrem Recht auf Selbstbestimmung werden weder die Afars noch die Issas viel haben. In der UNO werden sie die Masse der nach Moskau orientierten Staaten der Dritten Welt vermehren, sich selbst regieren werden sie nur in eingeschränktem Ausmaß.

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