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Die Erben des Kalten Krieges

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Verhungernde Kinder, rundliche, lächelnde Kriegsherren, amerikanische Truppen, die massiv eingreifen, um die Versorgung der Hungernden zu sichern, und dann noch Protestkundgebungen gegen diejenigen, die der Bevölkerung Hilfe bringen. Dieser Tage werden zum ersten Mal deutsche Soldaten im Rahmen eines l NO-Einsatzes in Somalia erwartet.

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Verhungernde Kinder, rundliche, lächelnde Kriegsherren, amerikanische Truppen, die massiv eingreifen, um die Versorgung der Hungernden zu sichern, und dann noch Protestkundgebungen gegen diejenigen, die der Bevölkerung Hilfe bringen. Dieser Tage werden zum ersten Mal deutsche Soldaten im Rahmen eines l NO-Einsatzes in Somalia erwartet.

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Bilder von verhungernden Kindern und von schwer bewaffneten Banden, die sich einen Dauerkrieg liefern, das kannte man bereits aus Äthiopien. Wobei zu bemerken ist, daß der Preis der verschossenen Munition ausreichte, die Hungernden mit Lebensmitteln zu versorgen.

Doch diese Waffen, diese Munition, die da verpulvert wird, sie brauchen nicht mehr bezahlt zu werden, sie sind ein Erbe aus dem Kalten Krieg, geliefert je nach dem augenblicklichen Bündnis des damaligen Diktators Siad Barre von Amerikanern und von Sowjets. Das „Erbe" wird nun von gewissenlosen Clan-Führern verwendet, um die Vormacht im Land zu erobern. Hunger ist dabei nur ein weiteres Mittel im erbarmungslosen Kampf.

Deutlicher als in anderen afrikanischen Krisengebieten zeigt sich in Somalia, daß es Clans sind, also Großfamilien, die um die Vorherrschaft kämpfen. Zum Unterschied von den meisten anderen afrikanischen Staaten gibt es in Somalia praktisch nur einen Stamm. Auf „altmittelalterliche Weise", ist man versucht zu sagen, allerdings mit modernen, mörderischen Waffen, kämpfen die Clan-Führer darum, ihren Clan zur herrschenden aristokratischen Schicht des Landes zu machen. Das hätte an sich nicht so lange gedauert, und traditionellerweise mit einem Kompromiß geendet, gäbe es da nicht die unfreiwillige Hilfe der Hilfsorganisationen.

Zu viele dieser Organisationen sind zu unüberlegt nach Somalia gekommen. Zwar gelangte ein kleiner Teil der Lebensmittel zu den Hungernden, doch der größere Teil blieb bei den bewaffneten Banden, die an jedem „Kontrollposten" ihren Zoll entweder in Geld oder in Lebensmitteln einhoben. Um überhaupt funktionieren zu können, haben die meisten NGO' s von vornherein Verträge mit dem Chef der einen oder anderen Privatarmee geschlossen.

Die Verträge sind teuer, die Banden leben davon. Ohne das leichte Einkommen aus den Verträgen müßten viele dieser jungen Leute Äcker bestellen, um zu überleben. Das haben sie zur Zeit nicht nötig. In diesem Zusammenhang ist es für die Bandenführer extrem wichtig geworden, dichter besiedelte Gebiete zu beherrschen: Gebiet ist gleichbedeutend mit Erpressungsmöglichkeit ist gleichbedeutend mit Reichtum.

Die Ankunft der amerikanischen Marines, verstärkt durch belgische, französische, italienische, kanadische und jetzt auch deutsche Einheiten, hat diese bereits einigermaßen eingespielten Verhältnisse gestört. Daher die steigende Fremdenfeindlichkeit, denn die Clan-Führer fürchten um ihr Einkommen aus den erwähnten Verträgen. Vorläufig warten sie auf den Abzug der Amerikaner; mit der UNO, nehmen sie an, werden sie leichter fertig. Doch auch die Islamisten sind an der Arbeit. Ihr Argument ist die Moralisierung des Lebens, und wo sie herrschen, schaffen sie es immerhin, die Hilfslieferungen gerecht zu verteilen. Für die kriegsmüde Bevölkerung ein gewichtiges Argument.

Unter amerikanischem Druck läuft in der Zwischenzeit aber auch die Vorbereitung zu einer endgültigen politischen Lösung. In der äthiopischen Hauptstadt Addis Abbeba haben die Vorverhandlungen stattgefunden, weitergehen soll es schließlich mit einer verfassunggebenden Konstituante. Sie soll die verschiedenen Clans unter einen Hut bringen, mit einer allen annehmbaren Verteilung der Einflußgebiete zwischen Ali Mahdi, Aydid, Liqliqato, Omar Jess und „General Morgan" im Süden und im Zentrum des Landes.

Der Norden hat sich bereits unabhängig erklärt und ist an sich ruhig. Die Konstituante wird lange dauern, denn bei dieser Versammlung haben auch die Intellektuellen das Wort, das sind die Absolventen von Fachschulen und Universitäten, dazu die Geschäftsleute und die Islamisten. Das Ziel der letzteren drei Gruppen besteht nicht im Schaffen eines Staats mit Clan-Gebieten, sondern in einem modernen Staat, worunter sich wiederum jede Gruppe etwas anderes vorstellt.

Soll der massive - und kostspielige - Einsatz von westlichen Truppen allerdings einen Sinn gehabt haben, dann muß sich die UNO endlich ihrer überalterten Vorgabe der „Neutralität" entziehen. Das ist ein grundsätzliches Problem, das in Fällen wie Somalia und Bosnien besonders deutlich wird. Die internationale Gemeinschaft steht vor dem Beginn eines Zeitalters, in dem es notwendig wird, weltweit massive Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verhindern, notfalls auch zu bestrafen.

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