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Frankreichs „Horn von Afrika“

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Dschibuti — das weckt beim europäischen Zeitungsleser ähnlich spontane Assoziationen wie Timbuktu. Vom einen wie vom anderen weiß man nicht so genau, wo es liegt, doch der an Buschtrommeln erinnernde Klang läßt an das Ende der Welt denken. Für Dschibuti trifft das ziemlich genau zu. Das 45.000-See-len-Städtchen am „Horn von Afrika“ ist die Metropole der am Indischen Ozean . gelegenen letzten bedeutenden französischen Kolonie im dunklen Erdteil. Knapp 100.000 Menschen leben im „Französischen Territorium“, so der offizielle Name, „der Afar und der Issa“. Präsident Georges Pompidou ließ sich von ihnen soeben frenetisch feiern. Worin liegt die Bedeutung, die Frankreich diesem entlegenen Überbleibsel seines einstigen Kolonialreiches beimißt?

Die „Hauptstadt“ Dschibuti wirkt wie ein südfranzösisches Provinznest. Am Marktplatz teilen sich Hotels, Restaurants und Cafes die schattigen Arkaden. In der nachlassenden Hitze der untergehenden Sonne treffen sich unter den staubigen Palmen Beamte und Geschäftsleute zu Aperitif und Schwatz. Nur die schwarzhäutigen fliegenden Händler mit ihren wunderschönen Zwergleopardenfellen, Somalimessern, . Eben- und Teakholzschnitzereien bringen eine exotische Note in das Bild. Hier spricht man französisch wie in Frankreich und, überraschenderweise, deutsch wie in Deutschland.

Die Kolonie ist einer der letzten tropischen Außenposten der „Legion Etrangere“. In ihr spielen noch immer deutschsprachige Trouble-shooters eine tonangebende Rolle. Der Dienst ist langweilig und der Verdienst gering. In den tristen Bars mit ihren ausgezehrten Tänzerinnen reicht es abends höchstens zu einigen Flaschen holländischen Biers.

Die wirtschaftliche Position der Kolonie hängt eng zusammen mit dem Nahostkonflikt. In den sechziger Jahren, als der Unabhängigkeitskampf der südjemenitischen Nationalisten gegen die Engländer im gegenüber liegenden Aden (Flugdauer 50 Minuten) dort die Passagier- und Frachtschiffahrt gefährdete, ankerten viele Schiffe auf den Routen zwischen Europa und Südasien lieber in Dschibuti. Der Hafen nahm einen großen Aufschwung. Die Stadt wurde zur ersten Fluchtstation für das indische und arabische Kapital aus Aden und zum Anziehungspunkt der Geschäfts- und Handelswelt. Der Ausfall des Suezkanals ließ diese kurze Blüte schlagartig welken.

Frankreichs Anwesenheit in der Kolonie sichert den Eingeborenen allerdings immer noch einen extrem hohen Lebensstandard. Hier wird bis zu viermal soviel verdient wie in den Nachbarländern Aethiopien und Somalia.

Unter der verhältnismäßig ruhigen Oberfläche gärt dennoch die Unzufriedenheit. Augenfälligster Beweis dafür ist das Eingeborenenghetto mitten in der Hauptstadt. Ein paar Schritte hinter dem Marktplatz beginnt ein stacheldrahtumzäuntes Gebiet, dessen einzige Pforte von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geschlossen bleibt. Nachts patrouillieren bewaffnete Militärstreifen mit Suchhunden längs der Drahtverhaue. Verlassen darf dieses Ghetto nur, wer einen Arbeitsnachweis vorweisen kann, den er immer bei sich führen muß. Die lückenlose Kontrolle beim Verlassen und Betreten des Eingeborenenviertels verhindert fast ganz das Einsickern von Terroristen.

Dem selben Zweck dienen auch die Drahtverhaue und Minensperren entlang der Grenzen nach Somalia. Im Gouverneurspalast behauptet man allerdings, man wolle dadurch nur die illegale Einwanderung steuern, um sie mit den Arbeitsmöglichkeiten in der Kolonie in Einklang zu halten.

Vor Pompidou erlebte hier Charles de Gaulle ein unerwartetes Schauspiel. 1966 war sein Besuch für die Eingeborenen Anlaß zu blutigen Straßenschlachten mit Polizei und Armee. 1967 stimmten dann allerdings rund 25.000 Wahlberechtigte für und nur knapp 15.000 gegen das Verbleiben bei Frankreich. Die Opposition spricht seitdem von einem ungeheuerlichen Wahlbetrug. Doch die hohe Zeit des afrikanischen Nationalismus ist fürs erste vorbei, und die Afar und Issa von Dschibuti gelüstet es kaum nach der politischen und wirtschaftlichen Dauermisere der unabhängigen Nachbarstaaten. Der Boykottaufruf der Opposition gegen den Besuch Pompidous wurde folglich kaum beachtet, und der französische Präsident erhielt einen selbst für einheimische Beobachter überraschenden, herzlichen Empfang.

Unter dem Pariser Gouverneur hat die Kolonie ein gewähltes Parlament und eine nach innen autonome Verwaltung. Ihre Sicherheit nach außen beruht gegenwärtig auf der französischen Afrika- und Arabienpolitik und auf dem somalisch-aethiopischen Dualismus. Aethiopien braucht den Hafen Dschibuti für seine wirtschaftliche Versorgung und seinen Handel. Somalia beansprucht jedoch das Territorium für sich selbst. Die Gefahr eines aethiopisch-somalischen Krieges im Fall einer Aufhebung der Kolonialherrschaft ist Grund genug für die weitere französische Anwesenheit. Die Arabische Liga unterstützt, wegen der französischen Haltung im Nahostkonflikt, nicht die somalischen Ansprüche. Und selbst der Sowjetunion, die in Somalia und auf Sokotra selbst Militärstützpunkte unterhält, ist die französische Anwesenheit in Dschibuti lieber als jene Amerikas. Allerdings: Frankreich unterhält in der kleinen Kolonie 4200 Soldaten und 400 Polizisten und bezahlt für den Unterhalt des wirtschaftlich allein nicht lebensfähigen Gebietes jährlich beinahe 80 Millionen Francs. Ein Sturz der gaullistischen Mehrheit in Paris-könnte auch das rasche Ende der französischen Herrschaft in Dschibuti mit sich bringen.

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