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Was geschieht wirklich in Somalia?

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Mehr als jedes andere ostafrikanische Land hat sich-die Republik Somalia bisher journalistischer Neugier verschlossen. Di spärlichen Nachrichten aus der Hauptstadt Mogadishu, Meldungen über Grenzkonflikte mit den Nachbarn und über massive sowjetische Militärhilfe haben im westlichen Lager zu mancherlei Spekulationen geführt. Die Behauptung des Washingtoner Pentagon, die Sowjetunion habe in der somalischen Hafenstadt Berbera einen Militärstützpunkt und eine Baketenstation angelegt, wurde von der Regierung Somalias wie auch von Moskau als „Propaganda“ zurückgewiesen. Westliche Besucher, die nach Berbera eingeladen wurden, fühlten sich von somalischen Regierungsvertretern an der Nase geführt. Waren die Hallen, die sie nur von außen zu sehen bekamen, wirklich nur „ Fleisch verpak-kungsanlagen?“ Oder werden hier sowjetische Raketen gelagert und gewartet? Neben den Hallen erscheinen auf amerikanischen Satellitenaufnahmen zwei Kurzwellensendestationen, Kasernen und eine neuangelegte, 4,5 Kilometer lange Flugpiste. Im Hafen von Berbera, dem einzigen gutausgebauten Ankerplatz an der zweitausend Meilen langen somalischen Küste, wurden wiederholt sowjetische Kriegsschiffe gesichtet. Nach amerikanischer Ansicht dient Berbera auch als Kommunikationszentrum für die sowjetischen Marineeinheiten im Indischen Ozean.

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Mehr als jedes andere ostafrikanische Land hat sich-die Republik Somalia bisher journalistischer Neugier verschlossen. Di spärlichen Nachrichten aus der Hauptstadt Mogadishu, Meldungen über Grenzkonflikte mit den Nachbarn und über massive sowjetische Militärhilfe haben im westlichen Lager zu mancherlei Spekulationen geführt. Die Behauptung des Washingtoner Pentagon, die Sowjetunion habe in der somalischen Hafenstadt Berbera einen Militärstützpunkt und eine Baketenstation angelegt, wurde von der Regierung Somalias wie auch von Moskau als „Propaganda“ zurückgewiesen. Westliche Besucher, die nach Berbera eingeladen wurden, fühlten sich von somalischen Regierungsvertretern an der Nase geführt. Waren die Hallen, die sie nur von außen zu sehen bekamen, wirklich nur „ Fleisch verpak-kungsanlagen?“ Oder werden hier sowjetische Raketen gelagert und gewartet? Neben den Hallen erscheinen auf amerikanischen Satellitenaufnahmen zwei Kurzwellensendestationen, Kasernen und eine neuangelegte, 4,5 Kilometer lange Flugpiste. Im Hafen von Berbera, dem einzigen gutausgebauten Ankerplatz an der zweitausend Meilen langen somalischen Küste, wurden wiederholt sowjetische Kriegsschiffe gesichtet. Nach amerikanischer Ansicht dient Berbera auch als Kommunikationszentrum für die sowjetischen Marineeinheiten im Indischen Ozean.

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Somalia, das Land am Horn von Afrika, hat für die Weltmächte einen hohen strategischen Wert. Von seinem Territorium aus lassen sich die wichtigsten Schiffahrtswege vom Persischen Golf nach Europa kontrollieren. Die „Somalische Demokratische Republik“ ist eines der ärmsten, am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Das jährliche Prokopfeinkommen der Somalier beträgt nicht mehr als durchschnittlich 1500 Schilling. Mogadishu ist in diesem Hirtenland die einzige Großstadt. Die nomadische Lebensweise der meisten Somalier hat bisher eine genaue Volkszählung verhindert. Auf drei bis viereinhalb Millionen Bewohner wird die Bevölkerung geschätzt. Außer der Viehwirtschaft gibt es einige Bananen- und Zitrus-plantagen, aber keine abbauwürdigen Bodenschätze. Handelsreisenden und Touristen hat dieses Wüstenland nicht viel zu bieten. Westlichen Diplomaten in Somalia wird die Teuerungszulage der Höchststufe zehn zugestanden.

Auf dem Wege nach Mogadishu sind zahlreiche bürokratische Hürden zu nehmen, und der Besucher ist gehalten, kräftig dafür zu zahlen: 50 Schilling oder 7 Dollar für ein Visum, 25 Schilling für die amtliche Photographiererlaubnis, etliche Schilling für die Zoll- und Devisendeklaration. Somalia ist zweieinhalbmal größer als die Bundesrepublik Deutschland, doch viele seiner Landesteile lassen sich nur auf dem Flugweg, per Jeep oder auf dem Kamelrücken erreichen. Für Reisen ins Landesinnere, 40 Kilometer außerhalb Mogadishus, brauchen ausländische Besucher und Diplomaten eine Sondergenehmigung. Somalische Bürger müssen Besuche bei Ausländern der Polizei melden. Die Angst, zuviel zu sagen, ist sogar bei offiziellen Gesprächen spürbar, und oft entsteht peinliche Verlegenheit, wenn man mit Somaliern, die in Europa oder Amerika studiert haben, politische Fragen diskutiert.

Ein heikles Thema ist die Präsenz der Russen. Sprecher der somalischen Regierung tun so, als gebe es sie überhaupt nicht in Somalia. In Wirklichkeit sieht man sie überall: im Hotel, am Strand, beim Einkauf in den Läden und auf den Märkten, beim Sonntagsspaziergang in den Straßen. Sie sind viel zahlreicher als alle anderen Ausländer, ob Chinesen, ob Italiener, Amerikaner und Ägypter, und vielleicht fielen sie weniger auf, sähe man sie nicht fast immer in Gruppen. Wozu sind sie in Somalia? „Um uns zu helfen“, lautet die Antwort; Somalia sei allen hilfsbereiten Völkern freundschaftlich gesinnt. Es wird rundweg abgestritten, daß es sowjetische Flug- und Marinebasen in Somalia gebe. „Wir sind völlig souverän, wir verkaufen unser Land an niemanden“, heißt es in Mogadishu. Nicht russische, sondern somalische Piloten fliegen angeblich die MIGs und Helikopter, die draußen auf dem Flugplatz stehen.

Das sowjetische Staatsoberhaupt Podgorny hat Somalia im Juli 1974 besucht und mit dem Militärregime in Mogadishu einen Freundschaftsund Beistandspakt unterzeichnet. Unlängst trafen sich zu einem „Fußballturnier sozialistischer Bruderarmeen“ die Mannschaften Somalias, Südjemens. Kubas, der DDR, der CSSR und der Sowjetunion — wobei im Stadion von Mogadishu auffiel, daß die Mannschaft der Sowjetunion auch bei guten Leistungen ausgepfiffen wurde. Wenig in Erscheinung treten die Chinesen, die unter anderem eine gut eintausend Kilometer lange Asphaltstraße von Mogadishu in die Nordprovinzen bauen.

In der somalischen Hauptstadt sind alle größeren Länder des Ostblocks und des Westens, dazu fast alle arabischen Staaten und eine Reihe schwarzafrikanischer Länder diplomatisch vertreten. Vor den Schaukästen der mauerumgebenen Botschaften sieht man exotisch ge-wandete Hirtengestalten und modern gekleidete Jugendliche, meist krausköpfige, langaufgeschossene, grazile Gestalten, die sich die Errungenschaften der Völker zu Gemüte führen — hier Sportsiege und neueste Automodelle, dort militärische Überlegenheit und Produktionserfolge der Kollektivwirtschaft. Die einzige Tageszeitung des Landes, ein dürftiges Parteiblättchen, beschränkt sich auf Kommuniques und Parolen. Agitprop-Plakate im Schießbudenstil zeigen kettenbrechende Afrikaner und hundegesichtige Imperialisten. Uberall hängen Konterfeis des somalisehen Präsidenten Siad Barre, aber man erfährt nicht, wo sich sein Amtssitz oder seine Residenz befindet.

Im 21. Oktober 1969 hat der ehemalige Generalmajor und jetzige Vorsitzende des Obersten Revolutionsrates die Zivilregierung Somalias gestürzt. Seither wird in der Volksrepublik Somalia die Oktoberrevolution als ein historischer Wendepunkt gefeiert. Die neunjährige Parteienherrschaft nach der Unabhängigkeit Somalias wird heute als eine Zeit übelster Korruption und Unfähigkeit dargestellt.

Das somalische Militärregime hat nunmehr den „wissenschaftlichen Sozialismus“ zur politischen Richtlinie erhoben. Darunter versteht man im „Ministerium für Information und nationale Führung“ allerdings nicht die marxistische Lehre, sondern eher einen nationalarabischen Sozialismus auf der Grundlage des Islam. Wie unklar und mißverständlich diese Doktrin in Somalia ist, zeigte vor einiger Zeit die Erschießung von zehn sogenannten „Konterrevolutionären“, die sich aus religiösen Gründen gegen die Gleichberechtigung der Frau gewandt hatten.

Man muß sich fragen: Wieviel kann ein Nomadenvolk, das noch zu 80 Prozent aus Analphabeten besteht, mit modernen politischen Begriffen anfangen? Lassen sich Wüstenmenschen, die sich wenig um staatliche Verordnungen zu kümmern pflegen, in ein sozialistisches System zwingen? Neutrale Beobachter sind der Meinung, es gebe nach dem Scheitern der Parteiendemokratie in Somalia kaum eine Alternative. Und wenn heute in Mogadishu der sowjetische Einfluß vorherrsche, dann vor allem, weil der Westen sich um dieses Land zuwenig gekümmert habe.

Die Republik Somalia ist im Jahre 1960 aus dem ehemaligen britischen Somaliland und dem Somalia der Italiener hervorgegangen. Neben dem vokalreichen Somalisch sind Englisch und Italienisch immer noch die Hauptsprachen des Landes. Die Europäer, die im 19. Jahrhundert an das strategisch bedeutende „Horn von Afrika“ kamen, haben die Grenzen ihrer Kolonial- und Protektoratsgebiete ohne Rücksicht auf somalische Volksstämme gezogen.

Etwa 2 Millionen Somalier leben heute außerhalb der Republik — in Französisch-Somaliland, im äthiopischen Ogaden und im Nordosten Kenias. Somalias Gebietsansprüche, das Streben Mogadishus nach Wiedervereinigung zu einem Groß-Somalia, wurde von den drei Nachbarstaaten bisher immer ablehnend erwidert. Während Somalia weit über das Selbstverteidigungsmaß hinaus mit sowjetischer Hilfe aufrüstete, hielt man sich in Djibouti, Äthiopien und Kenia an die Unterstützung des Westens. Die starke Position Moskaus in Somalia resultiert aus den Sünden der Kolonialzeit und aus jüngeren Versäumnissen des Westens, nicht aus einer Sympathie der Somalier für die Sowjetrussen und ihre Verbündeten.

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