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Der Hinauswurf, den Moskau Siad Barre nicht verziehen hat

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Wie bekannt, hat Somalia etwa 4000 bis 6000 russische „militärische Ratgeber“ vor ein paar Monaten kurzerhand vor die Tür gesetzt, nachdem Präsident Barre von einer erfolglosen Mission aus Moskau heimgekehrt und unterwegs mit Sadat in Kairo konferiert hatte. Dieser hatte die Sowjets zuvor ebenfalls hinausgeworfen. Womit Barre nicht gerechnet hatte: eine derartige Brüskierung vergißt man im Kreml niemals! Somalias Sicherheit war vom Zeitpunkt der Ausweisung der Sowjets in Frage gestellt. Das äthiopisch-somalische Bevölkerungsverhältnis ist 10 :1. Somalias Armee ist zwar klein, gehört aber zu den bestausgerüsteten in Afrika.

Äthiopien zählt 30 Millionen Bewohner. Die Friedensstärke der Armee ohne Mobilisierung: 53.000 Mann plus 75.000 Mann Volksmiliz und Reservisten. Die derzeitige Bewaffnung ohne weitere russische Lieferungen: 380 mittelschwere und leichte Panzer; 60 andere gepanzerte Wagen und 130 gepanzerte Truppentransporter; 50 MiG-Jets inklusive MiG-23 und zwei Geschwader „F-5“ Jets.

Somalia hat 3,350.000 Einwohner. Die Friedensstärke der Armee beträgt 31.500 Mann plus 2500 Mann bei der Volksmiliz und weitere 12.000 in den paramilitärischen Formationen. Die Ausrüstung: 500 mittelschwere Sowjetpanzer plus 350 gepanzerte Mannschaftstransporter und eine nicht genau bekannte Zahl von Boden-Luftra-keten. Die somalische Luftwaffe verfügt über 55 Jet-Kampfmaschinen: ein Geschwader mit zwölf MiG-21 und zwei Geschwader Jagdflugzeuge mit veralteten MiG-12 und MiG-15.

Frankreich, Großbritanien und die USA haben bereits im August und September des Vorjahres Mogadischu ihre prinzipielle Bereitschaft mitgeteilt, daß sie „für Verteidigungszwek-ke“ schwere Rüstung zu liefern bereit seien. Sie zogen ihre Zusagen jedoch vorsichtig zurück, als reguläre Einheiten der somalischen Armee bei den Kämpfen in Ogaden identifiziert worden waren.

Moskaus ursprüngliche Fehlkalkulation: Der Kreml glaubte seinen Kuchen in Äthiopien risikolos holen und in Ruhe verspeisen, gleichzeitig auch mit Somalia ungestörte Beziehungen aufrecht erhalten zu können. Die Sowjets hatten jedoch drei Faktoren falsch eingeschätzt:

• die Intensität des somalischen Nationalismus;

• die Stärke der sezessionistischen Bewegung in Eritrea und im Ogaden;

• die Labilität der regierenden Militärclique in Addis Abeba.

Der letzte Irrtum erwies sich als der verhängnisvollste. Die Militärclique wollte den Sowjets Stärke vortäuschen, versank deshalb immer tiefer im Sumpf blutiger Säuberungen. Die Sowjetgeneräle erkannten, daß das äthiopische Militärregime ohne Waffen- und Materialhilfe zum baldigen Sturz verurteilt war. Seltsamerweise haben die intensivierten sowjetischen Hilfssendungen die Schwierigkeiten des Regimes anfänglich sogar noch erhöht. Die Ankunft der ersten sowjetischen Panzer im März 1977 alarmierten die von Somalia unterstützten Rebellen im Ogaden und die Sezessioni-sten in Eritrea. Rebellen und somalische „militärische Ratgeber“ wurden dadurch zu raschem Handeln angetrieben. Durch eine energische militärische Initiative gewannen sie in der ersten Phase der Auseinandersetzung dann auch die Oberhand. Jetzt hat sich das Blatt eindeutig gewendet.

Eine Niederlage auf dem Kampfgebiet wäre der letzte Todesstoß für das Regime gewesen. Oberst Mengistu war für die Russen jedenfalls genug wert, um ihn zu unterstützen. Sein Sturz hätte einen Nachfolger an die Macht katapultieren können, dessen prosowjetische Einstellung gar nicht garantiert, ja nicht einmal wahrscheinlich gewesen wäre. Deshalb auch die starke sowjetische Unterstützung für das herrschende abessinische Regime. Obendrein befürchtete Moskau, daß das Vertrauen zur UdSSR in Afrika und in der Dritten Welt erschüttert werden würde. Der Kreml mußte also handeln. Darum wurden auch die „kubanische Legion“ nach Äthiopien versetzt und Militärberater nach Addis Abeba entsandt.

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